Abschnitt 4

VI.
Auf den Gränzen der Ansiedlungen.


Nach diesen wüsten und aufregenden Szenen war die Unterhaltung mit unsern Wirthen desto erquicklicher. Die Mission umfaßte mehrere Holzgebäude, und war wie das Fort mit einem stattlichen Pallisadenwall umgeben. Der oberste Beamte darin war der Intendant, der die Aufsicht über den Handel mit den Wilden führt und ihnen Auszahlungen der Regierung macht. Die Regierung besoldet außerdem einen Prediger, der die Wilden ins Christenthum hineinführen soll; das ist alles aber nur zum Scheine, auch diese Bekehrungsanstalt war zum Verderben der Naturkinder da. Der Prediger, ein finsterer Presbyterianer Eiferer, entwickelte uns seine Ueberzeugung, daß die Indianer die Nachkommen der zehn verlorenen Stämme Israels und auf ewig verdammt seien. Der Mann entsetzte sich, als ich ihm von unsern Universitäten erzählte und etwas wissenschaftliches Licht auf seine Mährchen einspielen ließ; nur aus Anstand hielt er seine Verwünschungen über solchen Unglauben zurück. Und dieser Mann war ein Heidenbekehrer. Alle Frucht seines Wirkens bestand darin, daß die Indianerkinder in seine Schule gingen, weil sie dort gutes Essen bekamen; dann kehrten sie in die Hütten ihrer Eltern zurück, und von Christenthum oder anderer Bildung war auch nicht die blasse Spur mehr zu sehen. In der That alles, was die Amerikaner mit den Indianern angestellt haben, hat nur ein reißendes Verderben unter diesen entzündet. Noch jetzt hegt der Hinterwäldler das Gefühl gegen den Wilden, daß er ihn lieber niederschießt, als ihm einen Trunk Wasser reicht, wenn der Arme flehend vor seine Hütte kommt.


Ein vortrefflicher Mann war der Doktor der Anstalt und des Forts. er ließ sich bitter über diesen Menschenverderb aus, und wir mußten seinem Zorne nur zu sehr Recht geben. Seine Frau und eine Tochter des Heidenlehrers, welche noch allein einen besänftigenden Eindruck auf die unbändigen Töchter der Prairie ausübte, waren liebliche Erscheinungen. Die feinen schlanken Gestalten kamen mir vor wie in die Wildniß verbannt, nur Schade, daß sie auch in dieser Einöde die Mißtöne der städtischen Klatschgesellschaft nicht ganz verstummen ließen. Die Familien konnten sich gegenseitig nicht ausstehen, obgleich sie nur ein paar Schritte von einander und mitten unter Indianern wohnten. Wir selbst erfuhren nur die schöne amerikanische Gastfreiheit, Frühstück Mittag- und Abendessen wechselten für uns in den Häusern umher. Empfehlungsbriefe haben in Amerika ihre ganz besondere Kraft, zumal wenn man ein Reisender aus Europa ist. Selbst bis hieher war unser Raumer durch sein Buch über das Land bekannt geworden. Es kamen auch Offiziere vom Fort, und die Gesellschaft amerikanischer Offiziere ist stets eben so belehrend als anregend. Sie genießen auf Westpoint eine gute Bildung, und in Naturwissenschaften haben sie nicht allein durch Bücher, sondern auch durch selbstständige Erforschung der Gegend sich ihre Ansichten selbst begründet. Sie sind zu solchen Forschungen und zu Vermessungen verpflichtet, und keiner verlebt seine ganze Zeit unmännlich auf Bällen und in träger Garnison.

Das Erwachen in dieser für mich so neuen Umgebung hatte seinen eigenen Reiz. Ich eilte dann sogleich zu den Hütten der Indianer hinauf. Alles lag noch im Schlafe, jede Hütte hatte gewöhnlich zwei Lagerbänke, auf jeder eine vollständige Familie, die Männer an dem einen Ende, die Franen an dem andern, die Kinder krabbelten in der Mitte. Es war bei ihnen alles ganz unverfälschte Natur, und ich kann nicht sagen, daß diese so durchaus appetitlich ist. Sie sprangen auf und liefen hinaus, wenn irgend etwas sie mahnte, und kamen und legten sich wieder hin zum Schlafe. Es kam mir oft vor wie ein Nest alter und junger Doggen. Erst wenn es schon lange heller Tag war, rollten sich zunächst die alten Frauen an den Feuerplatz, ein Loch in der Mitte der Hütte, und machten Feuer an. Diese Alten sind häßlich über alle Begriffe, sammt und sonders dick und kurz. Wenn sie sich hinlegen, die Kinder zu säugen, ist es nicht mehr zum Aushalten. Die jungen Frauen und Mädchen sind noch schlank und leicht und oft anmuthig in ihren Bewegungen. Ihre Augen, meist hellbraun, flackern und stechen wie das Feuer, sie haben die Klarheit und die Schärfe der Falkenaugen. Es giebt manches liebliche Gesichtchen unter den Indianermädchen, sie haben nur den einen Fehler, daß sie zu ihrer Toilette oft sechs Wochen lang kein Wasser brauchen. Unter den Männern zeigen sich manchmal prächtige Gestalten, die Gesichter aber sind derb und tiefrunzlich. Die Knaben allein bis zum sechszehnten Jahre sind wahrhaft schön zu nennen.

Bei den Hütten sah man Grabhügel und kleine weiße Zelte. Jene waren mit kurzen Pfählen umzogen, ein abgerundeter größerer Pfahl mit rothen Strichen daran bezeichnet den Verstorbenen. In den kleinen Zelten verweilen die Frauen in strenger Absonderung zur Zeit ihrer Reinigung.

Wenn die Sonne ihren wärmern Glanz um die Hütten warf, kam alles gar bald hervor, sie brauchten sich ja nicht lange anzuziehen. Dann fingen die Buben sogleich zu lärmen an, sie sangen und übten sich im Pfeilschießen. Die Männer kauerten zusammen und rauchten und tranken verstohlen ihren Whisky, für Whisky boten sie mir durch Zeichen Pferd und Weib an, die Frauen spielten mit Würfeln oder eine Art von einfachem Damenbrett, die Mädchen schlichen sich wohl weg zum Fort, mit dessen Soldaten sie im besten Vernehmen standen. Sittliches Gefühl in dieser Beziehung schien ihnen ziemlich fremd, das Menschenkind im Naturzustande kennt wenig von den reinen Gefühlen der Scham und Liebe. Ich selbst kam einmal übel an. Ich war in einer Hütte, in welcher mehrere der ansehnlichsten Wildinnen zusammen waren, die Männer flüsterten ihnen etwas zu und gingen hinaus, auf einmal fielen die Frauen und Mädchen über mich her, rissen mich auf das Lager und erlaubten sich so verfängliche Handgriffe, daß ich mit der Faust mich los und durchschlagen mußte. Sonst sah es sich ganz hübsch ihren Spielen zu. Sie lachten und schäkerten mit einander, und ihre Sprache lautete wie das kurze Pfeifen und Schnattern von Hühnern und Putchen. Auffallend ist der Gang der Indianer: weil sie die langen Decken in weiten Falten um sich schlagen und mit steifem Knie und vollem plattem Fuße abgemessen einherschreiten, so sieht es schwebend und feierlich aus, als wenn Gespenster gingen.

Es herrschte in diesen Tagen eitel Lust und Fröhlichkeit in den Hütten der Winebagos. Es waren die goldenen Tage, wo ihnen die Agenten der Regierung Geld Mehl Fleisch Waffen und Kleidungsstücke aushändigten. Da wurde gezecht geschmaust gelacht und gejubelt, bis sie Abends vor Müdigkeit umfielen. An die Zukunft, an die bald kommende Noth dachte aus dem ganzen Schwarme kein Einziger.

Jetzt gab sich die kindliche Natur der Indianer in ihrer ganzen Harmlosigkeit zu erkennen. Den ganzen Tag saß hier und dort ein Häufchen zusammen, die Männer rauchten, die Frauen spielten, jeder hatte etwas zu erzählen. Sie vergnügten einander mit tausend Possen und lachten dabei so herzlich, wie sich nur Kinder freuen können. Mehrmal spielten sie mir den Streich, daß sich einer hinter mich schlich und, wenn ich stille dasaß, mir auf einmal den gräßlichen Kriegsruf „Hugh!“ in die Ohren stieß. Blieb ich unbewegt, so wurde er ausgespottet; sprang ich erschrocken auf, so wußten sie sich vor Freude nicht zu lassen und die Buben tanzten wie Affen umher. Die Männer aber bewahrten mühsam Würde und Anstand, bis sie der Branntwein umwarf, dann aber offenbarte sich die wilde Natur in ihrer vollen Niedrigkeit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III