Abschnitt 3

VII.
Natur und Schicksal der Indianer in Nordamerika.


Nach festem Recht und Gericht haben die Indianer kein Verlangen, sie bedürfen es nicht. Das Recht kann sich bei ihnen nicht entwickeln, weil Sondereigenthum an Grund und Boden dafür keinen Anhalt giebt. Am beweglichen Vermögen ist Eigenthum anerkannt, es wird, außer durch Jagd und Krieg, durch Handel Tausch und Familienerbschaft erworben. Sklaven kennen sie nicht, der Kriegsgefangene wird getödtet oder in den Stamm als ein Familienglied aufgenommen. Raub und Beleidigungen rächt jeder selbst, er ist eben sein eigener Richter so lange, bis er den Unwillen, den Widerstand, die Rache der übrigen hervorruft.


Ueberaus scharfsinnig und schlau benehmen sich die Indianer auf der Jagd, im Ueberfall des Feindes, in der Rathsversammlung. Da sind sie reich an Listen, welche sie mit unglaublicher Zähigkeit und Verstellungskunst ausführen. Die Kunst, zum Beispiel, zu telegraphiren, verstehen sie vortrefflich. Im Kriege und auf der Jagd geben sie sich auf weite Entfernungen hin untrügliche Zeichen durch die verschiedene Art, wie sie Feuer und Rauch machen und farbige Decken gegen die Sonne stellen. Ihre sonstigen Geschäfte besorgen sie mit großer Trägheit und Sorglosigkeit. In der Verfertigung von Schmucksachen und Geräthen bleiben sie den überlieferten Handgriffen treu, und zeigen einen gewissen rohen Geschmack darin, der sich an bunten Figuren und Farben ergötzt. Aus farbigen Lederstreifen, bunten Steinchen, hellen Thierzähnen, Federn und Haarbüscheln wissen sie allerlei Verzierungen an Waffen und Kleidungsstücken anzubringen.

Auffallend ist ihr Unvermögen, Ideen zu verbinden und Schlüsse zu ziehen. Ihr geistiger Blick hat immer nur die gerade Richtung bald auf das eine, bald auf das andere, daran bleibt er kleben und erhebt sich nicht zum Ueberschauen des Ganzen. Auch fällt es ihnen sehr schwer an die Zukunft zu denken und dafür Pläne und Anstalten zu machen, wohl aber haftet ihr Gedächtniß und ihr Denken mit Zähigkeit an vergangenen Ereignissen. Die Zukunft ist für sie inhaltslos, weil ihr Geist nichts hinein zu legen vermag. Die Indianer sind, noch viel mehr als unsere ungebildetsten Bauern, schwer von Begriff, und ihre vielbewunderte Schweigsamkeit und Selbstbeherrschung möchte, wie vielleicht auch bei vielen ihrer Landesnachfolger, den jetzigen Amerikanern, hauptsächlich in der Trockenheit ihres Geistes den Grund haben. Wenn der Hunger des Winters sich festsetzt in den Indianerhütten, dann werden schon die Kinder bedeutet, schweigend zu hungern. So werden die Wilden schon von Jugend auf gewöhnt, Leiden und Qualen schweigend zu ertragen, bis sie lautlos verenden wie der verwundete Hirsch im Dickicht. Wenn der Indianer Hunger hat oder wenn ihn sonst etwas quält, so greift er zur Pfeife. Ihre narkotische Wirkung unterbricht den Gedankengang seines Geistes wie den Stoffwechsel seines Körpers. Das ist es was er will, vergessen. Weil sein Geist ihn nicht höher trägt, weil er über Ursache und Wirkung nicht nachdenkt, noch weniger beides begreift, so ist sein Fatalismus natürlich. Der Knabe weicht dem Schlage aus, den er kommen sieht, ist er aber getroffen oder überfällt ihn sonst ein Weh, dessen letzte Ursache er nicht begreift, so weiß er nichts anderes zu thun als still zu leiden: die Natur unterwirft ihn dem Leiden, nicht thut es sein Heldenmuth. Mittel ein Unglück abzuwenden oder gar Vorbeugungsmittel auszudenken, würde dem Indianer gar zu schweres Kopfbrechen machen, es würde doch nichts anderes als Kindisches dabei herauskommen: deshalb denkt er lieber gar nichts, wickelt sich in seine Decke und wartet das Ende ab. Als die Indianer zum erstenmal von Blattern befallen wurden, – auch dies Unglück brachten ihnen die Weißen, – da lagen sie entweder ganz still und lautlos und starben wie die Fliegen weg, oder gequält von dem inneren Brande liefen sie wie besessen umher und stürzten sich in die Flüsse, um Kühlung zu suchen. Das Unglück fiel über sie her wie ein Ungeheuer, unter dessen Griffen sofort jede Regung ihres geistigen Selbst zerfleischt wurde.

Der Mangel an Fassungsgabe für anderes als für das Allernächste zeigt sich auch in einer andern Eigenthümlichkeit. Kein Indianer ist für ein Gemeingefühl, für eine Idee zu begeistern. Nur was ihn selbst trifft, regt ihn zur Thätigkeit auf. Aus Stolz Ehrtrieb Rache duldet und unternimmt er das Aeußerste mit großer Ausdauer, alles andere berührt ihn kaum, er hat kein Verständniß dafür.

Die Natur des geistigen Vermögens der Indianer spiegelt sich am deutlichsten in ihrer Sprache, denn die Sprache ist bekanntlich der geistige Mensch. Wenn Indianer mit einander sprechen, hört es sich artig an, es ist eine lebendige Mosaik von ganz einfachen Naturlauten, oft wie Vögelgezwitscher Pfeifen und Gurgeln, und dann wieder wie Tosen Aechzen Rollen. Aber in dieser Sprache ist kein Denken, oder es giebt sich nur sehr matt darin zu erkennen. Es fehlen zum größten Theil die allgemeinen Begriffe. Der Indianer sagt von seinem Nachbar: er ißt, er trinkt, er schläft, er jagt, aber niemals redet er von dessen bloßem Leben und Dasein; er hat kein Wort für das einfache Existiren, weil keinen Begriff dafür. Jede der zahlreichen Eichenarten kennt und benamt er ganz genau, jedoch fehlt ihm das Wort, welches den Gattungsbegriff Eiche ausdrückt; er ist noch nicht so weit gekommen, das charakteristisch Gemeinsame all der Eichenarten aufzufassen. Der indianische Wort- und Satzbau selbst ist ohne das logische Element. Für die einfachsten Dinge braucht der Wilde eine Menge zusammengesetzter Worte, und darin sind Sylben und Worte entweder rein äußerlich an einander gehängt, oder so, daß in das erste Wort die übrigen gleichsam eingeschachtelt werden: die Worte sind nicht aus einander hervorgewachsen, sondern zusammengeleimt. Die Rede selbst besteht ebenso aus lauter einzelnen abgerissenen Sätzen hinter einander, der Gedanke, welcher dem Ganzen Sinn und Leben giebt, schimmert nur undeutlich durch. Der Dakotah–Indianer sagt zu seinem Feinde nicht: weil du mein großes Volk beschimpft hast, deshalb mußt du sterben, – sondern: groß ist der Dakotah, ich tödte dich.

Mit dieser Natur der Indianersprache hängt auch zusammen, daß sie sehr individualisirend, überaus bildlich, naiv poetisch ist. Für Handwaschen hat sie z. B. ein ganz anderes Wort als für Gesichtwaschen, – ein Strom, dessen Ufer eingestürzt sind, heißt Acahela, wörtlich Wasser–Fresser–Land; – die schönste Stelle am Champlain–See, wo die Wogen an Felsen branden, führt den Namen Ticondaroga, wörtlich Wasser–Stein–Schlagen. Nach tieferen Gründen solcher Eigenschaften der Indianersprache braucht man nicht lange zu suchen, wir sind in dieser Beziehung fortwährend von einer Menge kleiner Indianer Umgeben. Die Kinder bis zum siebenten Jahre denken gerade so, bilden ihre Worte und Sätze gerade so wie die Indianer, und man kann sich leicht das Vergnügen machen, zu hören wie flink und lustig die Kinderzunge indianische Worte nachspricht, z. B. die Namen der sechs Nationen im New–York–Staat: Oneida, Onondaga, Cayuga, Seneca, Wyandot, Tuscarora.

Noch ein tieferer Blick in die Indianernatur hinein erschließt sich bei Beobachtung ihres religiösen Gebahrens. Des Indianers Charakter ist von einer ernsten Religiosität ganz erfüllt, sie beherrscht vollständig sein Denken und Thun. Es ist jedoch eine eigene Art von Religiosität.

Der Wilde glaubt sich überall von unsichtbaren Geistern umgeben, von Dämonen oder Manitus, in deren Gewalt zu kommen er sich fürchtet. In jedem Dinge, jedem Ereigniß, das ihn betroffen macht, steckt für ihn ein geheimnißvoller Geist: so im Bär oder Büffel der seinem guten Schuß entgeht, im wildrauschenden Strom oder Gewitter, im heranrasselnden Dampfschiff, im Ticktack der Uhr. Wie alle Völker niederer Bildung, glaubt er fest an Träume, an Ahnungen, und hat tausend gute oder böse Vorbedeutungen. Nicht das kleinste Werk unternimmt er, ohne vorher die Manitus durch Opfer Beschwörungen und allerlei Teufeleien zu sühnen und sich geneigt zu machen. Kein Bursche geht auf seinen ersten Kriegspfad aus, ohne durch Nachtwachen Fasten und Beschwörungen an einsamen Orten sich seinen Schutzgeist, gleichsam seinen Leibmanitu einzusaugen, den er wie durch plötzliche Eingebung auf einmal in einem bunten Steinchen, in einem Ast oder Wurzelfigürchen zu entdecken glaubt. Der heilige Sack, welcher bei den religiösen Tänzen der Indianer eine große Rolle spielt, und hei dessen Berührung sie häufig in Zuckungen fallen, enthält nichts als eine Sammlung von allerlei Knöchelchen Muscheln und Holzfigürchen, an welche die Manitus gefesselt sind. Der Priester bei den Indianern, welcher fortwährend mit den Manitus umgeht und die Kraft seiner Beschwörungen am besten abzuschätzen weiß, kann nicht anders als ein Gaukler werden, der immer mit wunderbaren Zeichen und Beschwörungen zu erscheinen hat; um sich und die andern zu betrügen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III