Abschnitt 2

VI.
Auf den Gränzen der Ansiedlungen.


Als wir uns Gutenberg näherten, wurden die Ansiedler häufiger, es waren nur Deutsche und sie sprachen sich halbwegs zufrieden über ihre Lage aus. Ich mußte mich wundern, daß in kurzer Zeit meine Landsleute hier schon so viel geschaffen hatten, es waren aber auch Leute, die schon einige Zeit in Amerika gewesen und die Landesart verstanden. Die Ersten waren von Cincinnati hergekommen, dort hatten sie sich zu einer Aktiengesellschaft vereinigt und zwei Männer vorausgeschickt, welche den Platz aussuchten und kauften. Es sollte eine deutsche Ansiedlung werden und man gab ihr den Namen Gutenberg. Diese Deutschen, welche sich in Amerika ein Vermögen erst erwerben mußten, rechneten ganz richtig: bei Anlage neuer Städte gewinnen die Geldreichen, welche den Grund und Boden kaufen und für die Arbeiter die Stadt anlegen: wir wollen lieber selbst die Stadt gründen, und Grund und Boden soll von Anfang an uns gehören, damit wir selbst den Preis gewinnen, den die Grundstücke durch vermehrte Ansiedlung erhalten. Ebenso richtig fingen sie nicht blos mit dem Bau der Stadt an, sondern gründeten sogleich auch die Landwirtschaften in der Nähe.


Wir kamen gegen Mittag wieder zum Mississippi hinab und sahen uns auf einem drei Meilen langen und fast eine halbe Meile breiten ebnen Wiesengrunde, rings umzogen von steilen hellgrünen Flußbergen, so daß es sich wie ein langes scharf abgeschnittenes Thal ausnahm. Der Boden war reichlich mit fetter schwarzer Erde, hier und da auch mit etwas Kiessand bedeckt und erhebt sich bei zwanzig Fuß über den Mississippi, der am Rande der Wiese breit dahin glänzt, gegenüber dehnen sich waldbedeckte Inseln, belebt von einer Menge Gevögel. Am Flußrande zieht sich Gutenberg hin. Wir verlebten in diesem Städtchen ein paar heitere Tage. Unsere Ankunft weckte in mehreren Häusern Leben und Fröhlichkeit. In dem Hauptmann in der Ansiedlung fand ich einen Landsmann aus der Nachbarschaft meiner Vaterstadt. Unter Besichtigung und Zeichnung der Umgegend, mit kleinen Jagdstreifereien in dem Ufergebüsch des gewaltig dahinströmenden Mississippi und mit allerlei Unterhaltungen, wie man sie in diesen nordwestlichen neuen Ansiedlungen führt, verging uns schnell die Zeit. Einen Nachmittag war „der alte Kapitän“ da, ein bejahrter Indianerjäger, der in seiner Jugend verwegene Stückchen ausgeführt und fünf Indianer zusammengeschossen. Nachdem er die Gegend einst ausgekundschaftet und in Ruf gebracht, war er jetzt ihr nützlichster Beamter. Er nahm gern einen kräftigen Trunk, und wie es hier in solcher Gesellschaft geht, einer bewirthet den andern, bis alle festgenagelt sind. Der alte Kapitän erzählte dabei seltsame Heimlichkeiten aus den Indianerhütten und von der Gefallsucht und Begierde ihrer Weiber. Daß er dabei abenteuerlich log, war einem solchen Vorläufer der Kultur nicht zu verdenken. Oefter besuchte uns auch ein Altpreuße, der die französischen Kriege mitgemacht hatte und mit seinem Lohne jetzt hier sein Brod suchte, indem er den Boden nach Blei umwühlte, ein leichtblütiger Mensch. Wie viele Männer, die in Deutschland auf den Schlachtfeldern oder in Schriften gekämpft hatten, fand ich in Amerika in unsichern Lagen. Sie schlugen sich durch wie es eben ging, das Leben war ihnen ein freies Geschenk, mit welchem sie willkürlich und wechselnd verfuhren.

Der Platz für eine deutsche Ansiedlung war in Gutenberg wohl ausgesucht. Der Ort hat ein weites und reiches Hinterland voll Farmer, einen guten Landungsplatz, Quellwasser, in der Nähe Bausteine und von den Holzflößen Bauholz. Dennoch ist die Stadt nicht so rasch gewachsen und gediehen, als man bei ihrer Gründung es erwarten durfte. Zu der Landesplage der Ansiedlungen am Mississippi, den Fiebern, kommt für die deutschen Ansiedlungen noch die nationale Geißel, die Streitsucht, hinzu. Einer ärgert den andern, und so ärgern sich alle und bleiben ewig verfeindet. Man muß sich wundern, daß ihre Ansiedlungen trotzdem gedeihen. Der englische Amerikaner ärgert sich nicht, er hat zu viel Fischblut, wenn auch zu wenig Gemüthsfreude.

Wenn mich die Nergeleien, mit denen die Gutenberger einer den andern zu verhetzen und zu verkleinern suchten, genug verdrossen hatten, warf ich die Flinte um und ging den Fluß hinauf, da war alles still und ernste Majestät, die weiten Gewässer flutheten und rauschten, der Wind hallte in ruhigen und schweren Tönen durch die Waldung. Ich vergaß die Reiher zu schießen, welche am Strande ihrer Nahrung nachgingen, und saß und sah in die Fluthen und dachte, wie sie hinabrollten den weiten Weg bis ins Weltmeer, und wie dort eine Welle die andere drängte, bis sie an das heimathliche Ufer schlugen. Dort war es so lieb und traulich und das Leben so voll von Lust und Noth und Wissen und Forschen. Ach, das deutsche Volk hat alles in Fülle, was das Dasein werth machte aber es krankt an innerem Zwiespalt, es fehlt ihm das stolze Selbstbewußtsein, welches ein Volk groß und geachtet macht auf der Erde. Wer niemals in der Fremde gewesen, weiß nicht, wie schmerzvoll und peinigend es ist. Deutschland immer in seiner jetzigen weltpolitischen Stellung zu erblicken, und wie groß und gebietend sie sein könnte.

Der Abschied von Gutenberg war herzlich, mehreren kam die Thräne ins Auge; sie waren so weit verschlagen von der deutschen Heimath, so einsam hier in den Wildnissen! Gerade als wir auf den Wagen steigen wollten, loderte auf einmal ein Haus in hellen Flammen auf, es gehörte dem ärgsten Zänker der Ansiedlung, dessen Namen man in Kritthahn verwandelt hatte. Alle eilten herbei und retteten, aber das Haus war von trockenen Balken, in wenigen Minuten sahen wir es in Feuer und Gluth aufgehen.

Wir flogen wieder frisch und frei über die Prairie dahin, hügelauf hügelab. Der köstliche Kräuterduft wehte uns entgegen, die Brust dehnte sich und wir schrien und sangen vor Lust. So weit unser Blick reichte, schimmerte alles von gelben Blumen, die Halme hoben sich und nickten uns in den Wagen. Die immer wiederkehrenden Hügelwellen, der Wind, welcher die weiten Grasgefilde im ewigen Gewoge erhielt, das leise Rascheln, welches durch sie hinfuhr, die tiefe Einsamkeit rings umher, das machte den Eindruck, als wären wir mitten auf der See. Noch oft bin ich Tagelang durch die wilde Prairie gefahren, und immer derselbe Frohsinn, derselbe Reiz. Was ist doch für ein Zauber darin? Man sieht so wenig, Wiesen und Hügel und einzelne Baumgruppen darauf, selten ein rohes Bauernhaus, und in der Nähe Heerden, – das ist alles, das kehrt immer wieder, und doch gefällt man sich dort. Es ist das eigene Kraftgefühl, welches den Wanderer froh macht; man sieht sich allein, allein mit dem Freunde, mit Pferd und Büchse, auf weiter ungewisser Flur. Es ist die Morgenfrische der Umgebung, was so fesselt. Die Natur ist hier wie ein wildes junges Mädchen, so keck und so kühn, und doch so schamhaft still. Wie sie aus der Hand der Schöpfung kam, als der grüne Glanz über die Erde wallte, als die bunten Thier- und Vögelgestalten hin und wieder zogen, als der einsame Mensch, das schönste Gebilde der Natur, erhabenen Blickes hindurch schritt, durch all die Fülle und Schönheit, – so sieht so träumt man hier die Natur.

Abends wurde die Szene noch fremdartiger. Der Mond leuchtete auf und überdeckte die Flächen mit bleichem Schimmer, nirgends ein Laut, nirgends ein Ziel für das Auge. Wir fuhren und fuhren, gehüllt in unsere Büffeldecken, hie und da schwirrte ein Flug Prairiehühner auf, auch verfolgte uns manchmal eine Hetze frei weidender Pferde. Es wäre ganz hübsch gewesen, wenn uns mitunter die Finger nicht vor Kälte gestarrt hätten. Auch am Tage, obgleich im Hochsommer, blies der Wind oft nordisch genug. Und doch hatten wir vor wenigen Tagen noch dreißig Grad Hitze auszustehen gehabt. Einmal sahen wir auch einen Zug Händler, welche die Lebensbedürfnisse nach den Forts fahren, am Wege übernachten. Ihre Ochsen weideten umher, der Regen stürmte und sie lagen unter einem niedrigen dichten Zelte wie Wölfe in Pelze vergraben, schweigsam wie alle Amerikaner. Unser Nachtessen bei einem Farmer bestand immer wieder aus gebratenem Speck; man kann sicher sein, in jeder Blockhütte blos dreierlei zu finden, eine schlanke Frau, eine Büchse und viel Speck. Halbindianer trafen wir zuletzt nicht selten, häßlich gelbe Menschen mit langen schwarzen Haaren, die noch immer wie bei uns die Zigeuner angesehen werden. Sie hatten ihren Verkehr bei den Indianerhändlern, den größten Spitzbuben unter Gottes Sonne. Diese Händler sind verwegene Weiße, häufig wegen Verbrechen flüchtig geworden, welche den Indianern heimlich Whiskey zuführen und ihnen dafür alle ihre Habe abnehmen. Wenn der Indianer ein paar Tropfen Whisky geschmeckt, so übermannt ihn die tolle Gier nach diesem feurigen Gifte, dann ist ihm alles feil für Whisky: Weib, Kind, Büchse und Pferd. Eine Nacht in der Hütte eines Indianerhändlers zu bleiben, das möchte keinem zu rathen sein, wenn er nicht ein leises Gehör und gute Waffen hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III