Hindus.

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Ein tiefbegabtes Volk, um welches seit vielen Jahrtausenden die Geheimnisse der Weltgeschichte zu weben scheinen. Seine Industrie ist so uralt, so reich und glanzvoll wie die wunderbaren Erzeugnisse seiner Poesie und seines Schauens nach dem göttlichen Grund und Wesen aller Dinge. So lange die Menschheit zurückdenkt, hat Indien vor den Gedanken der Völker gestanden wie ein Hochberg voll unendlicher Schätze, und ebenso lange haben sie von den Hindus Ideen geholt für ihre Religionen und ihr Staatswesen.


Die Indier selbst aber haben seit Jahrtausenden sich abgeschlossen verhalten gegen die übrigen Menschen. Sie haben immer nur verkaufen und lehren wollen, nicht selbst kaufen und lernen. Dadurch haben sie sich die Rache der Geschichte zugezogen. Denn ein Volk, das gegen die Produkte seines Bodens und seines Fleißes immer nur Gold und Silber, nicht Waaren eintauscht, das immer nur bei seinen alten Industriezweigen verbleibt und keine neuen lernen will, ein solches Volk zieht sich allmählig zurück aus dem anregenden und befruchtenden Leben des Welthandels. Es wird geldreich, allein es erstarrt in seinem Wissen und seinen Gewohnheiten und verliert unvermerkt seine innere Energie. Die Indier haben seit vielen Jahrhunderten die Völker der Erde zu sich kommen lassen, damit sie ihnen Edelmetalle brachten und dafür Waaren abholten. Die Indier selbst ließen sich höchstens als vereinzelte Kaufleute in den persischen und arabischen Küstenstädten nieder, sie gingen nicht als Handelsvolk auf’s Meer oder mit den Karavanenzügen in die Länder hinaus. So wurden sie unermeßlich reich an todtem glänzenden Metall, ihre Tempel und die Höfe ihrer Fürsten und Vornehmen wurden Vorrathshäuser, in welchen sich das Gold und Silber von der ganzen Erde aufspeicherte. Aber das Volk selbst versank in Weichlichkeit und Wohlleben, es wurde matt und unfruchtbar im Geiste. Endlich kamen die fremden Völker und holten die Schätze wieder, denn ihre Raubheere fanden leichtes Spiel. Was während eines vollen Jahrhunderts durch fleißige Arbeit und guten Verkauf gesammelt war, das nahm in einem einzigen Jahre Sultan oder Chan mit sich fort, und unter den Tritten ihrer grimmigen Horden sanken die indischen Städte in Asche. Zuletzt ließen sich die Fremden im eigenen Lande der Indier nieder, um sie dauernd zu beherrschen und auszubeuten. Unter dem entsetzlichen Druck und Elend, das der Hindu sieben Jahrhunderte von seinen fremden Beherrschern ertrug, wurde auch seine bessere Natur verderbt, er behielt nur noch die Waffen der Schwachen, er wurde aalglatt und ränkesüchtig, und wenn er einen Augenblick Luft bekam, badete sich sein Haß gegen seine Unterdrücker sinnlos in Blut und Gräueln.

Die Engländer haben auch die Reste der indischen Industrie matt gelegt, selbst die Baumwollengewebe liefern die englischen Maschinen billiger und besser, als der bienenfleißige Hindu sie mit seiner Händearbeit herstellen kann. Freilich pflanzen die Engländer dem Boden Hindostans ihre eigene Industrie ein, sie beleben den Handel mit Eisenbahnen, Dampfschiffen und Telegraphen, sie erweitern den Landbau durch Einbürgerung neuer Erzeugnisse, sie haben das ganze Volk in die Lehre genommen, um es allmählig in die europäische Kultur einzuführen. Allein, ist bis jetzt nur irgend ein Resultat gewonnen, das einer sittlichen Kräftigung, einer Belebung der nationalen Industrie ähnlich sieht? Angefressen ist das Volk von europäischer Kultur, merkwürdig rasch, aber auch nur angefressen. Der Hindu der unteren Klassen gehorcht und lernt nur mechanisch, er bietet seinen Beherrschern nichts als seine leeren Hände, jener muß sie erst in Bewegung setzen. Der vornehme Hindu aber verliert, sobald er den Glauben seiner Vätern aufgiebt, auch sofort allen sittlichen Halt. alles religiöse Gewissen und Glauben, und wird entsetzlich gemein.

Das dunkle Räthsel der orientalischen Frage erstreckt sich auch bis hierher, von den Gränzen des Orients bis in seinen uralten Mittelpunkt. Kann die europäische Kultur nur zersetzend und auflösend auf diese Völker wirken? Findet sie keinen homogenen Stoff mehr vor, den sie neu beleben und ausbilden könnte? Jedenfalls liegen hier noch Arbeiten vor, welche nur durch gemeinsame Anstrengungen aller gebildeten Völker gelöst werden können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III