Strömungen, Salzgehalt und Meeresniveau (Ostsee).

Strömungen, Salzgehalt und Meeresniveau. Die Ostsee entwässert ein Landgebiet, das ungefähr viermal größer ist als sie selbst. Die großen Flüsse Oder, Weichsel, Düna, Newa und eine Anzahl kleinerer, besonders aus Finnland und Schweden bringen ihr so viel Wasser zu, dass ein Abfluss nach der Nordsee stattfinden muss; die Folge davon ist eine schwache Strömung von Osten nach Westen, die am stärksten im Frühjahr nach dem Auftauen der Flüsse in Russland und im Sommer ist, am schwächsten im Winter, wenn alle Zuflüsse im Osten zu Eis erstarrt sind.

Deutlich erkennbar tritt diese Strömung in den Eingangstüren, dem Sund und den Belten, zu Tage, wobei eine eigenartige Naturerscheinung beobachtet werden kann: Während nämlich an der Oberfläche das wegen seines geringeren Salzgehalts leichtere Ostseewasser nach Norden abfließt, zwängt sich in größerer Tiefe das schwerere salzhaltige Nordseewasser in die Ostsee hinein. Zeitweilig dehnt sich das Nordseewasser auch an der Oberfläche aus und verdrängt das entgegenkommende Ostseewasser nach den Seiten zu. Die Erscheinung hat man sowohl im Sund wie im großen Belt beobachtet, durch welchen letzteren, da er breiter und tiefer ist, die Hauptmasse des salzigen Nordseewassers in die Ostsee eindringt; der kleine Belt kommt hierbei wegen einiger ganz schmaler Stellen kaum in Betracht.


Das eingedrungene Nordseewasser verbreitet sich nun vornehmlich im westlichen Teil der Ostsee und gibt diesem den verhältnismäßig hohen Salzgehalt, der neben dem eigenartigen Schlickgrund als die Ursache des kolossalen Fischreichtums in diesem Teil der Ostsee angesehen wird. Nach Osten zu nimmt der Salzgehalt schnell ab, überall aber ist das Wasser in den unteren Schichten bedeutend salzhaltiger als in den oberen, so hat man bei Fehmarn an der Oberfläche 1% Salzgehalt, auf 25 m Tiefe an derselben Stelle aber 2,5% gemessen.

Der mittlere Salzgehalt des Oberflächenwassers beträgt nach einer Reihe von Beobachtungen

in Kiel 1,6%
in Travemünde 1,4%
Warnemünde 1,15%
Lohme (bei Jasmund) 0,86%
Hela 0,65%

Diese Werte ändern sich nun je nach der Menge des in die Ostsee eingedrungenen Nordseewassers, die ihrerseits wieder abhängig ist von den herrschenden Winden. Starke Nordwest- und Westwinde bringen mehr Nordseewasser in die Ostsee hinein und verringern gleichzeitig den Abfluss des Ostseewassers, der Salzgehalt wird stärker und das Meeresniveau der Ostsee steigt. Nach dem Aufhören des Windes strömt das Wasser umso stärker durch Sund und Belte zurück, zu solchen Zeiten werden dort Strömungen von über 1 deutschen Meile in der Stunde beobachtet, ebenso bei starken Süd- und Südostwinden.

In dem schmalen Ostseebecken üben die Winde aber noch in anderer Weise Wirkungen auf Wasserstand und Strömungen aus: Sobald nämlich der Wind längere Zeit aus einer bestimmten Richtung weht, treibt er das Wasser vor sich her, sodass jedes Mal an der einen Küste ein Anschwellen des Meeresniveaus, an der gegenüberliegenden ein Sinken desselben stattfindet. Es kommt sogar vor, dass das Steigen des Wassers dem erst später eintretenden Wind vorangeht, sodass man hieraus sichere Schlüsse auf den bevorstehenden Wind machen kann. — Am stärksten macht sich der Einfluss des Windes auf den Wasserstand in dem flachen und engen westlichen Teil der Ostsee bemerkbar und zwar ist es besonders der Nordostwind, der ein sofortiges bedeutendes Steigen an der holsteinischen, mecklenburgischen und westlichen pommerschen Küste verursacht. An der freieren pommerschen Küste östlich von Swinemünde und der preußischen Küste ist die Höhe des Wasserstandes gleichmäßiger.

An der pommerschen Küste kommt zuweilen, ganz unabhängig von dem Wind, ein plötzliches Steigen des Wassers vor, verbunden mit donnerartigem Geräusch, das von den Küstenbewohnern „Seebär“ genannt wird und die Volksphantasie von Alters her aufgeregt hat. Ein Beispiel dieser Erscheinung erwähnt Dr. Lehmann in seiner Schrift „Pommerns Küste von der Dievenow bis zum Dars“ Mitte des vorigen Jahrhunderts: „Bei einer Fahrt längs des Strandes von Colberg nach Cöslin vernahm der Berichterstatter unerwartet einen heftigen, fernher rollenden oder eigentlich sonderbar knarrenden Schall, vergleichbar mit dem Getöse eines starken Schusses. Die Pferde sperrten die Beine und vom ansteigenden Lehmufer schrie ein alter Mann: „Na, ward Ji nich maken, dat rup kamen! Ji hebben em doch woll sacht mächtig arg brummen hürt, und könen frooden, dat wi körtlings hart Unwedder hebben!“ — Man kehrte darauf um und benutzte etwa 100 Schritt rückwärts einen Einschnitt zur Auffahrt auf das hohe Ufer. Bald sollte sich die Warnung des Alten als wohlbegründet erweisen. Nach einer viertel Stunde begann die See mit Geräusch zu steigen und überflutete mehrere Fuß hoch den flachen Vorstrand. Eine Strecke weiter rettete ein Mann mit Mühe seine losgeschnittenen Pferde, während Wagen und Fässer ein Raub der Wellen wurden. Eine halbe Meile vom Strande blieben vor 15 Pflügen wie auf Kommando alle Pferde stehen, während die Arbeiter ein dunkles, befremdendes Gefühl überlief.“ — Diese allerdings sehr selten vorkommende Erscheinung lässt sich nicht anders erklären, als dass sie die Folge unterseeischer Erdbeben ist.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und See. Unser Klima und Wetter