Abschnitt 1

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Engländer.


Auf der Höhe des Welthandels und der Seemacht, der Industrie und des Nationalreichthums steht jetzt England. Das ungeheure Uebergewicht, welches dies eine Volk auf allen diesen Gebieten ausübt, läßt sich mit einem Ueberblicke kaum umfassen; es wird erst recht einleuchtend, wenn man sich die Thätigkeit und Herrschaft des englischen Volkes in der Nähe ansieht. England beherrscht, blos das nordamerikanische Gebiet ausgenommen, in der That fast alle Meere Seehäfen und Küsten. Seine Segel sind nicht allein in jedem Großhafen am zahlreichsten, sondern es hält auch rings um die Erde wohlgelegene Punkte besetzt, um Schifffahrt und Handel der andern Völker zu bewachen und nach Umständen hemmen zu können. Die brittische Kriegsmacht zur See brauchte nicht zu erschrecken, wenn alle andern Völker die ihrige dagegen vereinigten. Die englische Kolonialherrschaft erstreckt sich über halbe Welttheile, und die Schätze, welche dem Mutterland von dorther zufließen, sind unberechenbar. Endlich besitzt England, nur die eigentlich künstlerischen Gewerbe ausgenommen, jeden andern Industriezweig, und in jedem derselben produzirt es riesenhaft.

Gleichwohl ist diese Uebermacht nicht viel über ein Jahrhundert alt. Sie ist freilich so groß und allerwärts sichtbar, daß man längst vergessen hat, wie armselig es um das englische Gewerbs- und Handelswesen noch vor zweihundert Jahren bestellt war. So rasch können Handel und Industrie eines Volkes in die Höhe steigen, sie bedürfen ihrer natürlichen Beweglichkeit und Schwungkraft wegen nicht so langer Pflege und Zeitigung als Ackerbau und Kriegstüchtigkeit, als Künste und Wissenschaften. Die Handelsgeschichte zeigt mehrere überraschende Beispiele, wie das Genie eines einzigen Mannes wie Pombal, Colbert, Friedrich der Große, Joseph II. den industriellen Flor eines Landes hervorrief.

Die Engländer haben ihre jetzige Größe allerdings, und das ist das Erste, durch die germanische Tüchtigkeit ihres Nationalcharakters erworben. Dazu gehört die religiöse und politische Festigkeit im Hausstand und im Staatswesen, die Energie und Klugheit, mit der sie, unverdrossen und durch nichts wankend gemacht, auf ihr Ziel einarbeiteten, das praktische Talent, womit sie Verbesserungen in der Mechanik aussannen und belohnten, und selbst da, wo sie über Staat und Weltall philosophirten, immer die handhafte Wirklichkeit vor Augen hatten; endlich ihr Nationalgeist und Nationalstolz, wodurch jeder Engländer angeeifert wurde, in des Landes Vortheil seinen eigenen zu suchen.

Allerdings kam zweitens die Gunst äußerer Umstände hinzu, und zwar hauptsächlich die Erneuerung und Festigung des Staatswesens und die insulare Lage. Die Revolution erschütterte das Volk bis zu seinem Grunde, aber es ging aus diesen Kämpfen erfrischt und gereinigt hervor. Jetzt begann der nationale Aufschwung, denn alle Kräfte im Volke waren angeregt, und die Staatseinrichtungen gaben jedem Bürger Geltung und freien Raum zur Thätigkeit. England hatte seine Revolution längst abgemacht, als sie die übrigen Völker des Kontinents zu erschüttern anfing, und in endlose Kämpfe und Kriege stürzte. Das englische Volk konnte aber von seiner sichern Insel aus den Stürmen auf dem Kontinent ruhig zusehen. Kein feindliches Heer, kein Krieg im Innern unterbrach mit seinen Verwüstungen den stätig wachsenden Fortschritt in Landwirthschaft Handel und Gewerben, jede Regierung setzte dem Erwerb der früheren etwas zu. England nahm an den Kontinentalkriegen Theil, jedoch nur zu seinem Nutzen; denn während dort die Landheere sich bekämpften, eroberte es mit seinen Flotten die Kolonien der andern Völker und zerstörte eine Seemacht nach der andern. Selbst die Hülfsgelder, die es zahlte, flossen für Waaren und Waffen in sein Land zurück und belebten dessen Industrie.

Die innere Einheit und die praktische Klugheit des englischen Volkes machten drittens eine konsequente nationale Handelspolitik möglich. Hof und Adel und Städter und Bauern arbeiteten gleichmäßig im kaufmännischen Geiste, sich und dem Lande Reichthümer zu gewinnen durch Verbesserung der Landwirthschaft, der Schafzucht, des Bergbaues, der Gewerbe, der Straßen Kanäle und Häfen, und durch Eroberung und Nutzbarmachung von Kolonialländern. Jene einheitliche Politik befolgte konsequent den oftbewährten Grundsatz, nur Rohprodukte einzuführen und Manufakturen auszuführen: Jeder einzelne Gewerbszweig wurde von Regierung und Volk gepflegt, und während die einheimische Industrie so sehr geschützt wurde, daß selbst Manufakturen aus den ostindischen Besitzungen der Eingang verboten und ihnen damit nur der fremde Markt angewiesen wurde, schlossen strenge Gesetze die ausländische Mitbewerbung von der Rhederei und Fischerei aus. Statt dessen trug man Sorge, fort und fort die Einwanderung von Kapitalisten und Kaufleuten, Schiffsbauern, Tuch- und Metallfabrikanten und Gewerbverständigen aller Art aus Deutschland Holland Flandern und Frankreich anzuziehen. Während endlich andere Regierungen durch gewagte Geldoperationen ihren Ländern und Kassen einen Zufluß von Schätzen verschaffen wollten, machten die Engländer das ganze Geld in ihrem eigenen Lande zum Besten desselben thätig und zinsbar vermittelst ihres Anleihesystems.

Diese nationale Handels- und Gewerbspolitik würde aber schwerlich allein Englands Uebergewicht geschaffen haben, wenn sie nicht auch viertens, während sie die einheimische Industrie pflegte und nach außen schützte, zugleich feindlich und zerstörend die Industrie jedes andern Volkes angegriffen hätte. Und zwar geschah dies mit eben so viel Härte als Schlauheit. Die Engländer kennen dies Feld durch lange Uebung schon so genau, daß sie nach System und Methode verfahren. Seekrieg und Kaperei, Ueberfall und Wegführung fremder Flotten unter allerlei Vorwänden, Schmuggelhandel organisirt im größten Maaßstabe, Belästigung der Schifffahrt der Neutralen sind offene Mittel, welche die Engländer oft genug gerade zur rechten Zeit angewandt haben, um die See- und Handelsmacht anderer Völker zu zerstören. Schlimmer sind ihre geheimen Mittel, um die Manufakturkraft eines Landes zu lähmen und dessen Kapital in die Hände zu bekommen. Dahin gehören Unterstützung eines ihnen günstigen Handelssystems in fremden Ländern, Wirksamkeit dort in der Presse durch bezahlte Federn, Kapitalanlagen am rechten Orte, Begünstigung jeder Art von Druck, welche ein Land auf des andern Handel und Gewerbe ausüben kann, endlich Handelsverträge. Jeder englische Handelsvertrag lief am letzten Ende zum Ruin des davon betroffenen Landes aus, so vortheilhaft er auch anfangs sich darstellte. Es war immer ein Vertrag des großen schlauen Herrn mit dem kleinen. Das bloße Uebergewicht des ersteren giebt ihm tausend Ausbeutungsmittel in die Hand, an welche der andere gar nicht denken kann. Handelsverträge eines Volkes mit England führten in der Regel zu dem Ergebniß, daß die englische Einfuhr Hauptmanufakturzweige eines Volkes erstickte, das Geld für englische Waaren aus dem Lande gezogen und der Unternehmungsgeist dort gelähmt wurde, bis endlich englische Kapitalisten die noch übrige Industrie des Landes sich zinsbar machten. Selbst bei anscheinend höchst humanen Maßregeln haben die Engländer ihre Hintergedanken. Ihre Missionäre und Schulen unter heidnischen Völkern machen Bahn für den englischen Handel, die Verbreitung von Kultur gewöhnt dort an englische Waaren, die im Lande einheimische Manufaktur aber wird nach und nach zu Gunsten der englischen untergraben, und Gold und Schätze fließen nach England ab, ohne wiederzukehren. So verarmt das reiche Ostindien unter den Händen seiner englischen Beherrscher. Die englische Unterdrückung des Sklavenhandels erschwert den Anbau der Pflanzungen in Amerika; und die Abschaffung der Sklaverei im englischen Westindien ist ein gefährliches Beispiel, welches der schwarzen und farbigen Bevölkerung in andern amerikanischen Ländern vor Augen gestellt ist. England läßt sein Westindien dem Verfall entgegengehen, um in Ostindien desto bessere Ernten für den allgemeinen Markt zu bewirken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III