Abschnitt 5

IX.
Junge Städte im Westen Nordamerikas.


Doch die schönsten Wasserstraßen genügen in Amerika nicht mehr. Die Fülle und der Schwung des Handels will raschere Wege nach und aus dem Westen. Kaum ist dort eine Stadt im Entstehen, so denken ihre Bewohner schon an Eisenbahnen. Alle die großen Städte des Westens wetteifern mit einander, ihre Eisenbahnen auszulegen nach allen Hauptpunkten des Verkehres. Wer am ersten damit fertig ist, gewinnt Millionen von Dollars. Kaum sind die ersten Schienen gelegt, so gehen die Unternehmer schon ans Werk, durch die seltensten Mittel die Aufmerksamkeit der ganzen Union auf die neue Eisenbahn zu lenken. Als die Bahn zwischen Chicago und dem Mississippi eröffnet wurde, luden zu ihrer feierlichen Eröffnung die Unternehmer gegen neunhundert Gäste aus allen Theilen der Union ein. Die Direktionen sämmtlicher Eisenbahnen, welche nach Chicago führen, boten auf das bereitwilligste die Hand zur Verherrlichung des Festes und sicherten allen Eingeladenen volle drei Wochen lang freie Fahrt zu. Jeder hatte deshalb bequeme Zeit, Hin- und Rückreise auch auf Umwegen zu machen. Aber die Eingeladenen wurden nicht blos mit freier Fahrt auf Eisenbahnen und Dampfschiffen und mit Musik Hurrahgeschrei und Festgepränge bedacht, sondern sie waren wirkliche Gäste der Eisenbahnherren; gegen neunhundert wurden wochenlang auf das glänzendste von diesen bewirthet. Eine so großartige Gastlichkeit übt man nur an Königshöfen oder in Amerika. Freilich ist sie gut angewandt, man könnte sie auch eine ächt amerikanische großartige Spekulation nennen. Was wollen bei einem so bedeutenden Unternehmen, das Millionen kostet und Millionen Gewinn in Aussicht stellt, fünfzig tausend Dollars sagen, welche mit der Bewirthung der Gäste aufgehen? Wird diese Ausgabe nicht zehnfach, hundertfach eingebracht werden, wenn durch solche Gastlichkeit all die Berühmten und Bedeutenden unter den neunhundert Eingeladenen sich für die Eisenbahn interessiren, wenn die glänzende Eröffnungsfeier Veranlassung giebt, daß wochenlang im ganzen Unionsgebiete die neue Eisenbahn in Zeitungen, auf Geschäftsstuben, in Familienkreisen besprochen wird, wenn dadurch angeregt sich Tausende mit ihren Geschäfts– und Ansiedlungs–Gedanken der neuen Eisenbahn zuwenden, – wenn endlich längs der ganzen Bahnlinie Niederlassungen Kaufläden Gasthäuser Sägmühlen Fabriken und Städte entstehen? Wo eine Eisenbahn herzieht, da bevölkert sich das Land auf beiden Seiten, da steigt der Bodenwerth rasch von zwei auf zehn und zwanzig Dollar für den Acker, und je rascher dies geschieht, desto größer ist der Gewinn für die Landhändler, unter denen sich sicher auch die Inhaber der Bahnaktien nicht vergessen haben, desto schneller wächst auch der gewinnbringende Verkehr auf der Bahn selbst.


Es ist wahrhaft wunderbar, wie rasch die eben erst aufblühenden Städte im tiefen Westen das Land mit Eisenbahnen durchzogen haben. Nicht lange mehr wird es dauern, so schnaubt das Dampfroß auch von den St. Antonsfällen nach dem obern Missouri.

Und wird es dort rasten? Freilich noch weiter westlich liegen nur erst kleine Ortschaften und Punkte von Städten, die Ansiedler in diesen Gegenden sind noch jung und spärlich, man kann sie noch bei Tausenden zählen. Und noch weiter westlich hinter ihnen liegen die Prairien, leer und unabsehlich; ihre endlosen Ebenen geben blos Büffelhäute Büffelzungen Pelzwerk wilden Honig Metalle und dergleichen ab. Da hinein verlohnt sich noch keine Eisenbahn, wenigstens jetzt nicht; nach ein paar Jahren, wenn die jungen Staaten dort Volks genug haben, werden sie sich schon nach Eisenbahnen umschauen. Aber weit dahinten, hinter den leeren Prairien, ja hinter den Riesenkuppen und Hochpässen der Felsenberge, da winken Oregon, Californien. Wie glänzt es da, wie wimmelt es da von Leuten und aufschießenden Völkern, wie schnell mehren sich die Städte, welche ungeheure Reichthümer deckt der Boden auf, welche prächtige Bayen hat die Küste, welche herrliche Flüsse und Wälder das Land! Wer schnell da wäre und all das Gute, all das Geld sich heranholen könnte für eigene Waaren! Und dann der unendliche indische Ozean vor den Küsten, San Franzisko ein Hafen wie es keinen bessern auf der Welt giebt. Von San Franzisko kann man nach China und Japan, nach Chili und Peru, nach Ostindien und Australien fahren. Also die große Westbahn! Dieser Gedanke sprang schon, ehe Californien seine Goldschätze ausschüttete, geharnischt aus den Häuptern. Es galt dem ganzen unermeßlichen Waarenverkehr, der von Europa die lange mühselige Straße um Afrika herum nach Asien und Australien gebracht werden muß, auf einem viel schnellern und kürzern Wege seinen Zug mitten durch das Herz von Nordamerika zu geben. Der Gedanke forderte sein Recht, er ließ sich nicht abweisen, er verlangte That zu werden. Die ganze Gewinnsucht, die ganze sprühende Unternehmungslust, selbst die große Eitelkeit der Amerikaner warf sich auf diesen Plan. Allein das Unternehmen war zu ungeheuer, die Prairien öde, ohne Lebensmittel, manchmal ohne Wasser, vor den Felsengebirgen die weiten Sandflächen, überall raubsüchtige mordsüchtige Indianer, und dann der Wall des Felsengebirges mit seinen selbst im Hochsommer schwer erweislichen Pässen. Man machte Pläne über Pläne zu dieser etwa zweitausend englische Meilen langen Bahn, jedoch die Ausführung schreckte noch zurück. Jetzt aber, wo Californien aufgetaucht ist wie ein riesenmäßiges Juwel, jetzt ist kein Halten mehr. Die große Westbahn soll und muß fertig, der atlantische und der indische Ozean sollen sich durch eine Eisenstraße ihre Grüße schicken.

Die Amerikaner haben Lust und Eifer zum Bauen, und Kapitalien und Leute fließen ihnen von allen Seiten zu. Längs dieser Straße werden Städte aufblühen und Farmen und Niederlassungen gegründet werden. Sie wird wie ein breiter belebender Strom die noch unbewohnten Gegenden durchziehen, und nach allen Flüssen und Hauptpunkten Zweigstraßen mit Ansiedlungen besetzt absenden. Jene öden wilden Gegenden, in welchen bisher nur Indianerhorden und Büffeljäger sich tummelten, und die Wagenzüge der Westwanderer die Büchse stets zur Vertheidigung bereit haben mußten, werden sich nach und nach in bewohnte Gebiete verwandeln. Der Waarenstrom, der sich an den Küsten des atlantischen und indischen Ozeans ablagert, wird sich mitten in den Vereinigten Staaten kreuzen. Ueber die Landenge von Panama führen bereits Kanäle und Schienen–Wege, diese Straße hat den so bedeutenden Vortheil der Kürze und Wohlfeilheit voraus. Aber die Amerikaner werden nicht müde werden, sie in ihrem eigenen Lande zu überbieten, sie haben Californien vor sich und ihre reichen Seestädte hinter sich. Und haben sie nun Californien auf der Eisenbahn erreicht, dann werden sie längs der ganzen Küste dort zahllose neue Handelsplätze gründen, und sich des Handels von und nach Asien zu bemächtigen suchen. Sie werden sich zahllos an den Küsten von China sammeln, und die Chinesen aus ihrer Ruhe und Einförmigkeit von Jahrtausenden aufstören. Sie werden drängen und wieder drängen, projektiren und wieder projektiren, um in China selbst eine Eisenbahn landeinwärts nach der Mitte von Asten zu Stande zu bringen. Die Projekte der Amerikaner in solchen Beziehungen kennen keine Gränzen, und sie werden es sich ernstlich vornehmen, auf einer Eisenbahn quer durch Asien an einem schönen Morgen die Europäer in deren eigenem Lande zu begrüßen.

Das hat nun freilich noch eine gute Weile Zeit. Jedoch unverkennbar ist, daß der Zug der europäischen Civilisation, nachdem sie in Nordamerika neue Triebkraft erhalten hat, immer nach Westen drängt. Alte Sagen berichten uns, das Menschengeschlecht sei von den Küsten des großen Meeres im Osten aus immer weiter nach Westen gegangen: es dringt jetzt von Westen wieder in den Osten ein und stört seine dort veraltenden Glieder wieder auf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III