Abschnitt 3

IX.
Junge Städte im Westen Nordamerikas.


Eben so schnell, eben so zufällig oder künstlich abgelockt verläßt nun der Einwandererstrom eine Gegend wieder. Die Folge davon ist in den vorbezeichneten Städten sofort zu spüren. Erst tritt eine gewisse Schwankung, dann eine Klemme, dann ein völliges Zusammenbrechen in bedeutenden Geschäften ein, der Verdienst hört auf, die Häuser werden billig, die Stadt prunkt nicht mehr mit den Zahlen der Bevölkerungszunahme, sie sieht nur Abziehenden nach. Diese Erscheinung ist eben so regelmäßig in ihrem Verlaufe als unausbleiblich. Das Geld der Einwanderer hat die Geschäfte hervorgerufen, es hört auf zu fließen, sobald sie angesiedelt sind, denn sie haben es dann für Landankauf und erste Einrichtung ausgegeben. Blieben diese Gelder in der Gegend, so würde der gesunde Geldumlauf, auf welchen der Amerikaner mit Recht so große Stücke hält, nicht gestört; aber das Uebel ist, daß das Einwanderergeld schon in den ersten zwei Jahren nothwendig in großen und kleinen Bächen seinen Abfluß nehmen muß nach den großen Städten, welche weiter nach dem Osten zu liegen. Mit diesem Gelde müssen dort die Kolonial- und Manufakturwaaren gekauft werden, deren Verbrauch in einer neubesiedelten Gegend täglich fortgeht, ohne daß man gleich im Stande ist, sie mit Mehl Fleisch Häuten Ahornzucker, Erzen u. s. w. zu bezahlen. Der Farmer ist schon sehr froh, wenn er in den ersten Jahren nur gerade so viel Korn und Vieh von seinem Lande erhielt, als er selbst nothdürftig braucht. Er muß der Regel nach erst hartes Lehrgeld geben, eine Mißernte, ein Einbruch der Heerde in die Aecker, das Fallen von ein paar Stück Vieh ist im Stande, ihn zu ruiniren oder auf Jahre niederzupressen, auch wenn er ein paar tausend Thaler Geld mitgebracht hat, denn dies ist ausgegeben oder gegen die lockenden hohen Zinsen ausgeliehen; einer ist dem andern verschuldet, aber keiner kann zahlen. Weil dieser Gang der Dinge natürlich ist, deshalb bleibt er auch fast niemals in einer neubesiedelten Gegend aus. Ein vortrefflicher Rath für die Ansiedler wäre daher, einen Theil ihres Geldes in einer der größern Städte im Osten stehen zu lassen und vor dem dritten Jahre nichts davon anzurühren; denn die Noth, welche in den neubesiedelten Gegenden in den ersten Jahren herrscht, erreicht oft eine fürchterliche Höhe. Manche Familie sehnt sich Monate lang danach, daß ihre Kuh wieder Milch gebe, weil ihnen die Butter das Fleisch im Haushalte ersparen soll. Im Besitze von werthvollen Dingen muß sie dennoch die Schrecken der Armuth ertragen. Die einzige Hoffnung ist auf neue Einwanderer, denn diese bringen nothwendig neues Geld in die Gegend, weil sie Land, Vieh, Geräth und Arbeit kaufen müssen. Man kann sich daher schon aus diesem Grunde manche Einladungsschreiben in die liebe Heimath erklären, wenn auch nicht sonst noch hundert andere Ursachen selbstsüchtiger Natur mitwirkten, Verwandte und Freunde zu sich heranzuziehen. Die Ansiedler können aus purer Noth in der Stadt nichts mehr kaufen, und selbst wenn sie Stücke ihres oben angekauften Landes wieder losschlagen wollten, bringen sie die alten Schulden und Wucherzinsen nicht mehr auf. Die Folge davon ist, daß die Stadt ein paar Jahre hindurch still und traurig wird; sie kann ihren eigenen Bedarf an Kolonialwaaren Kleidern Geräthschaften und all dem andern, was aus den schon lange angebauten Ländern bezogen wird, nicht mehr bezahlen. Beinahe jede Stadt an den großen Seen und Flüssen hat eine solche böse Zeit zu bestehen gehabt oder befindet sich noch jetzt darin. Das aber ist gewiß, daß gerade solche Städte, welche in Folge der Einwanderung in das benachbarte Land entstanden, nach einer Anzahl von Jahren sicher wieder empor kommen. Endlich fangen doch auch die Farmer der Umgegend an, Produkte in solcher Menge zum Verkauf zu erzeugen und zuzubereiten, daß man nun mit den ältern Städten in regelmäßigen Handelsverkehr eintreten kann und dadurch sich ein gesunder Geldumlauf wieder herstellt. Es kommt vor, daß eine neu besiedelte Gegend mit ihrer Stadt lange, lange in Armuth und Trostlosigkeit stecken bleibt, und das ist dann der Fall, wenn keine neuen Einwanderer mit ihrem Gelde die ältern Ansiedler in die Höhe bringen, oder sonst sich keine ganz besondere Erwerbsquelle für die Gegend findet. Regel ist es jedoch, daß Städte, welche durch Einwanderung von Farmern hervorgerufen werden, von Anfang an mit den Bedingungen ausgestattet sind, nach welchen jede amerikanische Stadt einem wenn auch langsamen, doch sichern Aufblühen entgegensehen kann.


Diese Bedingungen sind einfach folgende drei: erstens ein reich besiedeltes Hinterland mit ständigem Ackerbau, zweitens eine Lage an Flüssen Eisenbahnen Kanälen oder doch guten Landstraßen, drittens gesunde Luft mit gesundem Wasser.

Beginnt eine Stadt, ohne Farmer in der nächsten Nachbarschaft von zehn bis fünfzehn englischen Meilen die Runde zu haben, so bleibt sie ein künstliches Werk, das zerfällt, wenn der Wind, der es zusammengeblasen hat, eine andere Richtung nimmt. Im ersten Falle aber macht die Stadt zwischen den Farmern und den Abnehmern landwirthschaftlicher Erzeugnisse theils den Zwischenhändler theils den Zubereiter. Das Besorgen des Umtausches zwischen dem, was der Farmer nöthig, und dem, was er selbst auf den Markt zu bringen hat, und das Zurichten des einen und andern nach beiderseitigem Geschmack bringt Geld und Arbeitskräfte in die Stadt. Diese steigt daher im selben Grade, als die Farmer ihres Hinterlandes mehr bezahlen können. Wie viele Hände beschäftigt nicht allein das Mahlen des Korns, das Anfertigen der Fässer für das Mehl, das Verpacken und Versenden! Umgekehrt, die Kleiderstoffe, welche aus dem Osten kommen, wollen in der Stadt erst zu Röcken und Schuhen für die Farmer verarbeitet sein. Letztere wollen auch ihre Zeitung haben, welche die Fruchtpreise und täglichen Ereignisse aus der eigenen Umgegend meldet, also findet sich bald ein Herausgeber ein, der Schreiber und Drucker in Arbeit nimmt. So giebt es tausenderlei Geschäfte, welche schon im zweiten Jahre den Ansiedlern in ihrer Verkehrsstadt nöthig werden; das eine ruft das andere herbei.

Natürlich aber muß man zu der Stadt, soll sie der Verkehrsplatz für die Umgegend werden; eben so gut vom Binnenlande als von See und Fluß, Kanal und Eisenbahn her, gut heran kommen können. Kann der Farmer einen halben Tag Fuhre sparen, so wird er gewiß zu einer näher gelegenen kleinen Stadt gehen als zur entferntern größern. Er wird selbst dahin wirken, daß an einem ihm nächstgelegenen Platze sich Händler und Handwerker ansiedeln und daß sie gute Verbindungswege nach größern Städten bekommen, weil er dann sowohl für das, was er kauft als was er verkauft, weniger Frachtlohn zu tragen hat. Städte, welche an den Wegen und Haltplätzen der Einwanderung entstanden, haben eben deshalb von Anfang eine günstige Lage in gedachter Beziehung und behalten sie auch.

Ein anderes Bedenken ist aber, ob diese Lage auch gesund ist, reine Luft und trinkbares Wasser hat. In Europa setzt man beides von selbst voraus, in Amerika belehren oft erst die Verheerungen, welche von den Fiebern in den ersten zwei oder drei Jahren angerichtet werden, darüber, daß eine junge Stadt auf gifthauchendem Boden gebaut ist. Dann hilft natürlich die beste Lage nicht. Einige Jahre hält sie die Gewinnsucht noch obenauf, welche die Leichen nicht mitzählt, dann aber läßt sich das Uebel nicht mehr verdecken, und der schlimme Ruf verbreitet sich um sie her wie eine Scheidewand, welche sie vom großen Verkehr ausschließt. Die Zahl solcher Städte ist gar nicht klein, welche in der ersten Zeit unter blühendem Namen auch rasch aufblühten und jetzt schon eine Reihe von Jahren dahinsiechen. Sie sagen nicht gern, daß sie keinen Zuwachs mehr haben und daß selbst die in Amerika so zahlreichen Geburten die Lücken, welche der Tod macht, nicht mehr ausfüllen. Mögen sie nur zu Grunde gehen diese Fiebernester, Gesundheit bleibt am Ende auch in Amerika eines der edelsten Güter. Schade nur um die armen Deutschen, welche sich von solchen Wohnorten des Todes nicht mehr losmachen können.

Nach diesen allgemeinen Umrissen über das Entstehen und die ersten Jahre einer neuen Stadt sehen wir uns näher in ihrem Innern um.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III