Deutsche.

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Ein anderes Bild als die Italiener gewähren uns im Mittelalter die deutschen Kaufleute. Niemals finden wir in der Geschichte ein Beispiel, daß eine so große Menge von Handelsstädten aus freiem Antrieb und aus freier Einsicht, ohne irgendwie durch ein Staats- oder Reichsoberhaupt geleitet und genöthigt zu werden, auf eine so lange Zeit einen großen Bund und eine große Handels- und Kriegsmacht bilden, wie es die deutschen Hansen thaten. Der Kaufmann vor allen andern Ständen liebt Ungebundenheit und freie Bewegung, sein egoistisches Interesse sträubt sich gegen die freiwillige Unterwerfung unter den Willen anderer Genossen: den deutschen Hansen stand das vaterländische Interesse höher, sie folgten einer bessern Einsicht. Nicht blos in ganz Nord- und Mitteldeutschland, sondern auch im Süden unsers Vaterlands traten die Städte aus freien Stücken zu Handelsbünden zusammen. Noch jetzt ist Verträglichkeit und Wohlgönnen unter deutschen Großhändlern im In- und Auslande im Ganzen genommen immer noch mehr zu Hause, als unter Kaufleuten anderer Nationen.


Die Hansen trieben gleich den Italienern vorzüglich Zwischenhandel, und sie scheuten ebensowenig wie diese vor einem praktischen Egoismus zurück, indem sie Handel und Gewerbe in den von ihnen beherrschten fremden Reichen sich dienst- und zinsbar machten. Ihre gemeinsame Handelspolitik befolgte hartnäckig Maßregeln, welche sich nicht gerade mit dem Gebot allgemeiner Nächstenliebe vertrugen. Stehen aber Völker wider Völker, dann ist ein rechter nationaler Egoismus besser als jener sanfte Kosmopolitismus, hinter dessen erhabenem Panier sich Schwäche und Unklarheit, kleinliche Sonderinteressen und die Träume gelehrter Systemmacher verstecken.

Die deutschen Hansen waren jedoch mehr als bloße Zwischenhändler. Ihr Handel umfaßte und belebte auch Gewerbe Ackerbau und Viehzucht im großen deutschen Hinterlande. Auf ihren Flotten, welche orientalische, italienische, flandrische, russische und englische Waaren verschifften, befanden sich auch die Kaufleute aus den zahlreichen Bundesstädten im Innern Deutschlands, welche die Manufakturen ihrer Heimath auf die Märkte nach Nowgorod, Bergen, London, Brügge und Lissabon brachten. Indem die Hansen den vaterländischen Gewerbfleiß beförderten, zogen sie daraus immer neue Kräfte. Sie begnügten sich auch nicht, die fremden Länder blos auszubeuten, sondern im Verein mit den deutschen Rittern gründeten sie in den eroberten Ostseeländern große reiche Städte, zahlreiche Landsitze, und beförderten den Landbau der dort einheimischen Bevölkerung. Mit klugen Handels- und Seegesetzen gründeten die Hansen ferner Ordnung und Sicherheit im Verkehr, und säuberten die Land- und Wasserstraßen von Wegelagerern und Piraten.

Durch eine solche gemeinsame Handels- und Kolonialpolitik, durch Förderung des einheimischen Fleißes, durch Besiedelung neuer Länder wurde es den deutschen Kaufleuten möglich, die stattlichsten Kriegs- und Handelsflotten zu unterhalten und in fremden Reichen wie Herren zu schalten und zu walten. Auch bestand ihre Herrschaft nicht unter rohen orientalischen Völkern wie die der Italiener, oder unter unmächtigen Indiern Malayen und Hindus, wie die Herrschaft der Spanier und Franzosen, Holländer und Engländer, sondern die Deutschen herrschten in den Reichen seefahrender Völker germanischen Stammes. Die Engländer halten von gebildeten Völkern gegenwärtig allein Portugal unter ihrer Handelsherrschaft; noch viel abhängiger waren damals sie selbst sammt den Dänen, Norwegern, Schweden und Russen von den Deutschen.

Als Ursache des Untergangs der Hanse wird gewöhnlich die Entdeckung der neuen Seewege angeführt. Indessen liegt es auf der Hand, daß die Deutschen, welche damals die mächtigsten Flotten und zugleich mit den Italienern die reichsten und seeerfahrensten Bürger hatten, sich auch leicht überseeische Länder hätten aneignen können, wie denn auch ein Augsburger Handlungshaus, die Welser, für sich allein in Venezuela ein Reich gründete. Der Welthandel ging aus andern Gründen den Deutschen verloren. Sie hatten bereits des Guten zu viel und wurden lässig und uneinig; die Religionskriege nahmen Deutschlands ganze Thätigkeit in Anspruch und zerstörten den Wohlstand, während zugleich die aufstrebende Territorialherrschaft die freie städtische Bewegung umzingelte und unterdrückte und keine nationale Handelspolitik mehr auskommen ließ. Im selben Grade als Deutschlands Einheit mehr und mehr in die Brüche ging, traten den Deutschen andere Völker entgegen, welche durch ihre Könige immer schärfer geeinigt wurden und eine einheitliche nationale Politik auch im Handel verfolgten.

Der Mangel einer solchen Politik, welche von der Gesammtkraft der Nation getragen wird, war die Hauptursache, weshalb Deutschland den Welthandel einbüßte; derselbe Mangel ist auch jetzt die Hauptursache, daß die Deutschen im Welthandel nicht wieder Mitherrscher geworden. Denn trotz so langer Verwahrlosung der nationalen Handelsinteressen, trotz aller holländischen dänischen englischen und russischen Bestrebungen, dem deutschen Seehandel möglichst zu schaden, ist dieser dennoch der bedeutendste nach England und Nordamerika, und Hamburg die zweite Welthandelsstadt in Europa. Erst in neuerer Zeit und vorzüglich durch den Zollverein nähert sich Deutschland wieder – und die guten Früchte werden offenbar auf allen Gebieten – einer nationalen Handelspolitik. Würde diese ganz Deutschland umspannen, würde sie kraftvoll und beharrlich von einem gemeinsamen Mittelpunkt aus geführt, ginge sie, statt sich mit Abwehr zu begnügen, zum Angriff über, schaffte eine Kriegsflotte und nähme bei Gelegenheit den Holländern und Dänen, welche es tausendfach um uns verdient haben, die Sorge für ihre überseeischen Besitzungen ab, so würde Deutschland auch jetzt eine gebietende Stellung im Welthandel bald erobern. Dafür bürgen Geschick und Fleiß seiner Bewohner, die reiche Anzahl seiner tüchtigen Kapitäne und Matrosen, und vor allen der solide und unternehmende Geist seiner Kaufleute. Es giebt auch in Deutschland Kaufleute, welche an fremde Völker erst halbe Schiffsladungen verschleudern, um sie an den Gebrauch der Waaren zu gewöhnen und später den Gewinn vom Verkauf derselben einzuziehen. Giebt es sonstwo eine solche Girobank als in Hamburg? Welche andere Handelsstadt als Bremen steht sich gut dabei, daß die Kaufleute selbst ihren Steuersatz blos nach Pflicht und Gewissen angeben?

Um den deutschen Kaufmann recht hochachten zu lernen, muß man ihn in der Fremde sehen. Deutsche Kaufleute sind zahlreich in allen Seestädten ansässig. Man mag nach Portugal Spanien Südfrankreich Italien und nach der Levante oder nach Holland England und Rußland oder nach Nord- oder Südamerika oder nach China reisen, gute Empfehlungen an deutsche Großhändler wird man überall mit dem besten Erfolg abgeben können. Ueberall stehen sie im Rufe der Geradheit und Festigkeit, wie großer Geschäftskenntnisse und guter Bildung. An vielen Seeplätzen, namentlich allen südamerikanischen, nehmen sie den ersten Rang ein, in Nordamerika steht nur ein Theil der geborenen Amerikaner über ihnen. Ihre Unternehmungen sind ebenso großartig angelegt und klug und umsichtig geführt, wie irgend eines Engländers oder Amerikaners. Den unternehmendsten Engländern ist der deutsche Kaufmann aller Orten im Wege. Dabei ist dieser nicht blos darauf erpicht, mit vollen Beuteln bald nach Hause zurückzukehren, wie der Franzose Italiener und Engländer, der die Unwöhnlichkeit der Fremde sich nicht erheitert und seine Tage in Arbeit und mürrischer Abgeschlossenheit hinbringt, weil er immer die Rückkehr in die Heimath im Auge hat. Der Deutsche macht es sich gern behaglich wo er wohnt, er erkundet Natur und Umgebung und Geschichte seines Wohnplatzes, und vermehrt durch fortgesetzte Studien seine Kenntnisse. Wer sollte es glauben, die vielen Folio–Bände der Ersch und Gruber’schen Encyklopädie stehen im Salon mehr als eines deutschen Kaufmanns in überseeischen Ländern. Auch der Engländer hat nicht so viel Anlage als der Deutsche zum rechten Großkaufmann, der seinen Beruf mit höhern Blicken als mit denen eines Beutemachers betrachtet, als den Beruf des Länder und Völker verbindenden Handelsherrn, der überall die Kultur pflegt und Handwerker und Ackerbauer herbeizieht.

Was aber dem deutschen Kaufmann nur zu oft abgeht, ist eine stolze feste Haltung andern gegenüber, und rasche Kühnheit in seinen Entschlüssen. Aus übergroßer Bescheidenheit hält er sich gewöhnlich in zweiter Linie; aus übergroßer Bedächtigkeit neigt er zu langsamer Bewegung, wo nicht gar zum Schlendrian. Freilich würde er nicht so gern mit der Rolle eines stillen sparsamen Hausvaters sich begnügen, wenn er sich als Glied eines großen weltherrschenden Volkes fühlte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III