Abschnitt 3

VIII.
Kulturpioniere.


Einzelne dieser verwegenen Burschen ziehen auch allein mit Pferd und Büchse und Decke in den Wildnissen umher und fristen ihr Leben vom Ertrage der Jagd. Dann kommen sie Monate lang unter kein festes Dach, die große wilde Natur überwältigt sie vollständig, ihr Aufputz wird roh und phantastisch im Geschmack der Indianer, wie diese werden sie scheu und rückhaltig vor den Weißen, und das Ende ist, daß sie sich eine Indianerin zugesellen und von den Ansiedlungen ganz zurückziehen. Für die Wilde aber ist es der Gipfel der Ehre und des Glücks, das Weib eines weißen Jägers zu sein; sie ist ihm treu und wachsam wie ein Hund, besorgt sein Lager seine Hütte und jeden Gang und jede Arbeit mit rührender Geduld, und bringt ihrem Gefährten bald zwei oder drei Buben zur Vermehrung jener häßlichen Menschenrasse, welche man indianisch Halbblut nennt.


Andere Weiße, welche sich den wilden Reizen des einsamen Jagdlebens ergeben, streifen gewöhnlich nur auf dem etwa zweihundert Meilen weiten Landgürtel umher, der die Ansiedlungen von der völligen Wildniß trennt. Es sind gewöhnlich ernste schweigsame, aber gutmüthige und treue Menschen; einen Schimpf jedoch ertragen sie nicht und ihre Rache trifft, wenn auch erst nach Jahren, so sicher wie das Blei ihres Büchsenlaufs. Wochenlang bringen sie einsam in den tiefen Wäldern und auf der hellen Prairie zu, streifend auf fette Bären und Hirsche. Nur um die Schärfe von Blick und Hand zu prüfen, schießen sie den Adler herunter, der hoch oben über dem Wäldermeer in den blauen Lüften seine stillen Kreise zieht, von unten aus den grünen Grüften nur dann sichtbar, wenn die Sonne seinen Hals beglänzt. Die Ehre einen Panther zu jagen, ist jetzt äußerst selten geworden. Auch Biberfallen zu stellen, verlernt man, weil der Biber sich gar zu weit zurückgezogen hat. Der Jäger baut sich hier oder dort, je nachdem die Jagd ergiebig ist, das nächste Jahr vielleicht viele Tagereisen weiter, sein höchst dürftiges Blockhaus; kaum hält es Sturm und Schnee ab, ein tagelanger Regen dringt regelmäßig durch. Wenn es hoch kommt, zieht der Inhaber nahebei etwas Mais und Bohnen. Statt dessen füllt er seine Hütte mit Hirschschlegeln, Bärenschinken, wildem Honig und Ahornzucker. Dafür tauscht er ein, Pulver Blei Kleider und ein wenig Mehl. Ein solcher Jagdmann ist auf fünfzig Stunden in der Umgegend bekannt, bei dem Hinterwäldler und in der Hütte des Indianers; der Jäger bringt der Rothhaut wohl einmal eine Flasche Whisky und der Indianer überläßt ihm eine Nacht Hütte und Squaw. Wenn der Jäger auf seinen Streifereien keine menschliche Wohnung in der Nähe weiß, macht er sein einsames Nachtfeuer am Waldsaume, wo es trocken ist und er weithin blicken kann. Selten jedoch lebt und stirbt noch jetzt Jemand als Jäger. Die Ansiedlungen rücken zu rasch in die Gegend, wo er alle guten Jagdplätze kennt, und mit dem Ansiedler kommt irgend eine Evatochter, welche den wilden Jäger zum gesetzten Farmer macht, wenn er nicht vorzieht, sich auf Pelz- und Holzhandel oder dergleichen zu verlegen.

All die vorbezeichneten Gruppen bringt in ständige Verbindung mit einander der wandernde Händler. Der Handel ist das wahre Leben Amerikas und erhält seine Bevölkerung in fortwährender Bewegung, in rastlosem Sinnen und Trachten. Außer den Kaufleuten und Krämern, welche in den aufblühenden Städten und Städtchen ihre festen gewinnreichen Plätze finden, giebt es noch eine Menge von Händlern, welche ruhelos umherstreifen, um zu sehen wo sich ein Geschäft machen läßt. Merkt ein solcher, daß an einem Platze Sachen und Waaren billig sind und an einem andern fehlen, gleich macht er sich auf, kauft zusammen, bringt seine Fässer und Säcke auf Dampfschiffe und Wagen, und fährt hin, wo man seiner Waaren bedarf. Auch das Leben dieser Leute ist eine Kette von Wagnissen und Abenteuern aller Art. Sie streifen bis zu den entlegensten Posten der Metallgräber und Holzfäller, nehmen deren Ausbeute gegen Dollars Mehl Branntwein Kleidungsstücke Geräthschaften und allerlei Tand in Empfang. Auf den ersten Blick erkennen sie, was sich dort finden und verwerthen läßt, und regen die Leute an, es herbeizuschaffen. Auf der untersten Rangstufe der Kaufleute steht der wandernde Krämer. Er zieht mit seinem Wägelchen im Lande umher, öffnet vor den Frauen der Hinterwäldler seine Kasten und schwatzt ihnen mit der geläufigsten Zunge seine Siebensachen auf. Der Indianerhändler versucht sein Glück bei den Wilden und nimmt ihnen durch Pfiffe und Ränke ab, was sie auf der Jagd erbeuten und was sie an Geldern von der Regierung für abgetretene Ländereien bekommen. Wo die Blockhütten der Hinterwäldler dichter stehen oder Schaaren von Metallgräbern und Holzfällern längeren Halt machen, stellt sich der Ladenhalter ein, ein Kaufmann für alles, hinter und unter dessen Tische sich das Gemeinste und das Feinste findet, was Menschen und Thiere in jenen entlegenen Gegenden brauchen, ohne es aus erster Hand von der Natur nehmen zu können. Kramschiffe lassen sich von Dampfböten die Flüsse aufwärts bringen und treiben dann stromab, indem sie hier und da anlegen und Handel machen. Mit den früher auf den westlichen Flüssen so zahlreichen Flachbooten, roh zugerichteten langen Fahrzeugen, sind bis auf wenige Reste auch die Flachbootmänner verschwunden. Diese waren die Matrosen des Mississippi, welche die unbehülflichen großen Bretterschiffe mit den darauf aufgehäuften Waaren von Ort zu Ort steuerten, auf den wilden Gewässern Arbeiten Gefahren und Kämpfe aller Art bestanden und zu den lustigsten verwegensten und wüstesten Gesellen unter der Sonne gehörten. Die meiste Poesie des Händlerlebens kosten jetzt noch die Leute, welche aus den Vereinigten Staaten die Waaren über die Prairien weg in’s innere von Mexiko bringen. Ihre langgedehnten Züge von befrachteten Pferden und Maulthieren ziehen Woche auf Woche schwarze Linien durch die grünen einsamen Fluren; unterwegs müssen sie gerüstet sein, einen Strauß mit feindlichen Indianern zu bestehen, und am Reiseziele angelangt bedürfen sie aller Schlauheit und Mannhaftigkeit, das Gesindel unter Behörden und spanisch–indianischem Volke abzuwehren und die größtmögliche Menge von Dollars für die Waaren sicher in ihre Taschen zu bringen. Es war früher die Rede davon, die Kameele zu diesen Waarentransporten zu benutzen, denn die Amerikaner haben auf alles in der Welt ein Auge was sie vielleicht brauchen können. Ehe indessen jene Wüstenschiffe des Orients und Afrikas in der neuen Welt in hinlänglicher Zahl im Gange wären, würden sie durch die rasch entstehenden Eisenbahnen überflüssig werden.

Die gemeinsame Sprache, welche all die bezeichneten Gruppen und Arten der Pionire mit einander verbindet, ist die englische, die Sprache, welche jetzt am weitesten auf der Erde geht. Die englische Sprache ist, wie die deutsche in der Wissenschaft, die französische in der höheren Gesellschaft, vorherrschend im Welthandel und überall auf den Meeren und in den Wildnissen und unter entlegenen Völkern, wo die Kraft und Kunst des Europäers sich geltend macht. Jedoch hört man unter den Kulturpioniren in Nordamerika auch Französisch, Deutsch und Spanisch. Der kentucky’sche Schlag ist es aber, nach dem sie am meisten arten. All das wilde Volk, das vor hundert Jahren aus den südlichen und mittleren Staaten über die Alleghanieberge stieg und den Mississippi hinaufschiffte und im Kampfe mit der Natur und den Indianern mitten durch die weiten Wildnisse die ersten dünnen Kulturstriche zog, in welchen Ansiedlungen und Familien aufwuchsen, hat seinen Nachkommen die gemeinsame ächte Hinterwäldlernatur hinterlassen, welche man die Kentucky’sche nennt. Der Kentuckier bringt überallhin seine riesige Körperstärke, seine Tollkühnheit, den ungeschlachten Trotz, das warme Herz und den unverwüstlichen Humor. Nächst dem Kentuckier ist am meisten vertreten der Yankee, der trockne harte Spekulant und Arbeiter im Kleinen und Großen. Unter dem gemeinen Troß der Jäger Holzfäller und Metallgräber hält sich der Yankee nicht lange auf; denn er versteht Rechnen und Handel und Wandel, bekommt leicht etwas Kapital in die Hände und stellt sich als Unternehmer an die Spitze dieser Fischzüge in der Wildniß. Der französische Amerikaner, – das heißt der aus dem Norden, nicht der sinnliche und laue Kreole aus dem Süden, – ist der geborne Jäger, der geduldigste Pfadsucher und Karrenführer in den Einöden, der geschickteste Matrose auf den großen Flüssen und Seen, aber selten wird er ein fester Ansiedler. Auch der spanische Amerikaner stellt sich ein unter den Jägern und Metallgräbern; für den Ackerbau hat er nicht Ausdauer und ist ihm der Gewinn nicht lockend genug. Der Deutsche ist unter allen Gruppen zahlreich, verhältnißmäßig am wenigsten unter den entlegenen Hinterwäldlern. Zu diesen flüchtet sich nur der gebildete Deutsche, um in Arbeit und Oede Trost zu suchen für die Wunden seines gerissenen Gemüths, – im besten Falle ein rechter Narr, im gewöhnlichen ein armer unglücklicher Schelm, dessen Elend und Seelenleiden der schweigende Urwald bedeckt. Deutsche aus solchen Klassen, welche die Gewöhnung an Handarbeit mitbringen sind in der Regel zu gescheidt, um sich anders als in kleinen gemeinsamen Ansiedlungen soweit in die Wildniß hinein zu wagen. Sie überlassen die erste rohe Arbeit der Liebhaberei der Kentuckier und Yankees, kaufen ihnen später die gelichteten Plätze ab und machen nach und nach stattliche Gehöfte daraus. Bei sonstigen Unternehmungen in der Wildniß nimmt der Deutsche häufig in der Führerschaft die nächste Stelle nach dem Yankee ein. Als Führer von kleinen Handelskaravanen haben sich schon mehrere Deutsche ausgezeichnet und Vermögen erworben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III