Chinesen.

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Der Chinese ist vortrefflicher Kleinhändler, zum Großhandel nach fernen Ländern reichen seine Geister nicht aus. Weder sein Schiff noch sein Muth ist gerüstet, Monate lang die hohe See zu halten, jedoch im Küstenfahren sucht er seines Gleichen an Kühnheit und Geschick. Höchst gescheidt und unverdrossen als Handarbeiter hilft er sich durch zahllose Mittelchen, auf die kein anderer verfiele; aber kunstreiche Maschinen auszudenken nach mathematischen Gesetzen, das geht über seinen Horizont. Im Kleinen ist er erstaunlich erfinderisch, mit unsäglicher Geduld hat er ausgedehnte Werke zu Stande gebracht, allein nur indem er die Handarbeit im Kleinen auf größern Räumen zusammensetzte. Der Chinese würde sich nicht scheuen, das Austrocknen eines Sees zu übernehmen; sicher aber würde er eher daran denken, ihn mit Eimern auszuschöpfen, als durch künstliche Werke das Wasser abzulassen. Der Blick aufs Große und die Kraft, die tieferen Naturgesetze zu erkennen und zu bemeistern, geht ihm ab.


In seiner Familie giebt der Chinese fort und fort rührende Beispiele von Kindespflicht Treue Fürsorge und Sparsamkeit: in Handel und Wandel ist er der ärgste Spitzbube unter allen Asiaten. Der Europäer kann erst dann hoffen durch Handel mit Chinesen zu gewinnen, wenn er ein paarmal von ihnen überlistet und dadurch mit den Schlangenwindungen ihres Gedankenganges bekannt geworden ist. Der Chinese hat Anlagen zu einem geschickten Kaufmann, er ist scharfsinnig, thätig und ausdauernd, erträgt Mühseligkeiten, als wären sie nur leichtes Unwetter, spürt den guten Markt aus auf hundert Meilen weit, und kommt gleich her, sich dort niederzulassen. Die Ansiedelungen der Chinesen vermehren sich mit jedem Jahr an allen Küsten des indischen und stillen Ozeans, wo Geld zu gewinnen. Im ganzen indischen Archipel ist der Chinese eigentlich Alles: Kaufmann, Mäkler, Handwerker, Landbauer, und in jedem Geschäft erfinderisch und arbeitsam vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Der Europäer ist dort der Herr, der Chinese aber der eigentliche Anbauer und Ausbeuter des Landes. Denkt der Europäer irgendwo ein Geschäft allein zu haben, gleich ist der unermüdliche, umsichtige, glattzüngige Chinese da und bemächtigt sich tausend kleiner Vortheile. Namentlich ist er Meister darin, ein schwächeres Volk auszubeuten, und schreckt dabei vor keinem Mittel zurück; denn tiefinnerlich ist der Chinese ein kalter, hochmüthiger Egoist. Vor jedem mächtigern Volk weicht er mit ungeheurer Feigheit und behält gleichwohl seinen Hochmuth gegen dasselbe, wie etwa Jemand vor einem Wüthenden wegläuft und ihn dennoch verachtet. Nichts ist lächerlicher, als das aus eben so viel Haß und Abscheu als aus Furcht gemischte Gefühl, das den Chinesen in Bezug auf die „fremden Teufel“ erfüllt. In seinen Hafenstädten sind sie eingepfercht in einige abgesperrte Stadttheile, gerade so wie man in Europa im Mittelalter die Juden behandelte, und der Chinese drückt jeder Art von Verkehr mit Fremden den Stempel eines ehrenrührigen Geschäfts auf. Da ihm andere Waffen versagen, greift er zu den Waffen des Verraths und der Arglist.

Doch vielleicht ist das chinesische Volk erst in späten Tagen in so tiefe Entsittlichung versunken, seine Religion und Familiensitte weisen auf bessere Zeiten zurück. Die zwei Jahrhunderte der Fremdherrschaft haben das Gute im chinesischen Charakter zurückgedrängt und alles Schlechte hervorgehoben. Das ganze chinesische Staatswesen ist jetzt ein raffinirtes System der Ausbeutung des einen durch den andern, vom Obersten bis zum Niedrigsten, gezügelt nur durch Furcht, Schlauheit und Trägheit. Ganz erstorben sind die bessern Keime in diesem Volke noch nicht, es wäre möglich, daß eine Zeit der Wiedergeburt für dasselbe neu begänne. Im Zusammenstoße mit den Europäern ist die Jahrtausende alte Starrheit gebrochen, es dringt neues Leben ein in dies unermeßliche Reich, das bisher nichts war als ein ungeheurer wimmelnder Ameisenhaufen. Es ist im hohen Grade auffallend, wie rasch nach dem Kriege mit den Engländern, der die Schwäche der Herrscher in China zum Entsetzen der Unterthanen enthüllte, aus dem Innern des Reiches der Anstoß zur Wiedererwerbung der Herrschaft für das alteinheimische Volk, und zur Reinigung von den Lastern seiner Beherrscher erfolgte, unter dem dunkeln Antrieb von Ideen, welche doch nicht ganz eines sittlichen Grundzugs entbehren. Gelingt es jetzt den Chinesen ihre nationale Starrheit und Befangenheit von sich abzuwerfen, so kann dieses Volk noch eine eigenthümliche Bedeutung in der Weltgeschichte erlangen. Es wird ihm immer unmöglich fallen, des Kleinlichen und Fratzenhaften, das so tief in seinem Charakter steckt, sich ganz zu entledigen; das hindert jedoch nicht, daß die Chinesen mit ihrer zahllosen Volksmenge, mit ihrer Thätigkeit und Industrie die weiten üppigen Tropenländer bevölkern, in welchen der Europäer als Selbstanbauer des Bodens einmal nicht ausdauern kann. Die Sklavenherren in den Vereinigten Staaten denken zwar daran, in die Tropenländer eine Negerbevölkerung zu werfen, welche dem weißen Pflanzer die fruchtbare Natur ergiebig machen soll; vielleicht ziehen ihnen die Chinesen noch einen Strich durch die Rechnung. Denn beginnt einmal ihre Auswanderung dorthin wie jetzt nach Californien, so läßt sich ihr wachsendes Gewimmel nicht mehr zurückdrängen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III