Abschnitt 2

II.
Neuyork.


An Einwohnerzahl und Bedeutung ist die amerikanische Hauptstadt die dritte in der Reihe der Städte auf der Erde, im Vergleich aber mit europäischen Städten, welche zwanzigmal kleiner sind, ist sie arm an solchen Dingen, welche die Besucher auf die Dauer fesseln. Neuyork verdankt seinen Ruf, eine vorzugsweise genußreiche Stadt zu sein, theils seinen höchst vortrefflichen Tafeln und andern sinnlichen Freuden, theils dem Gegensatze zum wüsten Meer und zum einförmigen Innern des Landes. Wer tausend oder hundert Meilen weit aus dem Innern nach Neuyork kommt, wird ebenso entzückt durch die großstädtische Fülle, die ihn hier auf einmal glänzend umgiebt, als wer Wochen lang auf dem Seeschiff gefangen gewesen und nichts als Meer und Wolken gesehen hat. Alle nicht selbst an der See gelegenen Städte in der Union bieten noch viel weniger, was Geist und Sinn lebhaft beschäftigt, als Neuyork. Trotz ihrer schnurgeraden steinernen Straßen haben sie halb noch ein Aussehen, als seien sie rasch hingebaut, um Dach und Quartier, Waaren und Vergnügungen einer Volksmenge zu geben, welche aus irgend einem Grunde vorübergehend an einem Orte zusammenströmt. Man darf sich nicht darüber wundern, daß die amerikanischen Städte noch spärlich mit Geschichts- und Kunstdenkmalen bereichert sind, im Gegentheil muß jeder Ankömmling erstaunen, daß diese Städte in so kurzer Zeit bereits so viel geworden sind, – allein diese Betrachtung kann an die Stelle des Nüchternen und Einförmigen nicht das Gegentheil hervorzaubern. Auch Neuyork ist nichts als ein großes Landdreieck, bedeckt mit geradlinigen Straßen, welche mit ihren Reihen von schmalen Backsteinhäusern an vielen Stellen sich so ähnlich sehen, daß Abends ihre eigenen Bewohner häufig Straßen und Häuser zählen müssen, um sich zurecht zu finden. Nur hier und da ragen aus dieser einförmigen Häusermenge einige Hoch- und Prachtgebäude hervor.


Kein Plan einer andern Stadt läßt sich so leicht übersehen. Von der Dreiecksspitze, wo ein schöner schattiger Baumplatz von den Wellen bespült wird, geht man die Hauptstraße, der breite Weg genannt, in gerader Linie hinaus, rechts und links fallen Querstraßen ab zu den Flüssen, an deren Ende die Schiffsreihen Verlängerung der Häuserreihen scheinen. Den untern Theil des Dreiecks nehmen die Geschäftsstuben und Lagerhäuser der Großhändler ein, den mittleren Theil bewohnen Mittelklassen, ganz oben am breiten Wege ist der vornehme, stille Stadttheil, wo die Millionärs residiren. Zu beiden Seiten, da wo sich das Dreieck erweitert, dehnen sich die Straßen der kleineren Geschäftsleute, je ärmer desto weiter ab vom breiten Wege. Nur wenige Straßen haben ihren eigenen Charakter. Das sind zuerst die Hafenstraßen, welche an beiden Dreieckseiten hin laufen, denn der Hudsonfluß an der einen hat eben so breites Tiefwasser für Seeschiffe, als der Meerarm, der sogenannte Ostfluß, auf der andern Seite. Auf den weder breiten noch reinlichen Gängen zwischen den Lagerhäusern Trinkläden und Handwerkerbuden hier und den Schiffen und Waarenhaufen dort tummeln sich die Handlungsdiener Matrosen Handlanger und Karrenfahrer Southstreet ist vornehmlich der Platz, wo Rheder und Kapitäne verkehren. Dem Hudsonsflusse parallel läuft, nur durch eine Straße von ihm getrennt, die Greenwichstraße, fortwährend bedeckt mit Schaaren von Einwanderern, welche mit ihren Habseligkeiten vor den dortigen Wirthshäusern lagern, diesen Höhlen voll Niederträchtigkeit aller Art. Dort, in Bremerhafen und in Havre de Grace, kann man so ziemlich alle verschiedenen Bauerntrachten aus Deutschland beisammen sehen. In der Wallstraße aber, wo auch Zollhaus und Börse stehen, ein eigenes Geschäftszimmer zu besitzen, gehört zu den erhabensten Wünschen des amerikanischen Kaufmanns: denn dort arbeiten die großen Geldherren, welche Flotten von Handelsschiffen segeln lassen und ihre Goldströme zur Belebung des Handels bis nach Rußland und China senden. Könnte man die Pläne, die nur in einem einzigen Monat in der Neuyorker Wallstraße ausgedacht werden, in ein Buch bringen, so würde man es in einem Jahre nicht auslesen, und mit einer Bibliothek geographischer Schriften zur Hand könnte man sich kaum über alle Winkel und Produkte auf der Erdkugel unterrichten, auf welche die Neuyorker Großhändler ihre Augen richten. Eine merkwürdige Straße ist auch die Nassaustraße, sie ist mehrmal des Tages von Rudeln Zeitungsjungen belebt, welche ihre Körbe mit der Literatur füllen, die hier von den zahllosen Pressen der Zeitschriften und frommen Gesellschaften zu Tage gefördert wird. Diese leisten, was die Menge bedruckten Papiers betrifft, wahrhaft Riesenartiges. Andere Straßen in Neuyork sind dadurch ausgezeichnet, daß die eine von Kleiderhändlern, die andere von Hutmachern, die dritte von Töpfern und so weiter besetzt ist. Die kleinen Gewerbsleute, welche mit gleichen Waaren handeln, suchen sich möglichst zusammen zu halten; auch darin ist Neuyork, gleich den orientalischen Bazars, das Abbild eines Jahrmarkts.

Das Glanzstück der Stadt bleibt der breite Weg (Broadway), die große Heerstraße des Verkehrs und des Luxus. Wer irgend Lebenslust in sich spürt, drängt sich auf diese Straße. Vom Morgen bis zum Abend wogt dort ein wahres Volksgewühl, und am Spätnachmittag, wenn die großen Geschäftsstuben sich schließen, sind an keinem Platze der Welt mehr reichgeschmückte Damen und mehr Herren in blendender Wäsche zu sehen, von denen ein ansehnlicher Theil sich mit ausdrucksvoller Selbstgefälligkeit darstellt. Freilich hat Neuyork auch nur diese eine Großstraße zum allgemeinen Stelldichein, und wenngleich für den Amerikaner der Neuyorker Broadway alle Wunder der Welt vereinigt, so sieht der Europäer hier doch Manches mit andern Augen. Denn so glänzend sich auch die Paläste und Schauläden an einander reihen, so bunt und farbig Schilder und Waaren ausgehängt sind, so dicht gedrängt die Schaaren geputzten Volkes auf beiden Seiten der Straße und so zahllos und prunkvoll in der Mitte die Wagen, immer mehrere neben einander: so hält dennoch der Broadway mit der gediegenen Pracht und den donnernden Karrossen in den Hauptstraßen europäischer Großstädte den Vergleich nicht aus, am wenigsten mit London, es ist in Amerika alles zu schreiend und bloß zum Scheine ausstaffirt. Ein größerer Unterschied aber besteht darin, daß das Neuyorker Straßenleben sich viel heiterer, fröhlicher, jugendlicher giebt; nirgends hat man das beengende Gefühl des Drucks und der Noth, die anderswo auf der ärmeren Mehrzahl des Volks lasten. Auf der zweiten Hauptstraße, der Bowery, wo sich Neuyork mehr in Hemdsärmeln sehen läßt, und in den zahllosen andern Straßen, bis hinauf zu den entlegenen Wohnungen der armen Handlanger, der Wichse- und Zündhölzchenmacher, erhält der Fremde hundertmal öfter den Anblick freundlichen und behaglichen Lebens, als des Elends. Alle diese Stadttheile sind mit Ausnahme der bezeichneten Hauptstraßen Tags über auffallend leer und still; nur Morgens nach dem Frühstück, wenn die Männer zu ihren Geschäften gehen, und Abends, wenn sie zurückkehren, werden auch hier die Straßen belebt. Abends sitzen Familien und Freunde vor den Thüren oder im geöffneten Besuchszimmer gesellig beisammen. Man sieht, die Leute leben ungenirt, obwohl sich jedermann wohl in Acht nimmt, die amerikanische Anstandssitte zu verletzen. Vornehme Ruhe aber wohnt feierlich und einförmig in der fünften Avenue und ihrer Nachbarschaft: dort reiht sich ein stolzes Haus an das andere, da wohnen die großen Geldherren, welche sich hoch erhaben fühlen über dem niedrigen Gewühl anderer Sterblichen.

Mit der Besichtigung der Prachtgebäude ist der Fremde in Neuyork bald zu Ende, es sind ihrer nicht viele und meist ziemlich geistlose Nachahmungen bekannter Muster, die in jedem Werke über Architektur gezeichnet sind. Dabei steht auf einem griechischen Parthenon, dem Zollgebäude, eine Vogelstange, an einen herrlichen gothischen Thurm ist ein Kirchlein angeflickt mit Burgzinnen, und eine andere prächtige Kirche im gothischen Stil den mittelalterlichen Domen so treulich nachgeahmt, daß nur der eine Thurm an der Fronte ausgebaut, der andere aber in der Mitte abgebrochen ist; der Baumeister dachte wahrscheinlich, der eine halbe Thurm, der in Europa blos wegen mangelnder Geldmittel nicht emporgerichtet wurde, vollende die Schönheit des Ganzen. Das Glorreichste bleibt jedenfalls das Gebäude für das Strafgericht und die Verbrecher, es ist vollständig in den finstern Formen ägyptischer Grabgebäude aufgeführt, heißt daher im Volke auch „die Gräber.“ Bei dem ersten Anblick lacht man und findet nachher, daß der Gedanke doch nicht so übel war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III