Abschnitt 2

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Nordamerikaner.


Als Handelsmann hat der Amerikaner auch den Vortheil, daß ihn keine Heimathsliebe, kein Freundschaftskreis auf einem Platze festhält; sein Hauswesen ist da, wo Geld zu gewinnen. Im heißen Geschäftsdrang bleibt er klaren Geistes, die Rechenmaschine in seinem Kopf schwirrt von selbst ohne Aufhören, sobald das Schnürchen gezogen wird. So nüchtern betreibt er jedes was zum Handwerk gehört, daß selbst der Brauch bei allen Völkern, denen, welche zum erstenmal die Linie passiren, eine lustige Taufe zu geben, auf amerikanischen Schiffen als überflüssig angesehen wird.

Man kann den Amerikaner in Geschäften mit seiner äußern Ruhe und Selbstbeherrschung bei tiefer Leidenschaft keinem besser als dem ausgelernten Spieler vergleichen, der kalten Blickes, wenn ihm auch heimlich alle Nerven beben, die Goldhaufen auf dem Tische kommen und gehen sieht. Wie diesen unwiderstehlich die Hast des Spiels ergreift, und wie ihm die Minute, wo sein ganzes Sein sich auf einen Wurf zusammendrängt, ein erhabener Genuß: so wird der Amerikaner in Geschäften von der unersättlichen Lust des Wagspiels hingerissen. Dazu trägt viel bei, daß junge Leuten in Jahren wo sie in Deutschland auf dem Kommisstuhl sitzen müssen, schon zahlreich in Amerika größere Geschäfte machen. Diese können der Aufregung, welche periodisch die Handelswelt ergreift, nicht widerstehen; mit der Hast und Hoffnung der Jugend werfen sie sich in die Strömung, vor Lust jauchzend, und hundertmal zurückgeworfen streben sie mit verdoppelter Kraft wieder vorwärts ihrem Ziele zu: greifen sie dieses nicht, so spielt ihnen die Welle doch vielleicht ein anderes zu. Gleichwie aber Spieler unter einander Schulden, welche das Gesetz nicht anerkennt, zur Ehrensache machen, so besitzt der Amerikaner das feinste Ehrgefühl in Geschäftssachen dicht neben gränzenlosem Leichtsinn. Er denkt nicht daran, ungeheure Lieferungen, die er mit zwei Worten mündlich bestellt hat, später wieder abzusagen, wenn er seinen baaren Schaden einsieht. Im gesammten Geschäftsverkehr der Amerikaner herrscht eher etwas Ritterliches als Kleinliches, man kennt bei ihnen kein ängstliches Mißtrauen und Nachrechnen, wohl aber Kreditgeben in weitester Anwendung. Durch den persönlichen Kredit sind die Geldmittel der Amerikaner hundertfach gesteigert.

Wie aber der Leichtsinn und die Leidenschaft des Spielers häufig zum Ruin führt, so wird auch eben so häufig, wer dem Amerikaner leiht, in seinen Bankerott hineingerissen, und ferner – gleich wie die Spielwuth zulegt doch tief entsittlichend wirkt, so bringt auch das amerikanische Geschäftstreiben eine so große Menge von abgefeimten Schwindlern hervor, daß andere Völker dagegen wie unschuldige Kinder erscheinen. Der englische Geschäftsmann gedeiht unter Amerikanern am wenigsten, es fehlt ihm die Raschheit des Handelns; der Schotte und Franzose findet dort eher seine Rechnung; der Deutsche eignet sich leicht die amerikanische Weise des Geschäftsbetriebes an, er ist nicht minder genial, wenn auch nicht so schnell im Erfinden, aber er bleibt solider. Unter zwölf Amerikanern werden sieben reich und vererben zwei ihre Reichthümer auf ihre Kinder. Für zwölf Deutsche in Amerika stellt sich das Verhältniß so, daß höchstens drei reich und fünf wohlhabend werden, aber sämmtlich ihr Vermögen bis zum Tode behalten. Der Amerikaner springt auf sein Ziel los und klammert sich an; weil er aber, statt die Hindernisse erst wegzuarbeiten, mit einem Satze darüber wegspringt, verliert er so leicht den Boden unter seinen Füßen.

Seine größte Meisterschaft entfaltet der Amerikaner im Kolonisiren. Das hat er zuerst im eigenen Lande gründlich gelernt, und dieses Talent überträgt er jetzt auch auf fremde Wildnisse. Wer es nicht selbst mit ansah, dem kommt es unglaublich vor, wie rasch Amerikaner Wälder niederhauen und in blühende Fluren verwandeln, Flüsse schiffbar machen, Städte gründen, Kanäle und Eisenstraßen ziehen. Wie durch eine besondere Gabe wissen sie gleich, welche Schätze die Erde birgt, wie das Land fruchtbar zu machen und welche Kulturpflanzen einzuführen sind. Sie scheinen wie dafür geschaffen, den ungeheueren Kontinent von Nord- und Südamerika zu besiedeln, und es giebt dort keine Ortschaft, wo nicht bereits ein paar Nordamerikaner umherspüren. Die Engländer scheinen ihnen diesen Welttheil fast ganz überlassen zu haben, selbst ihr Westindien haben sie halb und halb aufgegeben, als fühlten sie, daß sie dort gegen die Mitbewerbung der Yankees doch unterliegen müßten. Aber diese kommen bereits auf Schaaren von Segeln auch nach den Südseeinseln, nach Hinterindien, nach China und Japan. Vom chinesischen Handel besitzen die Amerikaner schon fast eben so viel als die Engländer selbst. Sie scheinen bestimmt zu sein, in dem großen Verkehr, der jetzt die Länder des Orients der Kultur erschließt, eine hervorragende Rolle zu spielen.

Ueberhaupt läßt sich nicht absehen, bis zu welcher Größe und Macht der Handel der Nordamerikaner noch anschwellen wird. Ihre Mittel dafür sind einzig: Lage, Produkte, ungeheures Landgebiet, feurige Energie, politische Ungebundenheit und ein nationaler Handelsgeist, welcher keine unfruchtbaren Verzehrer im Lande duldet und den Werth der gelehrten Stände nach ihrem materiellen Nutzen beurtheilt. So außerordentlich diese günstigen Bedingungen dafür, so außerordentlich sind auch in Handel und Industrie die Fortschritte der Amerikaner in den letzten sechzig Jahren gewesen. Schon jetzt sind ihre Schiffe zahlreich in allen Häfen der Welt, schon jetzt fließen ihnen aus der alten Welt nicht blos Unsummen von rüstigen Arbeitskräften, sondern auch Kapitalkraft zu; wie viel deutsches englisches und französisches Geld bereits in und für Nordamerika arbeitet, läßt sich kaum mehr berechnen. Die nationale Sicherheit der Nordamerikaner ist unantastbar und ihre Stellung im Welthandel bereits so fest, daß wohl sie den Krieg mit England, die Engländer nicht mehr den Krieg mit ihnen ertragen könnten; denn diese würden den Schlag nicht mehr verwinden, den ihnen das Aufhören der Einfuhr von nordamerikanischer Baumwolle und der Ausfuhr von Manufakturwaaren nach Nordamerika versetzen müßte. Das nordamerikanische Volk zählt zwar erst fünf und zwanzig Millionen Köpfe, aber schon beginnt das Aufstreben seiner Handelsmacht, im Verhältniß zu einem europäischen Hauptstaate betrachtet, die Umrisse des Kampfes eines Welttheils einem einzelnen Volke gegenüber anzunehmen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III