Abschnitt 1

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Orientalen.


Ruhig und stätig bewegt sich der Handel der Orientalen in den alten Geleisen. Denselben Weg durch die Wüste, den seit Jahrtausenden die bleichenden Knochen der Kameele und Rosse bezeichneten, wandelt alljährlich zur selben Zeit die Karavane. Keine Verbesserung wird auf ihren Haltplätzen angebracht, keine junge Industrie befrachtet sie mit neuen Erzeugnissen; die Lastthiere tragen noch dieselben Waaren wie vor Alters, kostbare Waffen, feine Tücher und Pelze, Gold, Perlen und edle Steine, Gewürze, wohlriechende Oele, Opium, Tabak, Thee und dergleichen. Der Orientale empfängt dafür das Geld und die Fabrikwaaren der Europäer. Nur in köstlichen Stoffen macht er große Geschäfte; andere Landeserzeugnisse und Lebensmittel, welche zum täglichen Gebrauche dienen, füllen bei ihm blos die Kleinhändler–Buden.

Der orientalische Kaufmann läßt sich ungern ein auf weite und gewagte Spekulationen, bei denen er viel rechnen und seinen Blick auf die, Zukunft gerichtet halten müßte, das ganze Geschäft will er gleichsam anschaulich haben. Er erfindet für den Handel weder neue Waaren noch neue Gebiete, mit Anregung und Weisung dazu muß ihn erst der Europäer versehen. Langsam und umständlich, hüllt er seine Rede wie seinen Leib in weite wallende Gewänder.

Ein großer Künstler ist aber der Kaufmann des Orients darin, seinen Waaren einen bestechenden Glanz zu geben, er ist ein Betrüger von Grund seiner Seele. Mit einem Gesichte, so ruhig wie Marmor, bei seinem Lächeln und wohltönenden Worten verfolgt er festen klaren Blickes einen tückischen Plan; die frühzeitige Gewöhnung an vollständigste Selbstbeherrschung kommt ihm dabei trefflich zu statten. Lust und Kunst im Betrügen sind ein Erbtheil der orientalischen Völker; der Schacher in allen Dingen wandert bei Vornehm und Gering unaufhörlich von Hand zu Hand. Was durch Trägheit und Feigheit verloren geht, soll durch Betrug gewonnen werden. Der Betrug ist im Orient nur eine andere Art von Raub. Beide, heimlicher und offenbarer Raub, sind dort Mittel, sein Leben zu erhalten. Wer eben Macht hat, plündert und unterdrückt. Im ganzen Orient befindet sich eigentlich der Lump am besten, der immer lustig von der Hand in den Mund lebt und keine Sorgen und keine Feinde hat.

Seit langer langer Zeit schon verharrt der Orient in seiner hergebrachten starren Gewöhnung und geistigen Dumpfheit. Die fruchtbaren Keime scheinen dort in den Geistern vertrocknet. Staat und Gesellschaft sind in ihren einfachen Formen stehen geblieben. Die öffentliche Macht arbeitet fast nur, damit ihre Träger sich selbst Reichthümer und Wohlleben bereiten. Die Wohlthat der Regierung ist im Orient hauptsächlich negativer Art. Sie preßt und mißhandelt die Unterworfenen so sehr, daß diese weder Muth noch Zeit noch Mittel haben, sich selbst unter einander ärgere Uebel anzuthun. Anstalten und Gesetze, welche das Gedeihen des Volkes fördern sollen, treten nur zufällig und nebenbei in’s Leben. Wie der Schmutz sich im Orient über die Wohnungen und Trachten der Menschen lagert, so scheint er auch ihre Seelen anzufressen. Wie des Orientalen Schönheitssinn noch immer so niedriger Art ist, daß ihm das Weib nicht in schöner schlanker Gestalt, sondern nur als weiches Polster seiner Sinnlichkeit gefällt, so liegt auch sein sittlicher Sinn noch immer gefangen unter den ersten rohen Forderungen der menschlichen Natur. Nur wenige Völker im Orient empfinden noch in sich selbst einen Antrieb, zu höherer Kultur aufzustreben. Wer sich lange mit den Staaten, Religionen, Sitten und Ansichten der jetzigen orientalischen Völker beschäftigt, entsetzt sich zuletzt vor dieser geistigen Sahara, welche sich über so viele Millionen Menschen ausdehnt, vor dieser Leere an jungen Triebkräften in so ungeheuren Ländermassen. Und je länger jemand mit jenen Völkern selbst verkehrt, desto stärker erwächst in ihm die Ueberzeugung, daß sie unter europäische Zucht und Schule zu nehmen sind, wenn sie nicht noch mehr verkommen sollen. Wie einst im Alterthum die Erkenntniß des einen Gottes nur unter dem kleinen Volke der Juden, so wohnt jetzt in der weiten Welt die schöpferische geistige Kraft nur auf kleinen Erdflecken.

Die europäische Zucht und Schule hat im Orient längst begonnen. Wie entfernt, wie weit ab lagen uns die persischen und indischen Länder, als der Verkehr mit ihnen nur noch auf jenen Handelsstraßen geschah, welche aus dem tiefen Innern Asiens heranzogen. Soviel Waaren, soviel Fabeln und wunderbare Vorstellungen vom Leben im Orient wurden dadurch vermittelt. Kaum aber war der Seeweg nach Ostindien entdeckt, als auch bald tausend Schiffe europäische Kaufleute Soldaten und Missionäre an die Gestade des indischen Meeres brachten, welche sich festsetzten, kleine Niederlassungen gründeten und schließlich zu großen Ländereroberungen übergingen.

Die Holländer und Engländer besetzten die weite Inselwelt des indischen Ozeans, und dann drang die englische Macht erobernd in die alte geheimnißvolle Kulturmitte Asiens ein. Ganz Vorderindien mußte sich der englischen Herrschaft beugen, welche von da aus ihre Arme nach Persien, nach Tibet und Mittelasien, und nach Hinterindien ausstreckt.

Der zweite große Schritt Europas in den Orient hinein war, als es ihm ganz Rußland abrang. Dies ungeheure Mittelland zwischen Orient und Occident wurde nicht getheilt zwischen beiden, es wurde ganz und gar in Beschlag genommen von der Kultur des Abendlandes, das asiatische Wesen mußte immer weiter zurückweichen. Die Türkei und ganz Vorderasien befinden sich jetzt im gleichen Falle, als vor etwa zweihundert Jahren das russische Reich, – nur mit dem Unterschiede, daß die Kultur heut zu Tage viel rascher vorschreitet; sie hat sich ganz andere Reisemittel geschaffen.

Insbesondere seit den letzten fünfzig Jahren hat im Orient die europäische Macht und Kultur außerordentliche Fortschritte gemacht. Napoleons Stoß auf Aegypten und Syrien erschütterte den ganzen vorderen Orient. Reformen in der Türkei, Aegypten, Persien waren seitdem unausweichlich, Männer aus allen europäischen Staaten betheiligten sich daran. Die Orientalen selbst konnten blos als Schüler nachahmen, sie brauchten europäische Organisatoren und Exercitienmeister, weil sie es nicht vermochten, aus ihrer eigenen Mitte heraus neue Schöpfungen zu Stande zu bringen. Noch viel weitgreifendere Folgen hat der letzte russisch–europäische Krieg. Der Strom der europäischen Kultur stieß in diesem Kriege die letzte starre Schranke weg, welche ihr auf ihrem Wege nach dem Osten noch entgegenstand. Das türkische Reich wurde bis auf seine letzten Wurzeln erschüttert und gelockert. Jetzt dringt dieser Strom breit und unaufhaltsam über die Levante nach Mittelasien, nach Aegypten und Persien vor.

Jedoch nicht blos vom Westen und vom Süden her bohrt die europäische Herrschaft und Kultur in den asiatischen Welttheil hinein: auch vom Osten her geschieht der Angriff. China und Japan, so lange und so starr verschlossen, empfinden bereits die Zuckungen des europäischen Anstoßes in ihrem Innern. In jenen Ländern uralt fester Sitte, deren weite Küsten das stille Weltmeer umfluthtet, begegnen sich jetzt Amerikaner vom Osten und Europäer vom Westen.

Endlich legt sich die russische Macht vom Norden her vordringend durch die ganze Breite Asiens hin, am einen Ende umgreift sie die Türkei und Persien, am andern Ende China. Wenn die aus der Levante und von Indien heimgekehrten Karavanenhändler in den Städten Mittelasiens von dem wunderbaren Volke der Europäer, von ihren Dampfrossen und beflügelten Schiffen erzählen, so spricht man in jenen Gegenden an den Abendfeuern der Nomaden bereits mit Furcht und Spannung von dem großen Sultan in Petersburg.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III