Abschnitt 5

VI.
Auf den Gränzen der Ansiedlungen.


Als ich mehr mit ihnen bekannt geworden, ließen sie mich in alle Geräthschaften und Heimlichkeiten ihrer Hütten einsehen. Ein alter Sachem hatte besonders Gefallen an mir gefunden und führte mich bei den vornehmsten Braven seines Stammes ein. Feierlich wechselte ich alle Viertelstunden mit meinen edlen halbnackten Freunden die Pfeife, denn daraus beschränkte sich hauptsächlich unsere Unterhaltung, sie konnten nur wenige Worte Englisch und ich noch weniger Indianisch. Für Gegengeschenke erhielt ich von ihnen allerlei Waffen, Pfeifen und Geräthschaften, und noch öfter habe ich in Deutschland mit Freunden ein paar Züge aus der Winebago–Pfeife geraucht, und zwar ächten Indianertaback, den sie Kinkenik nannten. Diesen Taback machen sie aus der abgeschabten Rinde einer Weidenart, er schmeckt ähnlich wie getrocknete Rosenblätter, und wirkt leicht betäubend. Den schweren rothen Pfeifenstein holen sie von einer Stelle im nordwestlichen Iowa, wo der rothe Speckstein zu Tage steht. Dieser „Pfeifenbrunnen“ ist bei allen Stämmen ein geheiligter Ort, jeder Indianer kann dort in Frieden seine Pfeifen schneiden. Auch von ihrem Feuerwasser mußte ich trinken. Die Händler hatten ihnen aber so viel Wasser hinein gemischt, daß das noch übrige Feuer eben nur diese Natursöhne entzücken und berauschen konnte. Verlangte ich reines Wasser, so fand ich es nach einigen Proben gerathen, nur auf den Rand und nicht auf den Grund der Kürbisschaale zu sehen, in welcher es gereicht wurde, – der Ekel hätte sonst das Trinken unmöglich gemacht. Auch die Kochkunst der Indianerfrauen ist schwer zu loben. Reinigen des Kessels schien ihnen höchst überflüssig, und wenn sie das Fleisch ohne Salz und blos mit Wasser kochten, so dachte keine daran es abzuschäumen. Ich zog daher das Gebratene vor, und davon wußten sie allerdings leckere Stückchen zu bereiten, die sie vorher, in würzige Blätter eingewickelt, etwas abgedämpft hatten.


Die Wahrheit zu sagen, viel besser als Zigeunerwirthschaft schien mir Indianerleben nicht zu sein. In den meisten Dingen stehen Zigeuner noch über Indianern. Der Jäger und Händler lebt mit ihnen, so lange er muß, – freiwillig hält man es höchstens ein paar Tage aus. Was sich Neues und Interessantes bei ihnen findet, lernt man in kürzester Zeit zur Genüge kennen.

Als wir zurückfuhren, hielten wir noch bei mancher Indianerhütte und bei manchem wilden Jäger an, der auf seinem kleinen Pferde, die lange Flinte vor sich und in die weiße Decke gehüllt, aus den Büschen hervorkam, einem Beduinen nicht unähnlich. Diese Wilden gehören so sehr in diese Natur, daß sie die Einsamkeit kaum unterbrechen. Sie sind bald wieder verschwunden darin wie Insekten auf weiter Wiesenflur. Einsamkeit folgt auf Einsamkeit, und wenn die Nacht hereinbricht, so scheinen Stille und Schweigen wie verdichtet. Man fürchtet es würde nie wieder Tag auf diesen Prairien, so starr und einsam ist die Nacht und das Schweigen. Vorher aber, ehe das Dunkel plötzlich niedersank, floß und wallte über die ganze grüne Prairie ein Goldschimmer soweit man sehen konnte. Es war wie Abends auf dem Meere, wenn die Sonne unterging und mit ihren letzten Strahlen ein Goldnetz zog über die unermeßliche Fläche.

Wir hatten einen andern Weg genommen, als der uns hierher führte, und auf einmal fanden wir uns in stürmischer Regennacht verloren auf der öden Prairie. Es wurde so dunkel, daß wir den schmalen Wegstreifen, der uns zu einer Blockhütte führen sollte, nicht mehr sahen. Plötzlich schoß Pferd und Wagen einen Abhang hinunter und wir lagen im Sumpfe. Mit unsäglicher Mühe richteten wir den Wagen wieder auf, und nun ging einer nach dem andern aus, eine Bahn zu suchen. Das hohe nasse Gras schlug uns ins Gesicht, der Regen strömte, und während der eine das Pferd hielt, watete der andere umher, und wir riefen uns von Zeit zu Zeit an, um uns nicht ganz zu verlieren. Es war eine üble Lage, Mitternacht und viele Meilen weit kein Mensch wohnhaft. Das Pferd wurde unruhig, überschlug sich und stürzte, wir mußten, um es wieder aufzubringen, das Riemenzeug zerschneiden und banden es dann nothdürftig mit Schnupftüchern und Stricken wieder zusammen. Endlich brachten wir den Wagen wieder auf die Höhe hinauf und fuhren eine Strecke zurück, um etwas Gehölz für die Nacht zu suchen. Es wurde nach und nach wieder helle und wir entdeckten eine Wagenspur, die wir einhielten. Sie brachte uns am Morgen wirklich zu einem Hinterwäldler, der uns mit wahrer Güte erquickte. Es that uns Noth, denn wir waren bis zur Ohnmacht erschöpft. Ich bereitete mir ein Schwitzbad, mein Gefährte verlachte diese Vorsicht, aber nach drei Tagen weiteren Reisens stellte sich bei ihm das Fieber ein und bald lag er todeskrank. Der Farmer hatte uns vorher gesagt, daß unsere Sumpffahrt uns wohl ein Fieber kosten würde. Ich blieb verschont, mein armer Reisegefährte litt wahrscheinlich noch lange daran, während ich mich schon wieder der kerngesunden Luft Deutschlands erfreute.

Auf den Gränzen der Ansiedlungen hatte auch eine deutsche Kommunistengesellschaft Land in Anbau genommen und Häuser Werkschuppen und eine Sägemühle errichtet. Trotz aller Mühe und Arbeit wollte die Sache aber nicht recht vorwärts gehen, jeden Sonntag wurden die entschiedensten Vorsätze gefaßt, einig und brüderlich zu sein, und die sechs folgenden Tage verfocht jedes Mitglied mit desto größerem Eifer seine ganz besondere Meinung. Dennoch behielten die Männer ihre Entschlossenheit und ihren düstern Ernst, sie glaubten an ihr Prinzip und sie wollten es durchsetzen, koste es was es wolle. Es beherrschte sie wie ein starrer mathematischer Lehrsatz. Mit männlicher Geduld ertrugen sie lange Zeit die härtesten Mühsale und Entbehrungen, vergraben in diese Einöde, und wenn auch der Zorn in ihnen kochte, glichen sie doch im Glauben an ihr Prinzip die Streitigkeiten wieder aus. Allein es gab auch zwei Frauen in dieser Ansiedlung, und über eine Rauferei zwischen diesen beiden Frauen, welche um ein paar Hühnereier entstand, ist zuletzt die ganze Gemeinschaft auseinander gegangen.

In Amerika habe ich mehrere solcher Ansiedlungen besucht, welche auf dem Fuße gemeinsamer Arbeit, gemeinsamen Besitzes und Genusses eingerichtet waren. Viele freudig begeisterte Apostel dieses Prinzips gab es, den meisten aber stand immer ein düsterer Trotz auf dem Gesichte. Sie kämpften mit der Gesellschaft, sie kämpften mit sich selbst. Alle diese Vereine, welche in Amerika das freieste Feld zur praktischen Bethätigung ihrer Lehren hatten, scheiterten und machten eigentlich so wenig Aufsehen, wie eine Seiltänzerbude in einer großen Handelsstadt. Dort unter den Indianern verschwindet mit diesen selbst der harmlose Kommunismus der Naturkinder: hier, wo sich in den Erfolgen der Arbeits- und Gütergemeinschaft die höchste Blüthe der Civilisation entfalten sollte, kann der rationelle Kommunismus nimmer aufkommen. Steckt nicht in der Menschennatur etwas, was sich ihm ewig widersetzt? Der individuelle Werth läßt sich weder ausmünzen noch abwägen, und das Gefühl desselben empört sich unaufhörlich gegen die blinde Unterwerfung unter das Wollen und Können der Anderen. Kleine Gesellschaften, welche durch die Wärme der Familienliebe und Freundschaft oder durch die Kraft eines besonderen religiösen Bandes verkettet sind, können den Kommunismus wahr machen, – im Ganzen und Großen zeigt sich der Erfolg seines Prinzips nur in den Fortschritten, welche die menschliche Gesellschaft macht, um nach und nach die Unterdrückung der Einzelnen durch möglichste Sicherung humaner Freiheit zu hemmen und um Unwissenheit Unglück und Verbrechen durch öffentliche Institutionen zu vermindern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III