Abschnitt 5

X.
Auf dem Michigan–, Huron– und Erie–See.


Buffalo könnte man den andern Hafen von Neuyork nennen. Wie diese Stadt, zeigt auch Buffalo, sobald man von den Häfen hereinkommt, großstädtische Pracht. Die Kaufleute, welche anfangs sich nur hersetzten um Zwischenhandel zu treiben, machten bald eigene große Unternehmungen, und sie säumten nicht, die dadurch gewonnenen Reichthümer in glänzenden Stadt- und Landhäusern anzulegen. Aus den Seitengängen der breiten Hauptstraße, vor den unabsehlichen prunkenden Schaufenstern der Kaufläden sieht man auch wieder in großer Menge die fein geputzten und ätherischen Damen wandeln, ein heiterer Anblick, wenn man aus dem fernen Westen zurückkommt. Die Häßlichste weiß durch sorgfältige Kunst etwas aus sich zu machen. Europäische, höher gebildete Gesellschaftskreise darf man hier allerdings noch nicht so häufig erwarten. Ich besuchte auch einen Deutschen, einen frühern Schneider, auf seiner Villa; er war Kleiderhändler im Großen geworden, und hatte jetzt in seinen alten Tagen ein prachtvolles geräumiges Landhaus; die deutsche Sprache hatte er meist verlernt und sich vollständig zu einem Yankee ausgetrocknet.


Einen Abend war ich im Theater, und mußte noch zu Hause über die tollen Possen lachen; das Uebrige war nicht der Rede werth. Das Theater schien nur ein Abklatsch von dem Neuyorker; ganz dasselbe Spiel, derselbe Ausdruck, dieselbe Eintheilung des Abends fand ich in allen amerikanischen Theatern einförmig wiederkehren. Große Stücke werden in einer merkwürdigen Aufgeblasenheit über die Bühne geführt. Die Schauspieler haben wohl Geist und Kraft, allein die Besten verderben alles, indem sie alles übertreiben. Es erweckt Ekel, wie sinnlich und ausführlich jede Empfindung dargestellt wird. Wenn ein Held erschlagen ist, macht er deutlich alle Stufen des Todeskampfes durch, windet sich, verdreht die Augen, schlägt schmerzvoll mit den Händen um sich, röchelt gurgelt und streckt sich, endlich haucht er aus und liegt bewegungslos: dann klatschen die Zuschauer wie besessen. Diese widerwärtige Manier hatte ich schon in England oft genug beobachtet, in Amerika war sie nun vollständig ins Breite gezogen. Dabei macht sich auch eine rein amerikanische Eigenthümlichkeit geltend: ein schlauer Handel ist dem Amerikaner so lieb wie das tägliche Brod, auch die Schauspieler suchen eine Hauptstärke in einer gewissen Pfiffigkeit der Mienen und des Ausdrucks. Die Possenspiele aber, deren jeder Abend wenigstens zwei bringt, sind höchst belustigend und theilweise feiner und witziger als auf den englischen Theatern. Es machten auch „ächte Beduinen“ ihre Künste, welche aber Franzosen waren, die sich gelbbraun angestrichen. Vor Fremden sprachen sie nur durch ihre Dolmetscher.

Die landwirthschaftliche Ausstellung war gerade eröffnet. Ausgezeichnetes Vieh und wahre Ungeheuer von Melonen Kartoffeln Rüben und allerlei Obst und Gemüse waren dort zahlreich aufgestellt. Der Ackerbau des Staates Neuyork hat schon seit älterer Zeit seine guten Grundlagen. Die Ausstellung konnte sich fast in jeder Beziehung mit einer englischen messen. Auf dem Wege dorthin begleitete mich ein alter Canadier, der mir von dem englischen Kriege erzählte und mit der Hand die Linie beschrieb, bis zu welcher die Engländer Buffalo niedergebrannt hatten. Vor fünfzig Jahren kam er hierher, da standen nur Wald und wenige Häuser da, und jetzt die prangende gewühlvolle Stadt. Ohne die europäische Einwanderung wäre Amerika niemals zu solcher Blüthe gekommen. Die amerikanische Eitelkeit will freilich sich alles allein verdanken, sie beansprucht ein in der Welt einziges Verdienst. Ohne daran zu denken, beleidigte ich eine übrigens gelehrte Amerikanerin, welche sich eben in den hochtrabendsten Redensarten über die allmächtigen nie gesehenen Fortschritte des Landes erging, dadurch daß ich einwarf, Rußland zeige Städte und Gegenden; welche ebenso rasch aufgeblüht wären. Als ich nun gar auf ihre Klage, dem amerikanischen Volle fehle nichts als der Ruhm der höchsten Bildung, erwiederte: in keinem andern Lande sei eine mittelmäßige Bildung so allgemein verbreitet, nur die höhere fehle, da hatte ich es ganz mit ihr verdorben. Die Amerikaner hassen nichts mehr, als in ihren Ansprüchen auf das Mittelmäßige beschränkt zu werden, und doch trägt jeder Zug ihrer Kultur den Stempel des Mittelmäßigen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III