Abschnitt 3

VI.
Auf den Gränzen der Ansiedlungen.


Hinter der Staatsgränze war ein dreißig Meilen breiter Strich Landes, „der neutrale Grund,“ auf welchem weder ein Weißer noch ein Indianer wohnen darf, um beide von einander entfernt zu halten, denn sie hassen sich beide tödtlich. Der Wilde wird wie ein Hund behandelt, und der Weiße mag sich hüten, wenn er durch seinen Whisky den Wilden wüthend gemacht hat. Auf diesem neutralen Grunde schlagen sich die Soldaten aus den Forts mit den Indianerhändlern herum, diesen westlichen Paschern. Eben als wir zum Turkeyfluß wieder herabfuhren und das Fort Atkinson mit seiner rothweißen Fahne von der gegenüberliegenden Höhe herglänzte, hatten die Soldaten Whiskyfässer gefunden, welche auf der Prairie vergraben waren. Die Offiziere zerschlugen sie, doch der Branntwein konnte nicht so schnell auslaufen, als die Soldaten darüber her waren sich gründlich zu laben. Fort Atkinson auf der Höhe am Flusse nahm sich stattlich aus, in der Ferne erhoben sich die Rauchsäulen eines Prairiebrandes wie ein braunes Gewölke, vor welchem das große farbige Unionsbanner lustig hin und herflaggte. Wir mußten wohl in die unrechte Furth gekommen sein; denn als wir mitten im Flusse waren, fing unser Wagen an ein bischen zu schwimmen, und nur mit Mühe und Noth kamen wir wieder heraus.


Die Festung besteht aus vier starken Holzhäusern im Viereck, welche von außen mit einer hohen Pfahlwand umgeben sind und nach innen offene Hallen haben. Vor dem Fort sind die Stallungen und die Kramläden, in letztern versteckte Whiskyfässer. Es sind in einem solchen Fort etwa anderthalbhundert Dragoner. Einige von ihnen sahen wir in juristische und theologische Bücher vertieft; sie wollten später Anwälte oder Prediger werden, sie sparten im Fort Kost und Wohnung. Ihr Leben aber schilderten sie als sehr langweilig; die Offiziere waren meist auf der Jagd. Diese Soldaten sollen das wilde Volk in Ordnung halten, das sich hier an den Gränzen umhertreibt, das rothe und weiße oder vielmehr braune Volk, denn die Haut eines Hinterwäldlers hat auch in der Farbe viel Aehnlichkeit mit altem Leder.

Vier Meilen von Fort Atkinson lag die Mission. Wir jagten einen Hügel hinauf, und auf einmal sahen wir links neben uns einen Kreis von Wigwams. Wir stutzten, es war ein seltsamer neuer Anblick, und dann ging es sofort darauf los. Jetzt war ich ja in der indianischen Romantik, von der mich dahinten in Westfalen Chateaubriand und Cooper so manches hatten träumen lassen. Ich sprang vom Wagen, mein Genosse hielt das sich schüttelnde Pferd. Vor der ersten Hütte lagen zwei alte Weiber im Staube und knöchelten, ein Abgrund von Häßlichkeit. Die zweite Hütte war leer, ich hob die Matte vor dem Eingang ein wenig, und sah ein schmutzig gelbes Wesen darin sich aufrichten, meine Nase aber wurde vor dem Dunstkreise, der es umgab, widerspenstig. Schnell kam ich zur dritten Hütte, vor ihr saß ein alter Mann, steif und ernst wie aus Stein gehauen. Ich ging nahe zu ihm und reichte ihm die Hand, er rührte sich nicht und rauchte weiter, nur seine Augen rollten wie die eines Geiers, er verzog keine Miene, aber seine glitzernden Blicke faßten alle meine Bewegungen scharf auf. Das war nun ein Wilder, ein Wesen, welches die Natur noch in ihren Krallen hielt, dessen Trieb und Kraft noch so sehr die eines schönen Waldthiers waren. Plötzlich fühlte ich, welche Kluft zwischen dem Indianer und der Kultur ist, durch welche die wilde Natur beherrscht verschönt und vergeistigt wird. Unser Pferd fing an sich zu bäumen, ich eilte wieder zum Wagen und fuhr etwas nachdenklich weiter, die indianische Romantik war rasch grau geworden.

Die Landschaft wurde hübsch und belebt, es ging in ein langgedehntes grünes Hügelthal hinein. Immer häufiger wurden die Wigwams und die Indianer, zuletzt war die ganze Gegend lebendig. Wir hielten still, es war ein seltsames reizendes Bild. Ueberall auf den Hügelköpfen und in den grünen Thalwindungen standen die grauen Kegelhütten zerstreut, davor hie und da kleine weiße Zelte und rothbemalte Grabstöcke, in der Ferne die hellen Missionshäuser, – alles wie eben hingesetzt auf den schimmernden Rasenteppich. – Hin und her schossen über den Rasen die Indianer auf ihren Pferdchen, zwei oder drei auf einem, wie Unsinnige mit Geschrei und Gelächter auf- und abjagend, mit fliegenden Decken und Haaren. Unten auf den Wegen und Wohnplätzen vor den Hütten wandelten die Indianer majestätisch einher, die Frauen kauerten und die nackten Kinder lärmten überall. Unser Wagen war fortwährend von Buben umringt, sie kletterten mit schnellen schlanken Gliedern auf die Räder und auf das Pferd wie Eidechsen, und sprangen und lachten, und die Falkenaugen glitzerten dabei auf alles, was wir an und um uns hatten. Wir hatten Muße, die seltsamen Trachten zu beschauen. Es ist der Putz eines wilden Wesens, das in seiner Ausstaffirung seine Vorstellung ausdrücken will, wie es der Kraft und Kühnheit des Adlers des Rosses und der großen Schlange gleiche. Decken von rother grüner oder weißer Farbe, malerisch um die Schultern oder über den Kopf geworfen, sind ihre vornehmliche Umhüllung, darunter kurze Hemden von farbigem Kattun. Die Männer tragen außerdem rothe befranste Beinhöschen, die glänzend schwarzen Haarbüschel haben sie helmartig mit Federn aufgeputzt oder in Flechten herabhängen, die Gesichter waren roth blau gelb und schwarz scheußlich bemalt. Die Frauen, welche sich übrigens in der Entfernung hielten, trugen dazu noch dunkle Unterröcke, welche unten mit weißen Strichen durchwebt waren und auf der Erde schleppten. Die Tracht der Frauen schien menschlich natürlich, ja würdig, in der Tracht der Männer und Buben lag etwas Schreiendes und Trotziges. Diese Kleidungsstücke werden für die Indianer nach ihrem Geschmacke von den Weißen verfertigt.

Man nahm uns freundlich in der Mission auf. Wir sahen auf dem nächsten größern Hügel die Indianer sich drängen, und ein dumpfes Trommelgerassel, vermischt mit seltsamem Singen und Schreien, schallte zu uns her. Nicht besser konnten wir es treffen. Sie feierten einen ihrer heiligen Tänze, Medicine Dances, wie die Amerikaner sagten, deshalb waren sie auch so aufgeputzt. Wir eilten hin und hatten den ganzen Abend das merkwürdigste Schauspiel. Bei den Hütten war eine Art von langem Laubgang errichtet, und darunter bewegten sich zwei weite Reihen indianischer Männer hin und her. Bald faßten sie sich an, bald schlugen sie in die Hände und tanzten, die Köpfe nach dem Takte schüttelnd. Der Tanz dauerte jedesmal ein paar Minuten, dann hockten sie in ihrer Reihe nieder, einer der ältern stand auf und hielt eine eilende Rede, in einem Athem und mit heftigen Geberden, aber mit einem wirklich edlen Anstande. Von Zeit zu Zeit gaben die übrigen ihre Beistimmung durch ein dumpfes, schnell ausgestoßnes ho! ho! zu erkennen, welches sie, wenn er geendigt hatte, noch eine Weile und immer leiser fortsetzten, bis sie mit einem grellen heftigen Schrei schlossen. Dann hob der Redner einen Gesang an, die Reihen wiederholten ihn und tanzten nach dessen Takte und nach dem Schalle der alten Trommel wieder vor und zurück. Von Zeit zu Zeit schritt auch einer, der etwas wie eine Stirnbinde trug, die Reihen entlang und berührte die Köpfe mit einem mannigfach verzierten feinen Ledersack. Das war, wie unsere Begleiter uns belehrten, der heilige Sack, in welchem sie ihre Zaubermittel hatten. Ihre Reden und Gesänge aber waren aus dem Stegreife zu Ehren des großen Geistes und seiner Söhne, der streitlustigen und klugen Winebagos. Mit dem Dunkelwerden wurde der Laubgang nach und nach von den Männern leer, nun aber kamen die Weiber und vergnügten sich ihrerseits an den närrischen Sprüngen. Wir traten in einige Hütten und sahen in der Regel deren Inhaber vom Whisky berauscht auf ihren Lagern. Als die Sonne untergegangen, konnte unter den etwa tausend Indianern kein Mann mehr auf den Beinen stehen. So schön wird das Gesetz gehalten, das die Wilden vor dem Branntwein beschützen soll.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III