Abschnitt 5

VII.
Natur und Schicksal der Indianer in Nordamerika.


In diesem raschen Verschwinden liegt etwas Grauenhaftes, etwas Beschämendes selbst für den Civilisirten. Kann denn ein menschliches Wesen so tief in die Klammern der wilden Natur gerathen, daß es zerbricht, wenn man es ihr entreißen und es auf sich selbst stellen will, daß es durch seinen Verstand, seinen Fleiß und Willen die Natur bekämpfe und besiege? Wenn wirklich das ganze Menschengeschlecht ursprünglich in solch rohem wildem Naturzustande war, welche ganz unermeßlichen Zeiträume haben dann über ihm hingehen müssen, ehe es langsam und mühselig sich von der Natur los und immer eine kleine Stufe weiter zur Bildung empor arbeitete!


Dies traurige Schicksal erklärt sich zunächst aus äußern Ursachen. Die wilden Thiere, deren Jagd dem Indianer in Nordamerika den Hauptbestandtheil seiner Nahrung verschaffte, fliehen, sobald ihnen aus hundert Meilen der weiße Ansiedler naht, als verkündigte ihnen der Instinkt ihr nahendes Verderben. Während der Indianer noch seine alten Jagdgründe durchstreift, sind Büffel Bären und Hirsche längst in weiter Ferne, und die Folge der magern Jagd ist, daß Hunger und Elend wochenlang in der Indianerhütte herrschen, deren Bewohner entkräften und sie langsam dem Tode durch Frost und Fieber entgegen führen. Branntwein ferner und ansteckende Krankheiten, beides Gaben der Weißen an die Indianer, richten unter diesen entsetzliche Verheerungen an. Wenn die Amerikaner Nichts weiter thäten zum Abbruch der Indianer, als daß sie ihnen reichlich Whisky zuführten und wo sie könnten die Büffel vertilgten, so würden das Branntweingift und der Hunger schon allein hinlänglich sein, die Indianer jährlich zu Tausenden wegsterben zu lassen. Vielleicht hegen viele Amerikaner solche Hintergedanken. Sonst würden die ruchlosen Indianerhändler, welche trotz aller Gesetze den Wilden Branntwein genug zuführen, nicht so viele Helfer finden, – sonst würde man nicht mit so vielem Wohlgefallen von dem ungeheuren Schießen und Schlachten vernehmen, welches die Jäger alljährlich unter den Büffelheerden anrichten. Die Indianerstämme zwischen dem Missouri und Mississippi, welchen der Branntwein am nächsten und die Büffel am entferntesten, sind diejenigen, welche sich am meisten verderbt zeigen und am schnellsten absterben.

Bringt nun schon die erste Annäherung der Weißen den Indianern bereits so viel Unglück, so folgt später für diese regelmäßig noch das größere Unheil, indem sie von ihren altererbten Ländereien verdrängt werden. Der Weiße kommt, kauft ihnen Landstriche ab und giebt Decken Kleider Nahrungsmittel Flinten und Pulver dafür. Der Indianer gewöhnt sich an neue Bedürfnisse, verläßt sich auf die Gaben der Weißen, bringt ihnen seine Jagdbeute, und wird selbst immer träger und ärmlicher. Nach wenigen Jahren haben die Weißen auch seine übrig gebliebenen Jagdgründe umzingelt und drängen ihn, sie ihnen zu überlassen und weiter zu ziehen gegen Westen. Die Amerikaner wollen keine Indianer unter sich, es ergreift sie eine stille Wuth, wenn sie in deren Besitze herrliche Ländereien unbebaut liegen sehen. Wollen die Rothhäute nicht im Guten weichen, so giebt es blutige Händel und Bedrückungen aller Art. Der Indianer begreift nicht die Natur und die Pflicht eines Vertrages, dessen letzten zwingenden Grund zu entdecken sich ja auch bei uns viele Philosophen umsonst angestrengt haben. Daß der Weiße, den er nur als seinen Verderber kennt, ihm freiwillig etwas Gutes schenke, – kann sich der Wilde nicht denken. Trotz aller Redensarten, welche hin und wieder gewechselt werden, fügt sich der Indianer nur der Gewalt, und wenn der Weiße ihn mit Nahrung und Kleidung zu versorgen verspricht, so glaubt der Wilde, es geschähe aus Furcht vor ihm oder es stecke irgend eine böse List dahinter, die er vergeblich zu entdecken trachtet. Heute verpflichtet er sich durch feierlichen Vertrag, das Eigenthum der Weißen zu achten, – morgen hat er das Ganze rein vergessen und führt dem Ansiedler oder Händler ein Pferd eine Kuh weg. Denn es geht einmal nicht in seinen Kopf hinein, warum er dem Weißen, der ihm ja alles nimmt, nicht wieder ein Stück Vieh nehmen dürfe.

In Georgia hatte sich bis vor etwa dreißig fahren ein Stamm von Tscherokesen erhalten, welche zu den intelligentesten unter den Indianern gehörten. Sie hatten feste Wohnsitze Ackerbau und Gewerbe angenommen und sogar Zeitungen in ihrer Sprache. Die Vorsteher und Leiter unter ihnen waren allerdings hauptsächlich Weiße oder doch Abkömmlinge von einem weißen Vater und einer indianischen Mutter. Freilich mehrten sich die letzteren in auffallendem Maße, und zwar größtentheils aus illegitimen Verbindungen. Die Indianerin hört nicht auf, den Weißen zu suchen, wenn er in ihrer Nähe ist: – das ist auch ein Fingerzeig der Natur in die Zukunft der Völker auf niedrigerer Stufe. Es war, wie einmal die Sachen standen, möglich, sogar wahrscheinlich: daß es in fünfzig Jahren einen Landstrich in Georgia gab, auf welchem nur wenige ächte und ein paar Tausend Halbblut–Indianer wohnten, Menschen welche von den Amerikanern immer als Gesindel verachtet und gehaßt wären. Allein die Amerikaner warteten nicht, wie sich die Sache entwickle und ob diese Tscherokesen wirklich kulturfähig sich erweisen würden. Durch allerlei Listen und Ränke wurden die armen Leute unaufhörlich bedrängt und zuletzt durch das schreiendste Unrecht von ihrem angestammten Boden vertrieben. Wenn man die tiefe Anhänglichkeit kennt, welche die Indianer an das Land fesselt, wo ihre Vorfahren jagten und begraben liegen, so kann man sich ihr Elend denken, als nach langem Widerkämpfen und Prozessiren sie endlich doch gezwungen wurden, im Geleite von Dragonern, mit Weib und Kind, verachtet und verhöhnt auf dem ganzen langen Wege, weit nach dem Westen zu ziehen.

So sind die Indianer nach und nach aus den vordern Staaten in die westlichern, aus diesen in die fernsten Prairien verdrängt worden. Die Bundesregierung kann bei dem besten Willen sie nicht schützen. Noch vor ein paar Jahren mußten die noch übrigen dreißig Tausend Sioux Ländereien von etwa vierzig Millionen Aeckern am obern Mississippi für den winzigen Preis von noch nicht drei Viertelmillion Dollars abtreten; aus Gnade sollten sie noch fünfzig Jahre lang jährlich fünfzig Tausend Dollars erhalten. Dies Geld fließt in kurzer Zeit zu den Weißen zurück, nur ein paar Häuptlinge bereichern sich dabei. Einige Jahre vergehen und schon sitzen die Weißen den Verdrängten wieder auf der Ferse, wieder müssen sie sich abkaufen lassen und weiter wandern. Ehe sie ihre Gesichter noch weggewendet von ihrer alten Heimath, pflügt schon der Ansiedler die Gräber aus, wo sie ihre Vorfahren bestattet haben. Auf diesen Wanderungen gehen dann Zahllose zu Grunde, und ist der Rest im neuen fremden öden Lande angekommen, dann treibt sie der Hunger auseinander. Der eine Haufe sucht hier, der andere dort Lebensmittel, der Stamm zerstreut sich, und die vereinzelten Familien ziehen hierhin und dorthin, der Name des Stammes verliert sich. Nach hundert Jahren stehen vielleicht in irgend einem unwirthbaren Thale der Felsengebirge ein paar elende Hütten, angefüllt mit armen zitternden Menschen, die sich kaum noch von Jagd Fischfang und Baumrinde ernähren. Kein Mensch kommt mehr zu ihnen; ein Wanderer, der von ferne vielleicht einmal den Rauch aus ihren Hütten sieht, wird dann bedeutet: das sollen die letzten Sioux sein.

Das ist das Schicksal der Indianer und dies ereilt sie immer rascher und furchtbarer. Die Amerikaner haben niemals ernstlich etwas versucht, was irgend eine wirkliche Aussicht gegeben hätte, die Indianer zu retten. Noch jetzt ist es auf den Gränzen der Ansiedlungen eigentlich straflos, einen Indianer ohne Noth niederzuschießen. Selbst wenn ein Kläger sich fände, der Mörder würde dennoch vor dem Gerichte leichtes Spiel haben. Könnte das Geschichtsbuch Amerikas einst leuchtend werden, wie das Sonnenlicht: diese dunkeln Blätter würde Niemand wieder herausreißen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III