Abschnitt 6

IX.
Junge Städte im Westen Nordamerikas.


Mit Gedanken und Plänen dieser Art trägt man sich in den kleinen wie in den großen Städten des Westens. Soweit längs dem Geäder der großen Flüsse und Seen die hellen Punkte der Städte und noch fünfzig Meilen weiter vom Uferrande in’s Land hinein die grauen Pünktchen der Ansiedlungen eingestreut sind in das unermeßliche Grün der Wälder und Prairien, – so weit arbeitet überall in den Leuten derselbe Eroberungsgeist, der das Land in Besitz nehmen und ausbeuten will auf dem raschesten Wege. Die Civilisation ist mit einer solchen neuen Stadt der Wildniß gleichsam mit der Thür in’s Haus gefallen. Die Stadt ist nicht gebaut, sie ist „ausgelegt;“ denn auf Dampfschiffen und Wagen wurden alle Bautheile fertig aus den Fabriken bezogen, zusammengesetzt, das Innere der Häuser mit Tapeten ausgeschlagen, das Aeußere weiß angestrichen, gerade wie Kinder ihre Nürnberger Spielsachen aus dem Kasten nehmen und Dörfer und Städte machen. Und nun glänzt und lacht das neue Städtchen in seinem saubern weißen Anstrich mitten in der grünen Wildniß, als wäre es eine Zuflucht idyllischen Friedens weit ab vom Getöse des Weltmarktes. Aber dieser Weltmarkt rollt auch hierher seine Wogen und sein Getümmel. Beutelustig, unternehmungsfeurig, lernbegierig, sprechbegierig treibt sich das Völkchen wieder durch einander auf seinem neuen Sammelplatze. Alles was wird und geschieht, muß erst öffentlich durchgesprochen und durchgekämpft werden. Dadurch kommt eine Masse von Anregung und Wissen ins Volk, daß auch in den entlegensten Ortschaften des Westens jene europäische Klasse von Leuten nicht Stich hält, welche in Unwissenheit, roher Handtirung und demüthiger Selbstbeschränkung gleichsam erstarrt sind.


Allen voran sind auch in den jungen Städten wieder die Yankees als die rechten Ritter der Industrie, als Landspekulanten, Unternehmer, Prediger und Advokaten. Der Kentuckier ist immer nur Jäger und Hinterwäldler, er zieht nur die ersten Furchen in die Wildniß: der Yankee aber ist der Städtebauer, der Schanzgräber für städtische Kultur.

Er kommt oft viele hundert Meilen her an einen Platz, wo kaum erst ein paar schlechte Hütten stehen, allein er hat die ganze große Stadt, welche hier sich erheben muß, schon im Kopfe und beeilt sich der erste zu sein, welcher den Rahm von der Milch schöpft, Land und Bauplätze zu kaufen und neue Geschäfte auszusinnen. Kaum daß von einer irgendwo neu in Ansiedlung genommenen Gegend etwas verlautet, gleich weiß er den Weg dahin, es ist als hätte er es wie ein Jagdhund in der Nase.

Die schmutzigsten Geschäfte in jungen Städten fallen den Irländern zu, welche sich müssen umherstoßen lassen, als hätten sie ihr Menschenrecht verloren. Selbst der Neger, der sich niemals, was ein Werthmesser seines nationalen geistigen Vermögens ist, in irgend einer Sprache richtig ausdrücken lernt, macht sich in seinem Kauderwelsch über den liederlichen und schmutzigen Irländer lustig. Nur wenig besser ergeht es den armen Deutschen, welche nicht mehr vermögen als Taglöhnerarbeit zu thun, und neben den Irländern ihre ärmlichen Bretterhütten auf den äußersten Rändern der werdenden Stadt ansetzen. Aus dem rohen und häßlichen Stoff der eingewanderten Irländer wird in Amerika kein besseres Holz mehr geschnitzt, ihre Söhne erheben sich um so rascher in allen Dingen, wodurch ein Amerikaner groß wird. Mit den Kindern der Deutschen geht das nicht so geschwind, wohl aber erhebt sich die eingewanderte deutsche Familie selbst durch Fleiß und Sparsamkeit langsam zu besseren Verhältnissen. Auch gehört den Deutschen gleich von Anfang der Stadt ein beträchtlicher Theil der besseren Häuser, wenige in der Hauptstraße, desto mehr in den anstoßenden Nebenstraßen. Die einzigen Gelehrten in einer jungen Stadt kann man nur unter den Deutschen suchen, sie sind Aerzte, oder verrichten Taglöhnerarbeit als Schullehrer, oder leben still und zurückgezogen vom Ausleihen kleiner Kapitalien, welche zwar hohe Zinsen bringen, nicht selten aber mit den Zinsen verloren gehen.

Die bestbebauten Farmen in der Umgegend gehören in der Regel Deutschen. Wir machen einen Ausflug zu dem einen oder andern, weil es dem Besucher einer jungen amerikanischen Stadt, wenn er selbst keine Geschäfte dort besorgt, in dem Bienenkorbe voll Geschäftsthätigkeit sehr bald langweilig wird. Die nächste Umgebung der Stadt ist höchst widerlich. Die häßlichen Fenzzäune Gestrüppe und Pfützen, dazwischen weggeworfenes altes Geschirr Kleiderlumpen Viehgerippe und Kuhhörner, sind der Schmuck des Bodens. Auch von den schönen Waldbäumen steht nichts mehr als modernde Stümpfe. Wo der Amerikaner sich niederläßt, da wirft er sich wie aus angeborner Feindschaft gleich auf die Bäume. Jeder wird umgehauen, als stände hinter jedem ein Indianer mit dem Tomahawk. Nur ein leeres Feld, wo nirgends eine Baumgruppe Schatten und für das Auge einen Ruhepunkt giebt, entspricht seinem Schönheitssinn. Es erreicht auch die bestbebaute amerikanische Gegend selten die landschaftliche Schönheit einer europäischen. Man erblickt zwar eine Menge weißer Häuser und Ortschaften verstreut über die grüne Fläche und zwischen die Hügel, überall stehen noch Waldstückchen: aber das Ganze sieht kleinlich und zerhackt aus. Denn nur der Einzelbesitz und was ihm Nutzen bringt, prägt sich hier der Landschaft auf, es fehlt die Abwechselung von großen Wald- und Feldgruppen und freundlichen Dörfern, welche sich halb in Gärten und Obstgrün verstecken. Die amerikanische Hand zerreißt den Erdboden nur, die deutsche schmückt ihn unwillkührlich. Die deutsche Landschaft erinnert an Gemeinschaft und Brüderlichkeit, die amerikanische nur an Egoismus.

Eine neue amerikanische Stadt behält noch lange Zeit einen oft mehrere Stunden breiten Gürtel von Wald oder Prairie, in welchem die Farmen erst spärlich vorkommen. Erst hinter diesem Gürtel werden sie zahlreicher, denn dort ist das Land billig, in der Nähe der Stadt aber theuer. Die Eigenthümer halten letzteres absichtlich so hoch im Preise, damit sie nur wenig verkaufen, bis zur Zeit, wo die Gegend volkreicher und das Land werthvoller geworden. Es gehört das zu den Operationen des Landhandels, der im ganzen Westen Amerikas in jeder Stadt und in jeder Hütte Tag ein Tag aus eines der hauptsächlichsten Geschäfte ist. Die Bauplätze einer neuen Stadt befinden sich sämmtlich und fortwährend gleichsam auf der Börse, bald steigen sie in diesem, bald fallen sie in jenem Stadtviertel im Werthe, und die schlauesten und künstlichsten Mittel werden angewandt, um das eine oder andere zu bewirken. Noch viel abgefeimter betreiben die Landspekulanten ihre Sache.

Der Landhandel ist noch immer das einträglichste Geschäft in den Vereinigten Staaten. Durch ihn vorzüglich wurde der großartige Reichthum vieler alten Familien begründet. Daß dieser Handel einen so außerordentlichen Gewinn abwirft und zugleich mit ausstudirter Geschäftsfeinheit betrieben werden kann, ist in einem Lande natürlich, wo so ungeheure Strecken des fruchtbarsten Bodens unbenutzt liegen, und fortwährend aus den östlichen Staaten und aus Europa neue Ansiedler herbeiströmen, um jenen Boden einzunehmen. Die Sicherheit des Geschäfts stützt sich auf die beiden Thatsachen, daß unangebautes Land in Amerika spottbillig ist, daß es aber in jedem Jahre werthvoller wird, je mehr Ansiedler sich darauf oder auch nur in der Nachbarschaft niederlassen. Es wimmelt daher der Westen von Landspekulanten wie ein unbewohntes Haus von Ratten. Sie vereinigen sich in Gesellschaften, kaufen Landstrecken größer als deutsche Fürstenthümer, machen dem Einwanderer den Ankauf guten Kongreßlandes aus erster Hand beschwerlich, und verleiten ihn durch allerlei Künste, kleine Stücke von ihrem Lande anzunehmen. Dabei gewinnen sie nicht blos den höheren Kaufschilling, den ihnen die ersten Ansiedler erlegen müssen, sondern der Hauptgewinn ist, daß durch die Besiedelung der Landwerth in der Gegend steigt. Die nachkommenden Einwanderer werden durch die vorangegangenen ebenfalls dorthin gezogen, und zwischen den bereits angebauten Plätzen erstehen sie die Zwischenstücke, welche absichtlich noch nicht verkauft waren, zu höheren Preisen. Die unglaublichsten Betrügereien werden angewandt, um die Ansiedler herbeizulocken, und man weiß von den Seeplätzen, wo die Einwanderer landen, bis zu dem bewußten Platze ein geheimes Netz von Agenten zu verbreiten, deren Händen und schlauer Leitung kaum der vorsichtigste Einwanderer entgeht. Reisende und ansässige Agenten, Druckschriften, Transportgesellschaften, Redakteurs von Zeitungen, anscheinend ganz wohlmeinende Advokaten und Handelsherren, und einflußreiche Leute im Kongreß und in den gesetzgebenden Versammlungen der Staaten wirken einträchtig zu jenem Zwecke; der Gewinn, den die Landspekulation abwirft, ist so ungeheuer, daß die Leiter des Geschäfts jeden kleinen Dienst reichlich lohnen können. Namentlich gilt es, Ansiedler in Menge und in kurzer Zeit heranzuziehen, wenn eine angekaufte Strecke sich nach einigem Anbau als ungesund erweiset. Dann müssen noch schnell Einwanderer herbeigeschleppt werden, ehe die Wahrheit durchdringt und die Gegend in üblen Ruf kommt. Da gehen dann die herrlichsten Schilderungen in die Welt, es werden angebliche Briefe bereits Angesiedelter voll der lockendsten Verheißungen verbreitet, eine Stadt angelegt und vor einigen prächtig aussehenden Bretterhäusern mit Hallen und Säulen besetzt, gute Verbindungswege in Aussicht gestellt oder zum Scheine schon in Angriff genommen, und was der Verführungskünste mehr sind. Ja bei der Herzlosigkeit, welche in Amerika den Einwanderern so leicht das Gemüth austrocknet und Sinn und Willen lediglich auf Gelderwerb zurichtet, kommt es vor, daß die Ansiedler, welche sich auf das klarste betrogen sehen, dennoch das Allerschönste in die Heimath schreiben, damit sie an neue Ankömmlinge selbst wieder Land verkaufen können. Daß die Geköderten zu Hunderten hinsterben, bis der Rest mit Verlust seines Vermögens und zerrütteter Gesundheit den Fieberlöchern, welche in der Regel mit dem üppigsten täuschendsten Baum- und Pflanzenwuchse bedeckt sind, entflieht. das fällt gar nicht in Betracht. wenn die Landspekulanten nur ihren Säckel füllen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III