Abschnitt 2

VII.
Natur und Schicksal der Indianer in Nordamerika.


Sieht man sich nun näher unter den Indianern um, in ihren Hütten, in ihren Rathsversammlungen, beobachtet man sie bei Jagden Schmausen und religiösen Festlichkeiten, so ist man sehr bald über ihr ganzes Leben und Treiben im klaren. Es ist alles bei ihnen einfacher unverfälschter Naturzustand, und dieser ist weder appetitlich, noch ist viel darüber zu sagen. Die Indianer thun nur das Nothwendigste, was die Leibesbedürfnisse verlangen, und auch das nur auf die roheste und ärmlichste Weise, – alle übrige Zeit spielen sie oder träumen sie. Ihre Hütten sind leicht hergerichtet aus Stangen und Zweigen, bedeckt mit Rasen Baumrinden Fellen und Matten. Die Kleidung bereiten sie sich aus Wildhäuten oder erhalten sie von der Regierung, oder tauschen sie ebenso wie Flinten Pulver und Blei von den Händlern ein. Etwas Mais ist das einzige, was die Familie durch Handarbeit der Erde abgewinnt, für die übrigen Lebensmittel ist sie auf den zufälligen Ertrag der Jagd, auf wilde Wurzeln und Waldfrüchte, auf alles kleine eßbare Gethier angewiesen. Der Hunger ist daher ein regelmäßiger Gast in den Indianerhütten. Des Winters ziehen sie möglichst tief in die Waldungen, welche ihnen etwas Schutz vor den Stürmen gewähren: dann leiden sie oft bittere Noth vor Hunger und Kälte und kommen dutzendweise um. Die Phantasie der Weißen, welche mitten unter dem Reichthum und Zwang des civilisirten Lebens Sehnsucht nach freier Wildniß empfinden, hat das Indianerleben ausgeschmückt; in der Nähe betrachtet, behält es kaum noch einen Reiz für halbverwilderte Kanada–Franzosen.


Die nordamerikanischen Indianer stehen unter den wilden Völkern verhältnißmäßig auf keiner niedrigen Stufe: ihr geselliges Treiben, ihr bürgerlicher Verband aber, ihre Intelligenz und Sprache, ihre Religion und Sittlichkeit tragen im Wesentlichen dieselben charakteristischen Merkmale an sich, welche den Ethnographen bestimmen, darin nur den Anfang der Kulturgeschichte, nur die ersten Keime der menschlichen Entwicklung zu erblicken.

Man wird in vielen Beziehungen die Indianer richtig auffassen, wenn man sie als große Kinder ansieht. Stoßen sie mit Weißen zusammen, so werden sie innerlich bange, sie sind mißtrauisch und achten auf Alles, weil sie Schaden an Leib und Gut fürchten, – sie nehmen sich zusammen, um anständig und würdig zu erscheinen, und sind behutsam in Reden und Handlungen, weil sie sich fürchten, ausgelacht zu werden. Und doch sind sie äußerst lobbegierig. Mit Loben und Rühmen kann man sie fangen wie die Fische mit dem Köder. Sind sie aber unter sich allein, in den tiefen Wäldern oder auf den fernen Prairien, wo sie an den weißen Mann und seine wunderbaren Waffen und Geräthschaften nicht mehr denken, so geben sie sich offen heiter und fröhlich, und wo einer etwas Gutes hat, bewirthet er seine Freunde und Nachbarn damit. Geiz und Selbstsucht sind ihnen unbekannt. Verbreitet sich in einer Dorfschaft die Nachricht, daß einer große Jagdbeute gemacht, so kommen sie aus allen Hütten heran, um am Schmause Theil zu nehmen, das versteht sich ganz von selbst. Dann sitzen und rauchen, spielen und plaudern sie den ganzen Tag zusammen und machen sich gegenseitig Spaß und Vergnügen durch allerlei Erzählungen.

Ihre gesellschaftlichen Einrichtungen sind höchst einfach. Von Familie Staat und Recht haben sie möglichst wenig, nur eben so viel als das Naturbedürfniß, die Noth, die zufällige Gewöhnung an einander hervorrufen. Das Anarchische ist der Grundcharakter ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse. Ihre Staatsverfassung würde so ziemlich wieder entstehen bei einer Schaar unserer Knaben, welche einen Tag lang in freier Natur sich selbst überlassen wären. Ihr Gesetzbuch ist noch kürzer als die zehn Gebote und wird weder aufgeschrieben noch auswendig gelernt.

Die Ehe wird ohne alle Feierlichkeit blos dadurch eingegangen, daß der junge Indianer in die Hütte der Eltern oder Brüder des Mädchens, oder dieses in die Hütte der Verwandten ihres Bewerbers aufgenommen wird, nach einigen Monaten oder Jahren baut der Mann sich seine eigene Hütte. Von wärmerer Zuneigung unter den Eheleuten ist nur eine leise Spur vorhanden, selbst das himmlische Glück der Liebe berührt nur selten und flüchtig die Herzen dieser Naturkinder. Die Frau ist die Sklavin des Mannes, das ist die Norm der Ehe. Gegen Mißhandlungen findet sie zweifelhaften Schutz bei ihren Verwandten. Gefällt die Frau dem Manne nicht mehr, so heißt er sie zu ihren Verwandten gehen, oder er nimmt sich eine andere hinzu, wenn er zwei ernähren kann jedoch beides ist selten, Gewöhnung und natürliche Gutmüthigkeit hält die Ehen zusammen. Selten erlaubt sich der Mann Schläge und Scheltworte gegen sein Weib. Lärmt sie ihm zu sehr in der Hütte, so geht er zu einem Freunde und macht seinen Spaß über das närrische Weib. Die Regel ist jedoch, daß sie es ihm in seiner Hütte behaglich zu machen strebt. Daß sie allein Gepäck und Kinder schleppen muß, oft mühselig auf weiten Wanderungen, daß sie die Hütte abbrechen und wieder aufschlagen muß, ferner Reisig hacken, das erlegte Wild holen, kochen, Matten flechten, Leder gerben, Moccassins und Jagdhemden machen muß, – das ist einmal hergebracht. Der Frau kommt alles zu, was sich auf die Arbeiten zum häuslichen Leben bezieht, – der Mann hat die Familie zu schützen, ihr durch die Jagd, welche ja auch für ihn eine Arbeit und oft mühselig genug ist, Nahrung zu schaffen, der Rathsversammlung zu pflegen. Daher überläßt der Mann seiner Frau auch die Herrschaft in der Hütte. In dieser hält sie allein Ordnung, sie weiset den Fremden ebenso gut wie den Brüdern und Verwandten den Platz an, der Mann mischt sich niemals darein. Man kann in dieser Scheidung des häuslichen und öffentlichen Gebietes, und in der Herrschaft, welche in dem ersteren der Frau eingeräumt wird, einen sittlichen Zug, eine Achtung vor dem natürlichen Rechte des Weibes nicht verkennen: dieser Gedanke ist aber auf der untersten Stufe seiner Entwicklung geblieben. Welch ein Abstand von den alten Germanen, welche nach Tacitus’ Worten in der Frau etwas Ahnungsvolles und Heiliges verehrten.

Lebhaft ist dagegen das Bewußtsein der gemeinsamen Abstammung; das Gedächtniß der Vorfahren und das Abzeichen des Stammes oder der Familie wird in Ehren gehalten, und Eltern, Kinder und Verwandte fühlen die Pflicht, im Nothfall für einander zu sorgen. Und dies geschieht häufig auf eine rührend kindliche Weise. Der Mann erträgt wohl einmal Tage lang die Hungerqual, damit die Alten und die Kinder seiner Hütte zu essen behalten.

Eine Art von Obrigkeit besteht nur durch das Ansehen der Weisen und Tapfern. Vor den Bewährten hat jeder große Achtung. Gehen die Männer auf den Kriegspfad, so ist der Beste der Anführer oder Häuptling. Die große Achtung und Bescheidenheit, mit welcher die jüngeren Männer zu den Alten aufsehen, in deren Häuptern sich so viele Kenntnisse und Listen für Jagd Krieg und Rathsversammlung, so viele Erfahrungen von der Wirksamkeit der Manitus sammeln, – dieser Respekt erinnert ganz an die Art und Weise, mit welcher die Knaben bei uns einen Erwachsenen betrachten. Wie diese nichts mehr fürchten, als sich in Gegenwart von Erwachsenen lächerlich zu machen, so schließt diese Furcht auch dem jungen Indianer den Mund, wenn er in der Gesellschaft von erfahrenen Männern ist. Immerhin aber bleibt diese Achtung vor dem Alter ein Charakterzug, von dessen sittlicher Schönheit die jetzigen Amerikaner in ihrem rohen Jugendstolze nicht einmal eine Ahnung haben.

Die Entscheidung jedoch beruht immer in der freien Rathsversammlung. Wer sich dem Willen oder der Meinung der Andern nicht fügen will, zieht unbelästigt von dannen und schlägt anderswo seine Hütte auf. Der Hunger, die Furcht vor Feindesüberfall, und vor allem die niemals ruhende Begierde, sich auszuzeichnen und Lob einzuernten, führt ihn häufig zu seinen Stammesgenossen zurück. Stirbt ein berühmter Häuptling, so nimmt man seinen Nachfolger gern aus den Sprößlingen seiner Mutter oder Schwester, gleichsam als wenn die Anlage zu Kraft und Weisheit nur durch die Weiber forterbte; freilich ist auch bei dem Leichtsinn der Indianerinnen die Vaterschaft unsicher.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III