Abschnitt 1

IX.
Junge Städte im Westen Nordamerikas.


Die Städte eines Landes, in welches sich die Geschichte nur eben erst hier und da etwas eingekerbt hat, können noch wenig von großen und seltenen Begebenheiten erzählen. Die Städte in Nordamerika, so jung sie sind, erleben jedoch manchmal ganz eigenthümliche Schicksale, wie in keinem andern Lande. Wir meinen hier nicht, daß sie häufig mit den hübsch gezeichneten Hallen und Kirchen und den breit und in schönster Regelmäßigkeit ausgelegten Straßen auf dem Papiere stehen bleiben, während in der dumpfen Waldung, die noch auf dem Stadtgebiete wogt, kein Anderer wohnt, als ein Agent von Landspekulanten, und verlockte Einwanderer, denen Entbehrung und Fiebernoth auf dem Gesichte steht. Wir haben auch nicht blos solche Städte im Sinne, welche an Flüssen und Seen ganz ausgezeichnet zum Handel gelegen waren, in wenigen Monaten rasch aufblühten, und doch nichts anderes wurden, als ein weiter Kirchhof für Millionen von Dollars und Tausende von Menschenleben. Die Ueberschwemmungen und die giftige Luft haben dort die Leute wieder weggetrieben, und es ist von allen Anstrengungen nichts mehr übrig, als einige elende, halb schon in den Sumpf versunkene Hütten. Auch mit den Umbauten, welche stufenweise jede amerikanische Stadt gleich im Großen durchmacht, wollen wir uns hier nicht lange aufhalten. Es sind das aber folgende vier Umwandlungen. Erst fängt die Stadt an mit Blockhäusern und Bretterhütten, die zweite Ausgabe besteht in zierlichen und festern Holzhäusern, die dritte nimmt sich ihr Baumaterial aus Backsteinen, und vielleicht kommt noch eine vierte Ausgabe in stattlichen kunstverzierten Wohnungen. Diese Verbesserung der Stadt geschieht nicht langsam und vereinzelt, je nachdem hier und dort ein Hausbesitzer mehr Geld und Baulust bekommt, sondern die ganze Stadt, oder doch, wenn einige Stadttheile den später angebauten schon voraus sind, ein ganzes Stadtviertel zieht auf einmal ein neues Kleid an. Es ist das gerade so, wie der Amerikaner seinen Anzug aufträgt, ohne Schuster und Schneider mit Flicken zu bemühen, bis er eines guten Morgens in ein Kleidermagazin tritt und von Kopf bis zu Fuß neugekleidet wieder herauskommt. Das Feuer ist ein vortreffliches Mittel, um reine Bahn zu machen, und man kann ungefähr die Zeit vorher wissen, wo die Zeitungen verkünden werden, daß dieser oder jener Stadttheil, hier oder dort eine neue Stadt durch den unglücklichsten Zufall von der Welt aufgegangen ist in Rauch und Flammen. Die Versicherungsgesellschaften kennen den Schwindel, und richten Prämien und Versicherungszeit danach ein. Nur im eigenen Hause des Versicherten darf das Feuer nicht ausgebrochen sein, wenn er sofort die neuen Baugelder ausbezahlt haben will; für seine Nachbarn ist das freilich um so schlimmer.


Diese in Bausch und Bogen vor sich gehende Umwandlung einer Stadt ist merkwürdig genug, aber seltsamer noch, daß Städte ohne abzubrennen, in Bausch und Bogen und oft in einem Jahre ihren Werth verlieren, wie eine Waare nach welcher keine Nachfrage mehr ist. Man trifft hin und wieder in den Vereinigten Staaten auf solche noch ganz hübsch mit Häusern besetzte Plätze, welche gleichwohl wie Städteleichen aussehen. Das Leben ist daraus entflohen, die Windladen hängen schief, Fenster Thüren und Dächer machen Anstalt breit Luft einzuathmen, hochüppiges Unkraut nimmt seine alten Stellen wieder ein auf den Straßen. Die Leute, welche noch in diesen Häuseransammlungen wohnen, glätten, wenn sie einen Fremdling sehen, schnell die Falten aus ihrem Gesichte und fragen ihn, ob er ein Haus kaufen wolle. Er könnte vielleicht halbe Straßen kaufen für ein Billiges.

Städte dieser Art haben gewöhnlich ein kurzes fröhliches Frühlingsleben gehabt, sie erwuchsen gleichsam über Nacht mitten im Walde oder in der wilden Prairie, man konnte die Bäume nicht schnell genug weghauen, als die Häuser Platz verlangten. Die Menschenströmung zog über solche Stellen, oder hielt sich auch wohl ein paar Augenblicke da auf; sie bedurfte Häuser dort, Waaren und Werkhütten, sie entstanden: – die Verkehrsströmung nimmt einen andern Weg, und Häuser Waaren und Werkhütten werden entwerthet. Das ist die Geschichte dieser Städte.

Es giebt hauptsächlich drei solcher städteerzeugenden Ursachen, welche sich im Verfolg leicht in städteverwüstende umkehren.

Die erste ist das Flüssigwerden, das Ausbeuten neuer Handelsartikel auf noch unberührtem Gebiete. Der Ruf verbreitet sich, daß in einer Gegend Blei Kupfererz, Steinkohlen oder gar Gold zu graben, oder ein Reichthum von Wild und Pelzwerk und guten leicht verschiffbaren Bauhölzern vorhanden sei. Sofort machen sich ans nahen und entlegenen Städten und Ortschaften Kapitalien und Arbeitskräfte auf nach dem gelobten Lande, es entsteht dort ein Zusammenfluß von Menschen, die Geld verdienen und Geld ausgeben können. Gleich ist der kluge Yankee hinter ihnen her und eröffnet dort seine Gast- und Speisehäuser und seine Waarenläden. Handwerker finden sich ein und schlagen ihre Werkstätten auf. Sehr bald entsteht ein geordnetes Gemeindewesen mit selbstgewählten Beamten, auch die Prediger bleiben nicht aus, und die netten Bretterhäuser bilden eine Straße nach der andern. Allein wie bei der amerikanischen Landwirthschaft, so legt man sich auch hier nur auf den Raubbau. Man entrafft dem Boden und den Wäldern so hastig und so roh, als es nur gehen will, ihre Schätze; an einen regelrechten, alles benutzenden Betrieb, der auch auf die Zukunft ein Auge wirft, ist gar nicht zu denken. Die Oberfläche ist daher bald ausgeschöpft, die tägliche Arbeit wirft nicht mehr den gewünschten Gewinn ab, und die Arbeiter wandern haufenweise wieder weg, oder es zieht sie auch nur das Gerücht fort, daß es an einem andern Platze noch besser gehen soll. Vielleicht war sogar die ganze Geschichte nur eine tolle Spekulation von ein paar Leuten, deren Bankerott dann einen lähmenden Rückschlag übt. Der Yankee packt also seine Waaren und Geräthe zusammen und begiebt sich wieder auf die Reise; es folgt ihm jeder, der sich noch losmachen kann, und diejenigen, welche nirgends anders mehr hin können, versuchen erst nach und nach, ob in der Gegend auch Viehzucht und Ackerbau lohnt. Können sie dabei, wie man sagt, ihr Leben machen, so kann vielleicht nach einer ziemlichen Reihe von Jahren die Stadt wieder bessere Zeiten sehen.

In Europa kommt in Berggegenden etwas Aehnliches vor, wenn die Gruben erschöpft sind, und Berg- und Hüttenleute sich nach andern Bergwerken wenden. Jedoch von Anfang an ist hier alles auf solidern Fuß eingerichtet, Feld- und Gartenbau nebst Viehzucht ernähren gleich einen Stock ständiger Bewohner. Diese wissen auch nicht, wo sie so schnell hin sollen, denn in Europa ist alles schon besetzt; man muß daher an dem Orte, wo man einmal sitzt, schon ans Ersatzgeschäfte sinnen. Der Verfall tritt daher in Europa an solchen Orten, wenn er einmal unabwendbar ist, erst nach einer Anzahl von Jahren ein. Namentlich der Deutsche steckt in den Boden, den er zu bearbeiten anfängt, gleich etwas ich möchte sagen von seinem Geist und Gemüth hinein, und wenn ihm dieses dann aus Baum- und Bauwerk wieder entgegenblüht, so ist ihm das Stückchen Erdboden so lieb geworden, daß er es ohne wirkliche Noth nicht leicht wieder verläßt. Der Amerikaner kennt nichts der Art, was ihn so anheimeln könnte, ihm ist das ganze weite Land, mit allem was in und über der Erde ist, eben nichts anderes als ein Beutefeld. Wo durch Verstand und rasche Thätigkeit nichts mehr zu erraffen ist, packt er ohne weiteres auf und zieht irgendwo anders hin. Häufig thut er es auch noch früher, blos weil die Veränderungssucht, die Lust an neuen Dingen und Geschäften ihm zur andern Natur geworden ist.

Eine andere Ursache, welche Städte hervorzaubert, liegt in der Richtung, die eine Handelsstraße nimmt. Erst suchen Saumthiere und Ochsenwagen mühsam ihren Weg durch die Wildniß, und die leichten Kähne und Flachboote ihre gefährliche Bahn auf den weiten strudelnden Gewässern. Aber sie genügen, um an Haltpunkten und Kreuzwegen Städte hervorzurufen, weil die Händler und Boote gleich in ganzen Zügen ankommen und ihnen Wirthe, Kaufleute, Handwerker und Versender nöthig sind. Steigt der Verkehr und vermehren sich die Ansiedlungen der Farmer in der Umgegend, so verbessert sich der Landweg zu einer regelrechten Fahrstraße, ihr folgt später der Kanal mit den langen Reise- und Waarenbooten, und endlich die Eisenbahn. Die Seen und Flüsse aber werden nach und nach belebt durch immer größere Dampfschiffe, welche auf leichtem Holze die Fluthen durchschneiden und den Weg verkürzen. Dabei wird es einstweilen bleiben, bis andere Bewegungsmittel, welche noch schneller und billiger sind als Eisenbahnen und Dampfschiffe, uns zu Gebote stehen. Daß sie einmal und vielleicht bald ausgesonnen werden, daran zweifeln wenigstens in Amerika wohl wenige mehr.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III