Ueberblick.

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Ueberschauen wir schließlich die verschiedenen Arten des Handelsbetriebes bei den Völkern und ihren Erfolg. Im Mittelalter sind es neben den Armeniern und Griechen die einzelnen Städte in Italien und Deutschland, welche den Welthandel führen und auf dessen Ausdehnung und Behauptung ihre Politik richten. Die Italiener reiben sich gegenseitig auf, ihre Eroberungen in fremden Ländern bestehen blos in einer Besitznahme und Ausbeutung, welche durch Forts und Flotten geschützt wird, aber zuletzt keine Spuren hinterläßt. Die Städte der Deutschen verbünden sich zu gemeinsamer Handelspolitik und besiedeln die eroberten Länder mit Städten und Schlössern, mit Gewerben und Ackerbau, gerade so wie fast die Hälfte des jetzigen Deutschlands, welche vormals von Sklaven besetzt war, von Deutschen kolonisirt wurde. Die Hansen erlahmen in ihrer Thätigkeit, weil sie der Unterstützung und Leitung durch die nationale Politik eines großen Staatsganzen entbehren.


Die Handelsunternehmungen in Portugal und Spanien werden dagegen vorzugsweise von den Königshöfen betrieben, welche blos Ruhm und Schätze suchen, und erhalten dadurch eine ungemeine Kraft. Die Portugiesen errichten, wie die Italiener, bloße Handelskolonien, sie erobern und besetzen eine Reihe von Hauptpunkten, um die Handelsstraßen zu beherrschen und den Zwischenhandel mit orientalischen Waaren sich allein zu sichern. Ihre Handelsmacht muß, weil ohne natürliche Grundlage, bald von selbst zusammenbrechen, und das portugiesische Volk selbst kommt unter Vormundschaft eines stärkeren. Die Spanier gründen in ihren amerikanischen Gebieten vorzugsweise Bergwerks-, nebenbei Pflanzenkolonien, erst in dritter Linie steht bei ihnen der Handel. Die Folge ist schließlich statt einer Bereicherung, Verarmung des Mutterlandes an Geld- und Manufakturkraft.

Es treten darauf die Holländer und Engländer auf die Welthandelsbühne. Beide lassen sich nicht nach romanischer Art lediglich von der Staatsregierung fördern, sondern bilden Handelsgenossenschaften, gleichwie es für den indischen Handel die süddeutschen Kaufleute mit Italienern schon zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts thaten. Die holländischen und englischen Genossenschaften werden von ihrer Landesregierung privilegirt und unterstützt, und erhalten als Besitzer großer Gebiete auch politische Geltung. Die Holländer beabsichtigen anfangs blos Pflanzerkolonien, unterjochen in ihren Niederlassungen die Eingebornen zum Frohndienst, und richten ihr Augenmerk darauf, die holländischen Städte für Europa zum Generalmarkte von indischen Waaren zu machen und mit den erworbenen Geldern ihre Fabriken und Rhedereien zu fördern. Weil sie aber für sich allein auf die Dauer nicht mächtig genug sind, können sie ihr engherziges System von Beschränkungen anderer Handelsvölker nicht behaupten, und büßen vieles von ihren Kolonien und ihre hohe Stellung im Welthandel wieder ein, behalten jedoch in beiden noch einen ansehnlichen Antheil.

Die Franzosen gehen zunächst abenteuernd auf Pelzhandel und Fischfang aus, zu ihren Niederlassungen für diesen Zweck kommen eine Menge Handelsfaktoreien hinzu, darauf ausgedehnte Pflanzerkolonien, endlich auch Ackerbaukolonien; die letzteren gedeihen ihnen weniger. In Frankreich ist es wieder die Staatsregierung, welche die gesammte Handelsthätigkeit der Nation aufbietet und leitet, durch Reglements denkt man dort Handel und Industrie blühend zu machen. Es kommt wiederholt zur Handelsblüthe, aber auch bald darauf wieder zum Verfall. Es wird indessen, durch die Regierung wiederholt belebt und angespornt, der Handelsgeist und der Gewerbfleiß bei den Franzosen rege gehalten, und wenn sie auch von ihren überseeischen Besitzungen nur einen windigen Theil behaupten können, so sichert doch ihr eigenes reiches und begütertes Land und ihre Rührigkeit ihnen immer einen vorzüglichen Platz im Welthandel.

Das vielregierte Frankreich ist auch das Land der Handelsexperimente und großartigen Geldoperationen, welche nur zu leicht in Schwindel sich verkehren; es ist nicht minder das Land der Handelstheorien. Das Merkantilsystem, welches sich darauf richtet, durch den Ueberschuß der Ausfuhr über die Einfuhr Geld zu erwerben, wird in Frankreich bestens ausgebildet. Das Handelsinteresse tritt in der Völkerpolitik an Stelle des Religionsinteresse, und gleichwie mit den stehenden Heeren das System des bewaffneten Friedens eingeführt wird, so setzen sich die Völker durch Zölle und Schutzzölle wider einander auf Kriegsfuß. Dieses System wurzelt so sehr ein, daß jetzt den Freihandel annehmen, für die meisten Völker so viel heißt, als die Waffen wegwerfen und sich wehrlos ergeben.

Am schwächsten bleibt es mit einer einheitlichen nationalen Handelspolitik bei den Deutschen bestellt, sie erwerben keine überseeischen Kolonien und werden im Welthandel zurückgedrängt. Aber trotz der Zersplitterung seiner Kräfte, trotz der langjährigen Kriegsverwüstung, behält Deutschland so viel Hülfsquellen in dem innern Reichthum des Landes und in der Intelligenz und Ausdauer, in dem Gewerbfleiß und der Wirthschaftlichkeit seiner Bewohner, daß diese am Welthandel noch in bedeutender Weise theilnehmen und die Mittel behalten zu größerer Ausdehnung desselben.

Die Engländer haben aus allen Systemen und Operationen der übrigen Völker in Handels- und Kolonialsachen das Passende sich angeeignet und je nach Zeit und Umständen ausgeführt. Sie haben sich in der Kunst ausgebildet, überseeische Gebiete zu kolonisiren und fruchtbar zu machen. Zugleich gingen sie über das System bloßer Beschränkungen des Fremdhandels hinaus und verfolgten rücksichtslos die Politik, bei andern Völkern Seemacht nebst Handels- und Manufakturkraft zu zerstören. Die gesammte Macht Englands wurde auf diese Wege geleitet, und von einem Parlament zum andern vererbte sich jene egoistische Handelspolitik mit den geheimen Mitteln sie durchzuführen. England ist jetzt auf einer Höhe angelangt, wo es stehen bleiben möchte, ohne nach fernerer Vergrößerung zu streben. Allein der Erwerb einer so großen Macht trägt auch den geheimen Fluch mit sich, daß sie nur durch fortwährendes Wachsthum erhalten werden kann, und zuletzt in diesem Ausdehnungsdrange zerbrechen muß.

Den Engländern thun schon jetzt die Russen nicht geringen Abbruch, – ein Volk das bei den gewaltigen Anstrengungen seiner Regierung und bei den Hülfsquellen seines großen Landes dem englischen Welthandel gefährlich würde, wenn der Russe zum Großhändler geboren wäre. Entschieden ist dies der Nordamerikaner. Die Vereinigten Staaten sind mit so vielen, so großen und energischen Mitteln, den ersten Rang im Welthandel zu erobern, ausgerüstet, wie sie niemals bei einem Volke zusammentrafen. Die nordamerikanische Handelskraft hat bereits ungeheure Resultate errungen, welche aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Anfänge zu größeren sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III