Abschnitt 2

XI.
Ein Tag wieder in Europa.


Die beiden Hauptgründe dieses Unterschieds zwischen hier und drüben sind wohl: einerseits die schrankenlose politische und industrielle Freiheit, und andererseits die Fülle und Leichtigkeit des Erwerbes in Amerika. Wo Jedermann mit seinem Willen und seiner Persönlichkeit, mit seinen Ideen und seinen Einfällen ohne weiteres und durch nichts gehindert auf den öffentlichen Markt treten und Anhänger dafür sammeln kann, – wo es ihm freisteht, jede Art von Erwerb, die ihm möglich scheint, auch sofort ins Werk zu richten, – da stellt sich von selbst mehr Selbstgefühl mehr Rührigkeit mehr rüstiges Streben ein. Dann aber hat zweitens der Amerikaner noch ein weites Land um sich her, dessen natürliche Hülfsquellen eben erst angebrochen sind. In Europa ist jedes Fleckchen bereits besetzt, in Amerika giebt es noch unzählige gute Plätze auszubeuten. Jene Freiheit und diese Erwerbsfülle zusammengenommen geben dem amerikanischen Volke das Rastlose Schwunghafte und Spannende im ganzen Leben und Treiben, was jeden Einzelnen wie die ganze Volksmasse immerfort in Bewegung hält. Der letzte Farmer dort in den Wäldern und Prairien bekümmert sich ganz ernstlich um den Gang, den Politik Handel und Gewerbe im ganzen Lande nehmen, bewußt oder unbewußt schafft er mit daran, während in Europa die große Masse des Volkes davon nur erst ein unklares Bewußtsein hat.


Es wirken freilich auch rein äußerliche Ursachen mit, um dem amerikanischen Volke ein günstigeres Aussehen zu geben. Es giebt darin wirklich, großentheils in Folge der Auswanderung aus Europa, mehr junge Männer als Frauen und Greise. Die Frauen aber lassen sich weniger öffentlich sehen, leben mehr in den Häusern und nicht so in Arbeit und Geschäften wie bei uns. Was ferner gebrechlich oder körperlich entstellt oder altersschwach ist, wagt sich nicht hervor, es ist kein Platz und keine Rücksicht dafür da. Deshalb sieht man in Amerika vorwiegend unternehmungslustige Männer. Man hält überhaupt mehr auf äußeres Ansehen und putzt sich sorgfältiger heraus. Was erworben ist, das verwendet man zuerst auf ein anständiges Erscheinen und macht sich dann die nächste Gegenwart damit erfreulich. In Europa sind die Leute an das Sparen gewöhnt. dafür hat aber auch eine europäische Familie in der Regel einen solideren Halt als die amerikanische. Insbesondere gern will sich in Amerika Alles ein jugendliches Aeußere geben, arm und alt zu scheinen ist beides etwas, was man gern vermeidet. Daher merkt der Fremde auf den ersten Anblick nicht, wieviel krankhaftes in diesen Menschen steckt. In jedem europäischen Volke hat. – wie ich dies alles schon früher bemerkt habe, – die Masse einen Kern von derber Kraft und Gesundheit, der in Amerika in dieser Weise in den meisten Gegenden fehlt. Bei uns zeigt sich endlich das Alte das Kümmerliche und Gebrechliche offener, weil es des öffentlichen Mitleids oder doch der Duldung gewiß ist, welche in Amerika im Ganzen genommen nicht heimisch sind. Reine Herzensgüte ist viel seltener dort als in Europa, man greift dem Nothleidenden einmal recht praktisch unter die Arme, dann aber muß er sich selbst helfen oder verderben.

Als ich nun mich mehr unter das europäische Volk mischte, wie es mir in der ersten besten Hafenstadt entgegentrat, war mir etwas Auffallendes, aber desto angenehmer diese Höflichkeit und Güte, diese feine Sitte, die mich überall umgab. Es war etwas Weiches behagliches darin, wie in milder lauer Luft. Dessen war ich in den Vereinigten Staaten außerhalb der Salons und befreundeter Familien lange entwöhnt gewesen. Man thut dort gerade das was Einem gefällt, nur gegen die einmal feststehenden allgemeinen Regeln des Umgangs darf Keiner anstoßen, im Uebrigen bekümmert man sich um die Andern nicht. Gewiß ist bei einem Volke Mannesstolz und würdiges Selbstgefühl in jedem Einzelnen vor allem hochzuachten, und wer hat am Ende nicht lieber mit derben Leuten zu thun, denen der Firniß noch fern geblieben ist, als mit immer freundlichen schleichenden Menschen, von denen man niemals recht weiß, wie man mit ihnen daran ist? Auch wird Jeder Das den Amerikanern lassen müssen, daß sich bei ihnen jenes ehrenwerthe Mannesgefühl, welches auf sich selbst ruht und dabei jedes Andern Persönlichkeit achtet, viel allgemeiner findet als bei andern Völkern. Allein nicht zu leugnen ist, daß damit häufig eine innere Rohheit und Herzlosigkeit sich verbindet, welche im Volkscharakter viel Widerwärtiges aufdeckt. Das Rowdywesen, jenes ächt amerikanische Landeserzeugniß, macht sich bei tausend Anlässen gar zu breit. Es zeigt die Kehrseite des amerikanischen Charakters, Europa hat statt dessen desto mehr Bedientenvolk. In den Vereinigten Staaten wird der Fremde bald darauf gefaßt, Tags über auf grelle Züge von Rohheit und Selbstsucht zu stoßen, und unwillkürlich bekommt er selbst nicht blos etwas Entschlossenes, sondern auch Derbes und Rücksichtsloses in seinem Benehmen. Dem Einwanderer setzt sich schon nach wenigen Wochen etwas vom amerikanischen Wesen an, was keineswegs immer liebenswürdiger ist als das heimische. Mancher wird bei der Rückkehr in Europa vielleicht erst durch die verlegenen Mienen Anderer daran erinnert, daß er nicht immer den Hut auf dem Kopfe zu behalten und überall gleich darein zu reden habe. Der Ankömmling nimmt in den Vereinigten Staaten auch unglaublich schnell amerikanische Denk- und Anschauungsweise an, und dort kann man bei deutschen Schriftstellern von Jahr zu Jahr deutlich verfolgen, wie sich stufenweise ihr deutscher Stil bis zur Unverständlichkeit verschlechtert.

Nachdem ich den ersten Tag wieder in Europa zugebracht hatte, war ich erstaunt darüber, was ich alles hier in einem einzigen Tage gesehen, wie vielfache Anregung ich erhalten hatte. Welche Fülle und Gedrängtheit von Eindrücken und Genüssen aller Art, wieviel Originelles und Mannigfaltiges in Natur und Gesellschaft, wieviel Kenntnisse und Bildung, Kunstsachen und Alterthümer hier in einer einzigen Stadt, die zudem bloß eine französische Hafenstadt war! Und drüben in Amerika, welche Leere, welche Einförmigkeit in Land und Menschen! Auf wochenlangen Reisen immer dieselben Gesichter, man sieht es ihnen an, in dem einen wie dem andern arbeiten ganz dieselben wenigen Gedanken. Eine gleiche nackte Einförmigkeit herrscht in ihrer ganzen Einrichtung, immer dieselben Häuser und Hütten, immer dieselben Sitten Gebräuche und Ansichten bis auf das Kleinste gerade so, wie man das alles in den ersten Tagen kennen lernte. Es ist natürlich, daß im Amerikaner das Heimathsgefühl so lau ist: er hat zwar die lebendigste Anhänglichkeit an sein großes weites Land, jedoch haftet er an keiner lieben Stelle darin. Im Vergleich mit amerikanischer Einförmigkeit scheint Europa fast überall anmuthig erfüllt und heimathlich. Die zahllosen Geschlechter, welche hier schon gewohnt haben, ließen alle etwas von ihrem Dasein zurück. Hier bekommt man die Augen zu voll, dort in Amerika reißt man sie auf und sieht doch nichts Anderes, als leere Flächen mit hastigen Menschen, von denen der eine gerade so lebt denkt und handelt als der andere. Land und Volk der Vereinigten Staaten gleichen einem Gemälde, das bei dem ersten Anblick reizende und machtvolle Gruppen zeigt, auf welchem man aber bei längerem Beschauen keine technische und keine ideale Tiefe findet. Die amerikanische Literatur bekundete in den Kinderschuhen schon ein merkwürdiges Talent, Stücke aus der Wirklichkeit nach dem Leben zu zeichnen: es bleibt aber immer bei den Stücken und selten kommt der Dichter zu einer ächt künstlerischen Durchbildung und Gruppirung.

Mittlere Bildung, mittlerer Wohlstand, – beides aber ebenso allgemein verbreitet, als hohe Bildung und kolossaler Reichthum verhältnißmäßig selten sind, – das ist das Gepräge des amerikanischen Volkes. Welches andere Volk der Erde kann sich freilich eines Gleichen rühmen? Wo sind dort die Dörfer voll plumper unwissender Bauern? wo die jammervolle Armuth der europäischen Fabrikgegenden? Es ist wahr, Amerika hat entsetzlich viel Gesindel und zwar das frechste und raublustigste, – Amerika hat auch jene noch fast thierisch rohen Massen von Schwarzen und Farbigen, deren Zukunft für das Land wie für sie selbst ein düsteres Räthsel ist, – allein so wenig man vor diesen Thatsachen die Augen verschließen kann, so bedeutend treten doch auch die Millionen freier Bürger hervor, welche in der Union auf eigenem Haus und Hof sich behaglich finden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III