Abschnitt 1

XI.
Ein Tag wieder in Europa.


Es war dunkler Novemberabend, als der Kapitän mich auf das Verdeck nöthigte und mir in der Ferne ein röthliches zitterndes Licht zeigte, das wie auf dem Meere zu schwimmen schien. Jeden Augenblick wurde es wieder von Wellen und Wolken verschlungen, doch immer trat es nach einiger Zeit heller und ruhiger hervor; man konnte nicht mehr zweifeln, es war wirklich der Leuchtthurm an der englischen Küste. Ein fröhliches Gefühl durchzuckte mich, bald stand ich wieder auf dem reichen sichern europäischen Boden. Erst vor achtzehn Tagen war uns die amerikanische Küste hinter den Wellen versunken, – eine wahrlich rasche Fahrt für ein Segelschiff. Der „Baltimore“ war ein starker guter Segler, und sein Kapitän, welcher bisher nur eine Brigg in den westindischen Gewässern befehligt hatte, wollte zeigen was er vermöchte. Alles Tuch wurde aufgezogen was im Schiffe war, und bei jedem Winde mit voller Hast gefahren. Das Krachen von brechenden Stangen und Rollen, Tauen und Segeln hörte niemals auf, selbst das große Bramsegel zerriß einmal; allein immer wurden wieder neue Segel aufgesetzt, immer schoß das Schiff durch die klatschenden Fluthen, und das Heulen des Windes und das Klappern im Takelwerk war Tag und Nacht unsere Musik. Ich glaube, in den achtzehn Tagen ist das Verdeck keine drei Stunden von Sprützwellen trocken geblieben. Zwei Tage lang hatten wir auch einen artigen Sturm; man sah Nichts als brechende Wasserberge und weithin sprützenden Schaum. Ich klammerte mich ein paarmal auf dem Verdecke fest, das Schauspiel war zu erhaben: es war aber nicht möglich, trotz aller Umhüllung nicht gleich durchnäßt zu werden bis auf den letzten Faden.


Als wir in den Kanal eintraten, legte sich der Wind. Das Schiff zog jetzt mit sanft geschwellten Segeln voran, zwischen den Dünsten und Nebeln tauchte zu Zeiten weißhügelig die Küste hervor. Am nächsten Abend kreuzten wir vor Havre. Das Mondlicht ruhte auf den weiten stillen Gewässern, Schwärme von Segeln zogen lautlos vorüber, und in der Ferne erhob sich schimmernd die Stadt mit ihren Bastionen. Alle Arbeit auf dem Schiffe war gethan, jeder in ruhiger Erwartung des baldigen Landens, eine Art Feiertagsstille lagerte sich über das ganze Schiff. Ich konnte nicht mehr schlafen und ging auf dem Verdecke auf und ab. Mein ganzes Herz war voll tiefen Dankes gegen die Vorsehung, daß so Vieles auf der Erde ich hatte schauen dürfen, immer gesund und glücklich, und daß ich jetzt die mir Theuersten alle wieder sehen sollte.

Ich war schon halb auf dem Lande, und immer lebhafter, immer reizender drängten sich vor meine Anschauung die Bilder und Genüsse, welche man nur in Europa haben kann, und am Ende aller Gedanken erschien im köstlichsten Lichte die liebe Heimath. Mehr als ein Jahr war ich in Amerika umhergestreift und nun herzlich froh, all der Entbehrungen drüben los zu sein. Wohl stand mir bergartig das Große und Gewaltige noch in der Seele, was ich drüben geschaut hatte, die tiefen Urwälder und ihr endloses dumpfes Rollen, die Riesenströme mit ihrem breitlebendigen Wogenglanze, der frische Zauber der weithellen Prairien, und dazwischen gestreut, die Natur beutegierig niederringend, ohne Rast und Ruhe hin und her eilend, das jugendliche Volk der Freistaaten, jener eitle einseitige und doch wieder so stolze und ungestüme Charakter des eingebornen Amerikaners, durchsetzt mit einem Gemisch aus allen Völkern Europas, mit Schwarzen und Farbigen, und ganz im Hintergrunde die stillen verbleichenden Schaaren der Indianer. Als wenn ich jetzt erst Abschied nähme von Amerika, so kam Alles mir wieder vor die Augen: die weiten netten Städte und niedlichen Ortschaften mit dem unaufhörlichen Marktgewühl und den wohlgekleideten Leuten und hübschen Mädchen, die Massenversammlungen und vielen Festzüge, die belebten Gesellschaftsabende und die einsamen Blockhäuser angefüllt mit fieberbleichen Gestalten, die Sektenrasereien und die sozialistischen Ansiedelungen, die Sklavenpeitsche und die Rowdies, die Fregatten und Indianerforts, die Jagd- und Fischzüge auf weiten unbewohnten Strecken, – kurz das ganze eigenthümlich amerikanische Leben, welches man Keinem klar machen kann, der nicht selbst etwas davon gesehen hat.

Ich wußte wohl, daß Europa in gar vielen Dingen dem jungen Amerika nachstehe, insbesondere daß es gar keinen Vergleich mit ihm aushalten könne, sowohl in Bezug auf Naturfrische des Landes, als auf die Zahlenmenge der Familien, die ohne Sorgen leben und anständig auftreten. Aber ich hatte auch nicht vergessen, wie viel Gemüthliches Schönes Geistnährendes Europa voraushat, wie die Natur hier auf kleinem Raume hundertmal mehr Anmuth und Erhabenheit geschaffen, als in den unabsehlich einförmigen hügelwelligen Flächen Amerikas, und wie die Geschichte seit Jahrtausenden dem europäischen Boden die Marken aller menschlichen Größe und Ehre eingedrückt, mit denen im Vergleich das Neuland Amerika noch so nackt erscheint wie der Boden, den noch nicht lange das Meer verlassen hat. Ich hatte ungefähr ein Gefühl, als wenn ich aus einer Gesellschaft kräftiger Burschen, die da hinten in den Wäldern, frei wie Vögel in der Luft, ihre Häuser zurecht zimmern und unbekümmert darauf los leben und handeln und wuchern, zurückkäme zu Familien voll feiner Sitte und Ordnung, in denen sich viel Schwächliches und Kümmerliches angesetzt hat, in deren Schooße sich aber auch die edelste humane Bildung und eine unaufhörliche Abwechslung der reinsten Genüsse entfaltet.

Erst nach Mitternacht ließ unser Postschiff die Anker fallen. Wir hatten uns der Stadt ziemlich genähert. So große Lust ich fühlte, wieder auf europäischen Boden zu springen, die eine Nacht mußte ich noch mit dem schmalen Bettchen in der Kajüte vorlieb nehmen. Das Kämmerchen, in welchem ich Wochen lang hin und her geschaukelt war, kam mir ganz fremd vor: zum erstenmal lag ich wieder so ruhig und wagerecht, wie man es auf dem Lande nicht anders kennt, und hörte nicht mehr das Anklatschen der Wogen, das ruhelose Pfeifen und Summen im Takelwerk und das dumpfe Meeresrauschen.

Der bleiche Morgenschimmer flog schon an die schmalen Fenster meines Schiffskämmerchens, als ich endlich einschlief, und es war bereits heller Vormittag, der Hafen voll rühriger Thätigkeit, als ich aufwachte und sah, daß unser Schiff jetzt nahe am Hafendamme lag.

Fröhlichen Sinnes stieg ich über die Schiffsreihe weg, an deren Ende der „Baltimore“ sich festgemacht hatte, und vertiefte mich unter die Haufen von Schiffsvolk Handelsherren Trödlern und Zuschauern, welche rings um das Hafenbecken wogten. Der erste Eindruck war, ich kann nicht anders sagen, ein erschütternder. Gewiß dachte ich nicht anders, als auf dem europäischen Boden mehr Ruhe und mehr Elend zu finden, als ich dort hinter dem Ozean zurückgelassen hatte: einen so starken und so traurigen Abstich aber des europäischen Volkes vom amerikanischen hatte ich mir doch niemals vorgestellt. Die Mehrzahl der Leute, die ich sah, schien mir etwas Leidvolles und Bekümmertes zu haben, das sie nur mit einem Gefühle würdigen Anstandes verschleierten. Welche Menge von ärmlich Gekleideten von Gebrechlichen von zarten Frauen, welchen die Noth das Gesicht gebleicht hatte! Wie ging das Alles so sorgenvoll so nachdenklich, und doch so freundlich und artig durch einander, als wüßte Jeder die Noth des Andern und suchte sie ihm durch stille Höflichkeit zu erleichtern! Wie ganz anders war das in Amerika! Dort, was für ein sorgloses ungestümes reißendes Treiben, wieviel Selbstgefühl und Rücksichtslosigkeit auf jedem Gesichte, welche Fülle von Lebensmitteln überall; man sah es den Leuten an, sie hatten keine Sorge für Essen Kleidung Wohnung und Gesundheit. In Amerika war fast nichts zu sehen als frische Burschen oder doch Männer, welche aussahen wie jung, hier in Europa dagegen, hervorstechend in dem Volke auf den Straßen und Plätzen, die Menge von Frauen und alten Leuten!

Dieser erste Eindruck, den Europa auf mich machte, kam mir in dieser Mächtigkeit so unerwartet, daß ich selbst zu zweifeln anfing, ob die Gründe dazu nicht viel mehr in mir selbst, als in der Wirklichkeit der neuen Umgebung lägen. Ich war indessen jetzt unter vielen Völkern gewesen, und da ich dabei nichts Anderes zu thun hatte, als zu beobachten, so hatte sich mein Blick für die Auffassung ihrer Eigenthümlichkeiten doch wohl geschärft. Auch blieb mir das Ansehen des Volkes während der ersten Woche in Europa fortwährend etwas Ungewohntes. Ich darf daher wohl annehmen, daß ich mich nicht ganz getäuscht habe. Ich kann die Art dieses Eindrucks, den das europäische Volk zuerst auf den von Amerika Zurückkehrenden macht, nicht besser bezeichnen, als wenn ich damit das unwillkürliche Erschrecken vergleiche, das einen Anhänger der modernen Völkerbewegung hätte überkommen müssen, wenn er aus der wilden Unruhe und Werdelust des Jahres 1848 ganz plötzlich in die eigenthümliche Stille vier Jahre später versetzt worden wäre.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III