Abschnitt 4

II.
Neuyork.


Das Herrlichste von Neuyork bleibt stets die weitglänzende Bai selbst. Die Schiffe von allen Meeren geben sich hier ihr Stelldichein. Nur noch einen Ort haben sie, der mehr besucht wird, die Themse. Dort auf schmalem Strome können sie sich kaum ausweichen, hier in der schönen Bai öffnen sie dem Winde nach Lust ihre Segel. So zahllos auch die stolzen Dreimaster die Fluthen durchfurchen, in diesem geräumigen Becken scheinen sie nur der Zierde wegen da zu sein. Das Wasser ist spiegelglatt, denn die Sturmwellen draußen auf dem Ozean brechen sich vor den Inseln und Landzungen, welche so glücklich gelegen sind, daß sie einerseits die Bai vor Stürmen schützen, andererseits den ansegelnden Schiffen bequeme Durchfahrten gewähren. Wenn gescheidte Rheder und Kapitäne, die zugleich mit künstlerischem Sinne begabt wären, einen Hafen sich recht nach ihren Wünschen hätten schaffen können, so würde er schwerlich viel praktischer und schöner geworden sein, als die Neuyorker Bai. Wo in aller Welt ließe sich ferner eine Stadt finden, an deren Straßenmündungen auf einer Strecke von einigen Stunden Seeschiffe unmittelbar ankern können?


Ein Sommerabend unter den Bäumen auf der Battery gehört zu den reizendsten Genüssen aus der Erde. Zwischen den Bänken und auf dem Boden lungern die schwarzen riesigen Afrikaner, die braunen Spanier Brasilianer und Mexikaner mit den langen dünnen Gesichtern, und die wilden amerikanischen Burschen, jeder mit seinem Schatze, streitsüchtig Volk, das vielen Lärm macht. Zum Glück entfernen sich die meisten dieser Gesellen, wenn es Nacht wird und die Bai sich rings umkränzt mit blitzenden Leuchtthürmen. Die Wogen klatschen leise an’s Ufer, vom Meere her weht kühlende Luft. Barken mit mondbeglänzten Segeln und Ruderboote durchschneiden leise die Fläche, zwischen dem Takt der Ruder- und Wellenschläge hört man das Murmeln der im Gespräch sich Ergehenden, öfter auch ein deutsches Volkslied. Sinnend und halb träumend geht man in die stillen Straßen der Stadt zurück, welche gegen eilf Uhr so leer sind, als hätten sie nie Geschäftsgewühl gekannt. Wie bald wird dies immer wachsende rüstige Volk auch die jenseitigen User des Hudson, des Ostflusses und der Bai mit Wohnungen und Städten bedecken, alle diese Ortschaften werden Stadttheile Neuyorks werden. Dann wird es keinen ähnlichen Platz in der Welt geben, Neuyork wird eine Riesenstadt der Gewässer, jedoch nicht durchschnitten von schmalen Flüssen oder stehenden Lagunen: mächtige Ströme und Meerarme werden die Hauptstraßen der Stadt bilden. Wahrlich eine Aussicht, bei der das Herz des Amerikaners hoch aufwallt, eine Zukunft, so großartig, wie er sich die Zukunft seines ganzen Landes denkt.

So viel ist gewiß, Neuyork bleibt noch für weite Zeiträume die Hauptstadt der Union, und wächst, wie diese wächst an Macht und Volksmenge. Aus dem ganzen Innern des Landes, selbst aus dem englischen Canada, laufen hier die Hauptströme des Verkehrs zusammen, auch der Küstenhandel auf und ab findet hier seinen Mittelpunkt, von wo aus Dampfschiffslinien gehen nach Westindien Europa und Südamerika. Die übrigen Seehäfen der Vereinigten Staaten scheinen, Neuorleans ausgenommen, nur Vorposten von Neuyork zu sein, das zwei Drittel vom Handel des gesammten Landes in Händen hat. Geschäfte und Kapitalien haben hier einmal ihre feste Stelle und ihre wohlbegründeten Verbindungen; das ändert sich so leicht nicht. Neuyork wird daher der Hauptsitz bleiben für den Handel der Union. Zugleich aber werden gewerbliche, politische und religiöse Interessen, selbst Künste und Wissenschaften, in dieser Hauptstadt ganz anders Kraft Schwung und Leben behalten, als an andern Plätzen Amerikas. Auch der gesellige Ton kann sich von dem jetzigen nicht viel entfernen. Neuyork ist weder von religiösen noch von politischen Flüchtlingen gegründet, der Handel allein führte auf dieser Stelle Familien zusammen, welche sehr bald zu großen Reichthümern kamen und dafür auch rasch aus frischer Hand sich Genüsse verschaffen wollten. Die germanische Art des Volkes aber, das hier sich ansiedelte, die unaufhörliche Zuströmung aus Europa, das rasche Gedeihen des weiten Hinterlandes und das scharfe, zwischen nordischer Kälte und Gluthhitze wechselnde Klima waren Thatsachen, welche es verhinderten, daß neben dem Handel sich blos üppiges Wohlleben einfand. Wohl strebt der Neuyorker zuerst nach fürstlicher Pracht in seiner Wohnung, nach glänzenden Landhäusern, nach Tafelschwelgereien ohne Gleichen, wohl ist die Gesellschaft nicht von altaristokratischen Familien oder hochgebildeten Kreisen beherrscht, sondern von Geldreichen, welche die Handelsflut emporhebt und verschlingt: gleichwohl entbehrt Neuyork auch nicht solcher Männer und Frauen, welche ernstlich höhere Interessen pflegen und den Geschmack an Musik, Literatur und an allen möglichen Ideen und Erfindungen weiter verbreiten. Der Ton der Gesellschaft ist fröhlich, liberal, genußsüchtig, vielleicht etwas leichtsinnig. Der Neuyorker kann nicht mehr gut anderswo leben, er findet es überall langweilig und beengt, weil nur seine Weltstadt ihm so viel spannende Aufregung, so viel Freiheit im Thun und Lassen gewährt.

So lange Neuyork aber der Welthandelsplatz bleibt und der Einfuhrhafen von allem, was über das Meer kommt, und so lange deshalb in Neuyork eine ziemlich freie Mischung amerikanischer und europäischer Gesellschafts- und Familiensitte vorherrscht, so lange werden dort auch zwei eigentlich Neuyorker Charaktere sich umhertreiben. Die einen sind die jungen reichen Erben, welche eine Tour durch Europa gemacht haben, und die andern die Abenteurer, welche von Europa her kommen. Laster und Frechheit aus der alten und neuen Welt sind in diesen Personen vereinigt. Die ersten wissen nicht, wie sie rasch genug alle Lüste ausschöpfen sollen, und sie thun das mit amerikanischem Ungestüm; die europäische Reise hat diese Flegel nur mehr Arten von Luxus gelehrt, viele von ihnen enden im Elend. Den Abenteurern glückt es dagegen nicht selten, eine reiche Erbin zu fangen. Die Damen des Landes sind von vorn herein den Europäern etwas zugethan, es besticht sie deren vielseitige Bildung und glattes Benehmen, ihr gutes Herz fühlt sich hingezogen zu dem edlen Flüchtling, dessen männlich Herz so viel Kämpfe und Leiden erduldet haben will, und ein stolzer Adelstitel, in welchen jene Schelme sich einhüllen, hat für eine Amerikanerin einen unwiderstehlich verführerischen Klang. Manche Dämchen kaufen sich auch mit ihrem Gelde einen Gelehrten, der Gemahl soll sie nach Europa in die vornehme Welt und Hochbildung führen, sie möchten sich gar zu gern dort präsentiren. Die krankhafte Sucht der vornehmen Amerikanerinnen nach Europa ist um so komischer, als sie ihr Volk für das beste und tugendhafteste, das weiseste und aufgeklärteste halten, das jemals die Erde geschmückt hat. Die klugen Väter in Neuyork, Boston, Philadelphia, Baltimore sehen nicht gar zu gern in ihren Salons die jungen Europäer, die so geistreich und gewandt sind. Wie leicht könnte eines Abends die Tochter aus dem Konzert nicht wiederkommen und am andern Morgen ein Brief: sie habe dem Geliebten ihres Herzens nicht widerstehen können in Hoffnung auf die väterliche Verzeihung. Heirathen wider der Eltern Willen kommen in Amerika öfter vor als anderswo, und bei der amerikanischen Freiheit und Leichtigkeit des Umgangs zwischen jungen Damen und Herren muß man sich wundern, daß Heirathen mit viel Liebe und wenig Verstand nicht noch viel häufiger sind. Indessen weiß die junge Amerikanerin in der Regel wohl zu berechnen, wie viel ihr Schatz künftig für Putz Hausausstattung und Landsitz ihr geben werden und geräth diese Rechnung nicht ganz nach ihrem Wunsche, so bleibt meistens auch die Liebe aus. Die Freiheitsgefahr wird durch dieses Rechnungstalent der Damen sehr bedeutend gemindert. Wo aber zwei junge Leute wider der Eltern Willen einig werden, da sagt der Amerikaner: wen anders geht das etwas an, als sie selbst? –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III