Abschnitt 2

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Orientalen.


Es greifen aber nicht blos die Siege und Eroberungen der Europäer im Orient, nicht blos ihre offiziellen Agenten, Expeditionen und Verträge in das Staatsleben und in die Industrie der dortigen Völker ein, viel wirksamer entfaltet sich dort das geistige Uebergewicht der Europäer durch die stille unausgesetzte Thätigkeit der Privaten. Zunächst ist es der Kaufmann und Händler, der sich an wohlgelegenen Plätzen niederläßt, die Naturerzeugnisse des Landes erkundet und herbeizieht, die Industrie des Volkes durch sein Geld und durch seine Anweisungen ermuntert, zugleich aber es an den Gebrauch der europäischen Waaren, als Waffen Kleidungsstücke Geräthschaften Arzneien, gewöhnt, neue Bedürfnisse im Volke hervorruft und es der europäischen Industrie zinsbar macht. Bald nach dem Kaufmann folgt der Missionär, der das fremde Volksleben studirt, neue Ideen darin in Umlauf bringt, allmälig den Glauben an die alten Götter oder an die religiösen Institutionen der Vorväter untergräbt und das Volk mit mancherlei neuen Kenntnissen und kleinen Künsten bereichert. Tiefer in’s Innere des Landes, als der Missionär, dringt der europäische Abenteurer, der Goldjäger, dem die Wagelust keine Ruhe läßt. So Mancher seine Kühnheit auch mit dem Leben bezahlt, immer bleibt zuletzt solch ein Abenteurer an dem Hofe eines orientalischen Großen hängen, gewinnt Macht und Einfluß und tritt reformirend auf. Auch der Naturforscher wagt sich, getrieben durch unbezwingliche Liebe für seine Wissenschaft, in das Innere des Landes und verbreitet durch seine ärztlichen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse dort die Achtung vor dem Kennen und Können der Europäer. Zuletzt findet es ein einheimischer Fürst gerathen, europäische Agenten und Lehrmeister in sein Land zu berufen, um Reformen im Großen zu bewerkstelligen.

Jedoch nicht so gutwillig, nicht so gleichgültig und an sich selbst verzweifelnd unterwirft sich der Orientale überall dem Willen der Europäer. Es geht vielmehr eine tiefe Gährung durch die orientalische Welt. In allen ihren Handels- und Küstenplätzen kocht und flammt es vor Zorn und Haß gegen die frechen Fremdlinge, welche die uralt heiligen Sitten und Gebräuche nicht achten, und spielend und lachend zerfetzen, was der Orientale von Jugend auf so unantastbar angesehen hat, wie die Sonne am Himmel. Daß diese Bewegung gegen die Europäer zu gleicher Zeit ganz Asien durchzieht, ist der beste Beweis, wie tief europäische Herrschaft und Ideen bereits in diesen Welttheil eingedrungen sind und wie heftig sie in seinem weiten Schooße treiben und arbeiten. Im Innern Nordafrikas wurden Reisende mit den Worten zurückgehalten: die Europäer sollten es dort nicht auch so machen wie in Indien, wo sie erst als einfache Reisende und Kaufleute erschienen, und bald darauf als Eroberer und Herrscher gekommen wären.

Im Westen und Süden Asiens ist es vor allen der Mohamedaner, welcher sich grimmig widersetzt. In seinem bornirten Hochmuth betrachtete er die reichsten Länder Asiens als seine unentreißbare Beute, Und jetzt fühlt er sich an den Hauptsitzen seiner Macht und seines Glaubens in’s Leben getroffen. Die Hunderttausende, welche alljährlich mit der großen Karavane durch weite Länderstrecken nach Mekka ziehen, sehen und hören überall von der Thätigkeit und Unternehmungslust der Europäer. Ihr Instinkt sagt ihnen, daß diese „Ungläubigen“ tausendmal mehr wissen und können als die Söhne Allahs, und ihr ganzer Stolz und Grimm empört sich über diese Erkenntniß. Sie erschüttert ja, was mit ihrem Leben und Blute verwachsen ist, ihren religiösen Glauben, dieses letzte und stärkste Bollwerk des orientalischen Denkens und Seins. Ohne diesen Glauben ist der Orientale ein Schwert ohne Griff, eine Schelle ohne Klang. Wie, wenn ein Mollah sich denkt: diese Franken, sie sind so frech und übermüthig, könnten sie nicht eines Tages auch Mekka besetzen? – Muß dieser Gedanke nicht jeden Nerv in seiner Seele rasend machen? Constantinopel ist bereits halb in den Händen der Franken, die Besetzung Mekka’s wäre der zweite, noch tiefere Stoß in das Herz der muhamedanischen Welt.

Im Osten Asiens empört sich der starrköpfige Chinese, der sich vermehrt wie Sand am Meere. Das Chinesenvolk bildet eine so ungeheure Masse, im Ganzen so beharrend, im Einzelnen so hin und her wimmelnd, daß ein Schlag darauf nicht mehr hilft als ein Degenstich in einen stehenden ungeheuren Bienenschwarm. Und dennoch, nach einigen Zusammenstößen mit den Europäern, fahren bereits in diesem kolossalen Volkskörper europäische Ideen zündend treibend ätzend hin und her. Der in seinen Aeußerungen oft so lächerliche, in seinen Wurzeln aber nicht auszurottende Haß der Chinesen, schimpft und kämpft gegen „die Barbaren“ zuletzt ebenso vergebens, als der Fanatismus der Muselmänner jemals das fressende Feuer wieder auslöschen kann, welches die europäische Kultur auf tausend Punkten in die Welt Mahomeds hineingeworfen hat.

In Indien hat der mahomedanische Grimm bereits einen entsetzlichen Krieg angefacht, und wir wissen nicht, zu welchen furchtbaren Ausbrüchen er die Volkswuth in der Türkei, Vorderasien und Persien aufstacheln wird, oder zu welchen blutigen oder ekelhaften Gräueln die Chinesen im indischen Archipel wie in den von ihnen besetzten Theilen des Kontinents ihre Zuflucht nehmen. Der Kampf der europäischen Kultur mit dem Starrsinn, der Dumpfheit und der Trägheit der Orientalen nimmt mit jedem Jahrzehnt riesenhaftere Umrisse an, dieser Kampf erfüllt vielleicht noch viele Menschenalter, erfordert vielleicht noch die ungeheuersten Anstrengungen von der gebildeten Welt, – sein Ausgang aber kann kein anderer sein, als der Sieg der christlichen Kultur, als die Zersetzung der orientalischen Gesittung durch die europäische.

Man stelle sich zum Beispiel nur von dem einen Ereignisse, – der Durchstechung der Landenge von Suez, – die Folgen vor für den Orient. In kürzester Zeit muß dadurch der Welthandel außerordentlich an Raschheit des Verkehrs wie an Waarenfülle gewinnen. Die Mitbewerbung mit den Engländern ist dann den übrigen europäischen Völkern erleichtert, weil die Mittel, den Welthandel zu führen, leichter werden. Die Folge ist, daß eine unberechenbar größere Anzahl Menschen, als jetzt, sich am Handel nach dem Oriente betheiligt und sich dorthin begiebt. Zunächst werden Aegypten und Syrien, Nubien und Abyssinien mit ihren Hinterländern, das östliche Süd– und Mittel–Afrika, ferner Arabien, Persien, ganz Ostindien, Tibet, China mit wohlfeilen europäischen Manufakturwaaren reichlichst versehen, ihre eigenen Produkte aber werden eifriger aufgesucht und nach Anleitung der Europäer rascher und besser erzeugt und nach den Hafenplätzen verführt werden. Der Europäer bringt Industrie und belebt die vorhandene. Die orientalischen Völker müssen sich mehr und mehr an europäische Kultur gewöhnen, und immer mehr Europäer werden sich unter ihnen niederlassen, um ihre Lehrmeister Anreger und Führer zu werden.

Natürlich geschieht das alles nicht in der Frist weniger Jahrzehnte, indessen läßt sich auch schon für diese auf mächtige Erfolge schließen, wenn man überblickt, welche tief einreisende Wirksamkeit in einem orientalischen Lande oft eine Hand voll Europäer in kurzer Zeit gehabt hat. Auch hat deren Wirksamkeit, wenn sie noch so groß wird, ihre gesetzten Grenzen an Landesart und Volksart. Wenn der Europäer auch überall sich heimisch machen kann, wenn er auch alles ertragen kann, die endlichen Folgen des Klimas kann er doch niemals von sich abwehren. Versetze man einige Millionen Europäer, ausgerüstet mit allen Kenntnissen und allem Comfort, in den Orient, die zweite oder dritte Generation würde ebenso viel orientalische Sinnes- und Lebensart angenommen, als europäische bewahrt haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III