Abschnitt 1

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Nordamerikaner.


Dieses Szepter über Handel und Meere ergreift bereits mit kecken Händen ein anderes Volk. Es hat es schon fest gefaßt und hofft es nächstens mit lustigem Siegesruf England ganz zu entreißen. Denn dies Volk der Amerikaner ist ein mächtiges Volk, und es lebt denkt und schafft nur durch den Handel. Den Engländern macht zwar die Sorge für Wissenschaft und Kunst oder für ein wohlausgestattetes Landheer ebenfalls nicht viel zu schaffen, der Handel geht auch bei ihnen allem dem vor, aber über der Sorge für den Handel steht bei ihnen doch noch die Rücksicht für den Hof und hohen Adel. Die Nordamerikaner dagegen sind nichts, gar nichts anderes als ein Volk von Kaufleuten. Die englische Aristokratie könnte sich nicht auf ihrer Höhe halten, wenn sie die Bereicherung durch bürgerliche Gewerbe verschmähte; die Grundlage ihres Ansehens jedoch ist noch immer der ererbte Grundbesitz aus der Zeit des Lehenswesens, des Kloster- und Kirchenraubes und der Königsschenkungen. Bei den Amerikanern hingegen besteht kein Besitz, den nicht Handel und Industrie geben und nehmen, dort giebt es nirgends festgewurzelten Adelstand. Ein solches Volk war niemals in der Weltgeschichte, auch in Karthago und Florenz nicht.

Dieses Volk aber beherrscht, bearbeitet, durchfliegt ein Land größer als ganz Europa, zehnmal reicher an fruchtbarem Acker, Eisen und Kohlen, – voll der Produkte der Tropenländer im Süden, der Manufakturen im Norden, der Fischereien an den Küsten, der Weizenfelder und Bergwerke, der Waldungen und Prairien im Innern, – gelegen mitten zwischen den zwei großen Weltmeeren, so daß seine Schiffe die Kulturschätze aus Europa holen und sie wieder hinübertragen zu dem Menschengewühl im alten Orient, – durchschnitten endlich von gewaltigen Strömen und von Ketten großer Landseen, den herrlichsten Handelsstraßen, deren Zahl täglich durch Eisenbahnen und Kanäle vermehrt wird.

In diesem so ungeheuren reichen und wohlgelegenen Gebiete gilt eine Staatsverfassung, welche nicht allein darauf angelegt ist, Jedermann in seiner natürlichen Freiheit, alle Ideen Geschäfte und Erfindungen zu versuchen, möglichst wenig zu beschränken, sondern auch Jedermann anzuregen, daß er seine Kräfte anspornt, um Reichthum und Geltung zu erwerben. Es ist auf lange Zeiten hin kein Ereigniß denkbar, welches diese freie Thätigkeit der Einzelnen in Amerika hindern oder sie auf andere Bahnen als die des Vermögenserwerbes hinlenken könnte. Man kann es sich ferner nicht wohl vorstellen, wie dieses große Land durch äußere Feinde anders, als vorübergehend und nur auf einem kleinen Gebiet, angegriffen und in seinen Fortschritten gestört werden könnte. Es ist daher auch unmöglich, daß jemals die Handelspolitik dieses Volkes eine andere sein könnte, als eine straffe einheitliche, und so wie sie der Nationalgeist will.

Dieser Nationalgeist, der das gesammte Volk beseelt, ist aber selbstsüchtig, eroberungssüchtig, zufahrend auf jegliches, was dem Volk Bereicherung und Machtvermehrung verheißt. Es wird sich die nationale Handelspolitik des nordamerikanischen Volkes, eben weil sie nichts ist als die Bethätigung seines Gesammtwillens, weder jemals durch schulgerechte Handelstheorien binden lassen, noch jemals sich einen Augenblick bedenken, mit dem Kaiser von Rußland oder von China gemeinschaftliche Sache wider alle Kulturvölker zu machen, sobald dies den Nordamerikanern Nutzen bringen könnte. Die beiden großen Parteien, deren eine durch Freihandel den Pflanzer- und Farmervortheil, die andere durch Schutzzölle die Manufakturen fördern will, halten sich gegenseitig die Wage: das ist das Einzige, was die Amerikaner hindert, eine so scharfe und eroberungssüchtige Handelspolitik zu verfolgen, wie kein anderes Volk sie nur denken könnte. So weit aber geht, um nur Einzelnes anzuführen, die Fürsorge der Amerikaner für ihren Handel, daß ihre Konsuln angewiesen sind, jedem kranken amerikanischen Matrosen, der in einen Hafen einläuft, Verpflegungsgelder zu zahlen.

In keinem andern Volk ist auch das Handelstalent so entwickelt. Schon die Kinder feilschen und handeln mit einander in einer Weise, die in Deutschland für unsittlich oder doch für unanständig gelten würde. Sobald unter den Farmern ein Knabe fähig ist, selbst etwas Geld zu verdienen, wird er dazu angeeifert und muß für seinen Gewinn sich selbst Hut und Schuhe kaufen. Rasch rechnen zu können und pfiffig zu sein, wird bei einem Knaben höchlich belobt, und als günstiges Vorzeichen für dessen Zukunft den Freunden und Nachbarn erzählt. Neben dem Eifer für Ruhm und Größe seines Landes richtet sich daher sein ganzer Ehrgeiz darauf, einen guten Handel zu machen. Seine Augen hat er nach allen Seiten offen und sammelt aus dem täglichen Leben wie in der Schule eine Menge von Kenntnissen, welche dem Geschäftsmann nützlich sind. Statt klassischer Studien treibt er mit Vorliebe Mathematik und Mechanik, Physik und Chemie, und gleichwie in den Vereinigten Staaten kein Verzeichniß von Beamten ausgegeben wird, ohne daß bei jedem bemerkt ist, wie viel seine Stelle an Einkommen werth, so kennt der junge Amerikaner aus der Geographie zuerst, was ein Land an Produkten und Handelswaaren hervorbringt.

Daher bildet sich jenes unnachahmliche Geschick der Amerikaner, aus allen Dingen in der Welt Geld zu machen, jene unersättliche Unternehmungslust, jene feurige Kühnheit und Raschheit in Geschäften. Kein Bäcker, der nicht bei dem ersten Brod, das er aus seinem Ofen zieht, schon an seine künftige Dampfbäckerei denkt, kein Lohgerber, der bei der Einrichtung seiner Werkstätte nicht gleich Pläne macht, die Häute der Büffel, welche noch frei in den westlichen Prairien hausen, billig herbeizuschaffen. Es blitzt einem Amerikaner weit im Westen ein Gedanke auf, wie er bei den französischen Kreolen in New–Orleans ein gutes Geschäft machen könne: sogleich setzt er sich hin und studirt täglich zwölf Stunden, bis er in sechs Wochen Französisch spricht. Oder er sieht eine Abbildung von Japanesen in langen Kleidern, und es fällt ihm ein, ob man den Leuten nicht billige Schlafröcke liefern könne: zur Stunde erkundigt er sich eifrig bei Kapitäns und Matrosen, welche in Japan gewesen, und wenn ihm nur ein Hoffnungsschimmer aufgeht, läßt er eine Ladung Schlafröcke machen, reist zu den Japanesen und weiß sie auf lustige Art zu überreden, bis sie seine Waare kaufen. Auf den Geschmack des Publikums hin spekuliren, das lernt der Amerikaner aus dem Grunde. Sein Land gleicht einem unabsehlichen Markte, wo es jedem Händler zunächst nur darauf ankommt, daß die Leute einen Augenblick vor seiner Bude stehen bleiben. Deshalb muß er irgend ein Lärmzeichen aushängen, um aufmerksam zu machen, und sollte er auch die Beine in die Luft strecken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III