Abschnitt 1

VIII.
Kulturpioniere.


Am obern Missouri wo über die Prairien der monatlange Weg nach fernen Gebirgen und Küstenländern zieht, steht ein Wegweiser an einem Scheidewege; auf dem einen Arme ist zu lesen: Nach Mexiko, – der andere zeigt: Nach Kalifornien. Gerade wie bei uns von Dorf zu Dorf, zeigt der hölzerne Wegweiser naiv in die unermeßlichen Prairien hinein. „Da hinein geht’s! nur die Richtung brauchen wir, das Durchfinden ist unsere Sache,“ so denkt dies kühne Volk, das sich fort und fort in ungezählten Schaaren in die Prairien und Wälder ergießt. Die Leute gehen vielleicht ein paar Tagereisen in der Irre, was schadet’s viel, sie finden sich doch wieder zurecht, eine trockene Stelle zum Schlafen giebt es überall, und wenn das Mehlfäßchen leer geworden und verbrannt wird, schafft die Büchse neuen Mundvorrath herbei. Ihr Leben ist Mühsal und Entbehrung, und der Gewinn rinnt auch bald wieder durch die Finger, – aber die köstliche Freiheit dauert. Jede Schaar macht sich ihre eigenen Gesetze, und wer nicht einstimmt, trennt sich ohne Weiteres von den andern. Die Welt ist ja ringsum offen für ihn und seine Zuversicht ist ebenso gränzenlos. Das freie Schweifen in eigenthumslosen Gegenden, das ewige Rauschen von Wind und Wald, der ungehemmte Blick weit über die offene Prairie, das lebendige Wasser das man durchschreitet, das aufspringende Wild, die einfache Kost, gewürzt durch Hunger und Gesundheit, das täglich feurigere innere Kraftgefühl, und dann die blühende Einsamkeit bei Tage und die friedliche Stille am Nachtfeuer, wenn hoch oben die Sterne unermeßliche Räume durchblitzen, – wer an diese Reize einmal gewöhnt ist, den locken sie immer wieder, so lange das Mark in den Knochen noch nicht taub geworden.


Und wie leicht gewöhnt man sich daran! Man braucht nicht die angeborne Nomadennatur der Amerikaner zu haben, die Natur des Landes erzeugt von selbst den indianischen Hang zum Schweifen und zum Wechseln der Augenweide. Das Land ist so groß so weit so einförmig, der Mensch erscheint sich wie eine Welle, welche dahin fährt auf dem Ozean der Prairien, wie ein spielendes Blatt im endlosen Waldgewoge. Auf keiner Stelle mag er haften mit Liebe und mit Haß. So lange es noch herrenlose Gebiete giebt, wo die Natur den Menschen ruft: komm und nimm was ich bringe, – so lange wandert die Beutelust durch die Wildnisse. Und wenn all das Volk, das jetzt jenseits der letzten Ansiedlungen streift und wirthschaftet, mit einem Schlage zu Boden sänke, so würden die amerikanischen Städte und die europäische Einwanderung wieder genug junges Volk in die Einöden schicken, Leute die sich zu gut halten oder zu wenig verstehen, um in den Unternehmungen der Rowdies oder verwegenen Spekulanten jene Jagd- und Beutelust zu befriedigen, welche unbezähmbar in allem erwacht. das den amerikanischen Boden betritt. Die Pioniere der Civilisation verlegen die Schauplätze ihrer Thätigkeit immer weiter, je weiter die Civilisation selbst ihnen nachrückt: allein sie haben noch jetzt ganz dieselben Ansichten und Neigungen Gesetze und Gebräuche, und gliedern sich noch jetzt in dieselben Klassen und Gruppen, wie ihre Vorfahren vor zwei und drei hundert Jahren.

Da ist zuerst der Ansiedler, der Hinterwäldler. Er will das Land ohne es zu kaufen. Ihn lockt die grüne Einsamkeit, in welche er das Gold des Korns einsäen will. Fette Gründe sucht er im wilden Wald und Wiesengrund, wo der Mais gedeihen kann und ein Flüßchen Wasser und die Hoffnung zur Errichtung einer Sägemühle giebt. Da baut er ein Hüttchen aus rohen Baumstämmen, deren Fugen er dürftig mit Moos und Lehm ausstopft, und ackert und jagt ein paar Jahre in ungestörter Einsamkeit, bis der erste Fremdling kommt, der Land kaufen will. Dann leidet es ihn nicht mehr, er bietet die Frucht seiner mehrjährigen Arbeit für ein paar hundert Dollars aus und verfolgt jeden, der in seine Nähe kommt, bis er seine Stätte losgeschlagen hat. Der andere Morgen schon sieht ihn beschäftigt, seine Habe auf den kleinen Wagen zu bringen und seine paar Stück Vieh zusammen zu treiben, und sein nächster Nachbar erfährt seinen Abzug erst, wenn er bereits fünfzig Meilen weiter westlich nach einem andern Platze sucht. Diese Waldsiedler können nicht mehr anders: wo das Thier geboren ist, da will es leben. Es steckt in dem Menschen ein eigenthümlicher Hang, in die wilde Natur sich von neuem zu vertiefen, die Civilisation zerstört diese Neigung und Fähigkeit; ist aber der Mensch einmal Jahre lang in der Wildniß und Einsamkeit, so gewinnt sie wieder Macht über ihn. Er akklimatisirt sich nicht mehr in der Geselligkeit, gleichwie dem Beduinen nur leicht und wohl ist im brennenden Sand und in der Freiheit der Wüste, weil die Natur seines Geistes und Körpers sich einmal danach gerichtet und gebildet hat. Gegen seines Gleichen aber verhält sich der amerikanische Waldsiedler abgewendet und schweigsam, wie erstarrt und verhärtet in seinem Innern und zurückgezogen auf seine eigene Kraft, auf die Kraft seines Armes, die Verschlagenheit seines Geistes und die Sicherheit seiner Büchse, deren Kugel jedes Eichhörnchen, das er vom hohen Baume haben will, so geschickt zwischen Ast und Fell streift, daß das Thierchen betäubt, jedoch unverletzt ihm in die Hand fällt.

Ein unstätes und unruhiges Volk sind die Metallgräber. Mit unsern Berg- und Hüttenleuten kann man sie gar nicht vergleichen, nicht allein weil sie nicht im Schooße der Berge arbeiten, sondern weil sie vom kunstmäßigen Bergbau und Hüttenbetriebe keine Ahnung haben. Sie wühlen blos nach Metall, das sich leicht losreißen und verwerthen läßt, in den Hügeln Bächen und im aufgeschwemmten Lande; ihre höchst einfachen Geräthschaften und Handgriffe lassen sich in einem Vormittag auslernen; ihre ganze Wissenschaft könnten sie in einer Viertelstunde vortragen, wenn sie wirklich dieselbe einem Andern vertrauen wollten. Denn das Hauptstück dieser Wissenschaft besteht in der Kenntniß ergiebiger Plätze und in der Kenntniß der Anzeichen, durch welche sich jene guten Plätze schon an der Oberfläche der Erde kund geben. Von diesem Wissen verräth aber der eine dem andern nur so viel, als durchaus nöthig ist, um Mitarbeiter anzuziehen und durch ihre Hülfe zu gewinnen. Gold Kupfer Blei, – der Reichthum daran, der fast offen zu Tage liegt. ist ungeheuer. Ihn auszubeuten ergießen sich die Metallgräber in großen und kleinen Schaaren über die Gegenden am obern Mississippi, an den obern Seen, und in Kalifornien. Wie mancher Goldwäscher wandert einsam die Bachgerinne in den kalifornischen Bergen hinauf, wie manches Bleigräberpaar bleibt für sich allein wochenlang draußen zwischen den Hügeln in Iowa und Illinois. Wo ihrer mehrere beisammen arbeiten, fehlt nie unter ihren Blockhütten der Laden des Händlers. Dieser zieht den Hauptgewinn ihrer Arbeit. Denn ihr einförmiges schmutziges Tagewerk macht, daß sie sich gern dem Trunk und wilder Fröhlichkeit ergeben, und der Zufall, dem ihre Arbeit täglich ausgesetzt ist, ob sie nämlich reiches Metall finden oder nicht, befördert in ihnen den Hang zum tollen Wagen und Spielen. Trunksucht und Spielsucht aber haben stets die dritte Schwester, die Raufsucht, im Gefolge. Die Streitigkeiten unter den Metallgräbern hören nie auf und endigen jenseits der Staaten entweder mit einem Lynchgericht, das kaltblütig einen Menschen vom Leben zum Tode bringt, oder wenn die Parteien sich die Wage halten mit blutigen Gefechten, bis die besiegte Partei verdrängt ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III