Abschnitt 6

VII.
Natur und Schicksal der Indianer in Nordamerika.


Vermag der Indianer denn gar keinen Widerstand gegen die drohende Vernichtung? Wohl hat er eine dumpfe Ahnung von seinem traurigen Loose, er läßt es gleichgültig und verdrossen über sich ergehen. Er wandert und wandert und kämpft mit Hunger und Blöße, bis er langsam mit seiner Familie erliegt. Zu Zeiten wenn die Unthaten der Weißen lange den Haß in ihm aufgestachelt haben, wenn begabtere Männer unter seinem Volke ausstehen, die es zum Krieg aufrufen und anführen, dann lodert das Rachegefühl durch alle Hütten, der Kampf wüthet unbarmherzig längs der ganzen Indianergränze. Allein die Kriegskunst und die überlegenen Waffen der Weißen behalten die Oberhand. Halb zusammengeschossen flüchtet ein Haufe, ein Stamm nach dem andern weiter gegen Westen und besäet seinen Weg mit Todten und Elenden, welche vor Wunden Hunger und Ermattung sterben. Auch jetzt sind auf der ganzen westlichen Gränzlinie der Vereinigten Staaten die Indianer in vollem Aufstande. Die Reisezüge und Ansiedler können nur durch die Waffen sich vor Mord und Plünderung schützen. In einer Menge kleiner Gefechte haben die Indianer den Sieg behalten, weil sie die Uebermacht hatten, Ort und Zeit des Angriffes schlau wählten, und durch Ankauf von den Indianerhändlern sich mit Büchsen Pulver und Blei vorher wohl versehen hatten. Die Regierung läßt Truppen gegen sie marschiren, vor welchen die wilden Banden unausbleiblich nach einiger Zeit in unwirthbare Gegenden zurückweichen müssen.


Das Einzige, was den Wilden retten könnte, wäre sein Uebergang zu festen Sitzen, zu Ackerbau und Gewerben. Daran hindern ihn aber die Weißen, sie lassen ihm nicht die Zeit dazu, – daran hindert ihn noch viel mehr seine eigene Natur, und gerade hierin zeigt sich bei Berührung der Civilisirten und der Wilden der weite Abstand zwischen beiden.

Der Indianer will und kann nicht arbeiten, es widersteht seinem innersten Wesen. Jägervölker, die an die unbändige Freiheit der Wildniß gewöhnt sind, lassen sich überhaupt schwer civilisiren, – der Indianer aber haßt und verachtet die Arbeit als eine Erniedrigung des Mannes, dessen würdige Beschäftigung seiner Meinung nach nur Jagd Krieg und Rathsversammlung sind. Er staunt über das Wohlleben und die vielen wunderbaren Dinge, welche er in den Städten und Ortschaften der Weißen sieht. Allein das civilisirte Leben bleibt ihm unverständlich. Er hält uns unglücklich, gefesselt durch unsere Natur an die Scholle, ohne die Freiheit ohne das Licht ohne die Gefahren und Wechsel des Lebens in den Wäldern und auf den Prairien, verdammt zur ewigen einförmigen Arbeit. Für sich selbst hält er das Arbeiten so unmöglich, als wenn sein Pferd tanzen lernen sollte. Die bitterste Noth zwingt wohl einmal einen Indianer, mit Weib und Kind auf einer benachbarten Pflanzung zu arbeiten, er hackt und gräbt zwei drei Tage lang mit rührender Geduld, in der nächsten Nacht verschwindet er, um zu seinem Elende zurückzukehren.

Diese eingewurzelte Arbeitsscheu zu besiegen, wird dem Indianer um so schwerer, als sich bei ihm im Verkehr mit den Weißen nach und nach eine Art von sonderbarer geistiger Lähmung einstellt, deren er nicht wieder Herr wird. Es ist ein Gefühl der Niedrigkeit und Ohnmacht, welches tödtlich seinen Lebensnerv angreift. Plötzlich herausgeworfen aus der Einbildung von seiner Stärke und Klugheit, sieht er sich den Weißen gegenüber als ein armes verachtetes Wesen. Nie hat er anders gedacht, als daß der große Geist seinem Volke das Land, auf welchem es seine Wigwams setzt, zum alleinigen festen Eigenthum gegeben, das ist ein Theil seines religiösen Glaubens, – und nun kommt der Weiße und nimmt ihm ohne Weiteres das Land weg. Niemals hat der Indianer es anders gehört, als daß der große Geist die Büffel und Hirsche zur beständigen Nahrung für ihn geschaffen habe, gerade so wie das Wasser und das Feuer, – da nähert sich der weiße Ansiedler und auf einmal sind Büffel und Hirsche verschwunden. Die erste Wahrnehmung davon setzt den Wilden in banges Erstaunen, es geschieht etwas, was er im Laufe der Natur für ganz unmöglich gehalten hat, er glaubt es noch nicht. Kommt er aber Jahr für Jahr mit immer schmalerer Jagdbeute in seine Hütte zurück, – kann er endlich gar kein Wild mehr auftreiben und wenn er Tage lang sucht und wartet, bis er vor Hunger und Ermattung umfällt, – muß er einen Landstrich nach dem andern hergeben und zuletzt auch den letzten Fetzen seiner ehemaligen Jagdgründe verlassen; – dann bemächtigt sich seiner ein tiefes Entsetzen, eine dumpfe Trauer, und er sagt: der große Geist hat seine rothen Kinder verlassen. Seine Kraft und Unternehmungslust versiegt, seine Trägheit und Liederlichkeit nimmt zu, die Frauen scheinen unfruchtbarer zu werden, die Hütten füllen sich mit Mischlingen von Weißen und Indianern, und die Zahl der Todten übersteigt bald die der Gebornen.

Der Indianer beugt sich unwillkürlich unter die höhere Natur der Weißen. Auf den kleinen Südseeinseln spielt ein verlaufener Matrose gar bald den Herrn und Meister über Hunderte von Eingebornen, und selbst unter den viel kräftigeren nordamerikanischen Wilden erlangt der roheste Kanada–Franzose, der sich unter ihnen niederläßt, in kurzer Zeit das Ansehen eines Häuptlings. Eine merkwürdige Thatsache ist folgende. Auf kleinen Südseeinseln, bei denen zum erstenmal europäische Schiffe ein paar Wochen anlegten, brachen nach deren Abfahrt unter den Eingebornen verheerende Seuchen aus, obwohl die Schiffsbesatzung gesund gewesen. Machte vielleicht das erste Erscheinen der weißen Männer, welche den Indianern hier als göttliche, dort als schreckliche Wesen erschienen, einen so heftigen Eindruck, daß ihre leichte Natur plötzlich zu tief und verderblich erschüttert wurde?

Indessen erklärt auch diese Wehrlosigkeit der Wilden gegen all das Elend, welches mit der Ankunft der Weißen über sie zusammenbricht, nicht vollständig den Grund, weshalb sie so rasch und eilig vom Erdboden verschwinden. Dieser Grund liegt tiefer, er liegt in einem Selbstzerstörungs- und Zersetzungsprozesse, der im Stillen unter den Indianern wüthet. In einem Volke, welches noch eine Zukunft hat, hält sich alles instinktmäßig zusammen, und erträgt in diesem Gefühl selbst den Despotismus; die Masse überwuchert die Lücken wieder, welche die despotischen Gräuel in sie hineingerissen. Die Civilisation entfaltet sich aus dem erhaltenden Princip, welches ein Volksganzes in festen Formen aufbaut und gleichwohl dem Einzelnen ein frei und kräftig sich bethätigendes Selbstgefühl gewährt. Ist aber ein Volk in seinem nationalen Leben von einem tödtlichen Schlage getroffen, dann beginnt in seinem Innern die Zersetzung, unaufhaltsam greift die Zerstückelung und Zerbröckelung weiter und weiter um sich, bis auch die letzten Reste sich verlieren, um mit ihren Lebensstoffen neu empor wachsende Volksadern zu düngen. Die Indianer bieten das entsetzliche Schauspiel eines Volkes, welches einem innern unheimlichen Zersetzungstriebe gehorcht. Der Geselligkeitstrieb ist einer der mächtigsten in der menschlichen Natur: bei den Indianern genügt der geringste Anlaß, oder nur eine Laune, daß ein Haufe vom andern, eine Familie von der andern sich trennt. Auf den Neger, auf den Chinesen macht der weiße Mensch gar keinen Eindruck, sie fahren fort sich zu vermehren wie die Fische im Meere; die Indianerhorden stäuben bei der Berührung mit den Weißen auseinander, während der Geist der Selbsterhaltung sie gegen ihre Dränger vereinigen sollte. Noch merkwürdiger ist, daß in den abgesonderten Gliedern eines Stammes selbst die Sprache sich so schnell verändert. Nur daher lassen sich die mehr als tausend Sprachen erklären, welche man unter der amerikanischen Urbevölkerung gefunden. Eine so außerordentliche Anzahl von verschiedenen Sprachen unter einer sehr dünnen Bevölkerung weiset darauf hin, daß jene Zersetzung schon lange vor der ersten Landung von Europäern im Gange war.

Je rüstiger und zahlreicher nun die weißen Ansiedler in das Innere Nordamerika’s vordringen, desto gewaltsamer und rascher wirken all die bezeichneten Ursachen zusammen, um die Indianer zu verderben. Wo der Tourist jetzt noch mit ihnen auf die Jagd geht, stehen fünf Jahre später zahlreiche Farmen und Städte. Nicht lange mehr wird es dauern, und die Rothhäute sind auf die dürren Vorlande und in das Innere der Felsengebirge zusammengedrängt; dort, in einer rauhen und unfruchtbaren Umgebung, werden sie allmählig ihrem Jammerschicksal erliegen. Wir können nicht anders als in diesem Hergang eine höhere Weltordnung erblicken, welche niedere Nationalitäten vergehen läßt, um deren Lande zu besetzen mit Völkern von besserer Art und höherer Bestimmung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III