Abschnitt 1

VI.
Auf den Gränzen der Ansiedlungen.


Von Dubuque aus machte ich Streifzüge zu einsamen Ansiedlungen, in deren Blockhütten der Baumsaft noch nicht trocken geworden, hinter deren Feldzäunen zu Zeiten noch Wild und Indianer aufspringen. Mein Reisegefährte war ein junger Advokat aus Cincinnati, der sich mir angeschlossen hatte, den Westen zu sehen. Wir mietheten uns Wagen und Pferd, es war ein offenes leichtes Fuhrwerk, jedoch stark genug, um auch ohne Bahn Wald und Prairie zu befahren. Ein Schinken Brod Feldkessel eine Flinte und ein paar Büffeldecken, darin bestand unsere Ausrüstung. An einem Augustmorgen rollten wir aus Dubuque hinaus und in’s unbekannte Land hinein. Unser Weg zog sich in ein enges Thal, es war mit den Dünsten bedeckt, welche des Morgens von der Sonne aus Erde und Gräsern aufgesogen und den neuen Ansiedlern so gefährlich werden. An beiden Thalseiten hingen und starrten die Felsen durcheinander, manchmal, wurde die Umgebung so rauh und steinig, als wäre man hoch im Norden. Alles sah aus wie noch unberührt von Menschenhand. Eine Weile ging es hinaus über leichte Prairie, hügelauf hügelab, und dann wieder herunter in ein weites prachtvolles Thal, dessen Hochseiten ebenfalls durch mächtiges Felsenwerk geschmückt waren. Die gelben Blumen der Prairie standen hier so hoch und dicht. daß der Rücken des Pferdes aus der gelben Fluth kaum hervorragte. Einige stattliche Farmen lehnten sich an die Anhöhen, überhangen von jenem amerikanischen Waldgewoge, welches in seinen schwunghaften Massen und in seinem vielfarbigen Laubgemisch die Schönheit eines Parks mit der stolzen Majestät des Urwaldes vereinigt. Jedoch breiten sich die herrlichen Waldungen in dieser Gegend nur in der Nähe der Flüsse und Tiefthäler aus; auf der Hochfläche des Landes verlieren sie sich in einzelne Haine und Baumgruppen, welche die weitgedehnten leisen Hügelzüge der Prairie überaus anmuthig begränzen.


Durch solche Waldlichtungen von Eichen gelangten wir Nachmittags zu einem alten Ansiedler, der sich etwas auf Wirthschaft eingerichtet hatte; ganz eine solche Lederhose, wie sie Sealsfield so lebenswahr gezeichnet. Der Alte erzählte uns, wie er vor Jahren die erste Axt hier in den Baum gehauen, wie er nach einem Radnagel sechs Stunden weit habe gehen müssen, und wie er jetzt dennoch wieder weiter müsse mit seinem guten Weibe, „denn – damit wies er nach den Dachspitzen, welche über die nahen Gehölze schauten – diese lassen mich nicht Herr mehr sein; das Gesetz sollte jedem Manne eine Meile um sein Haus sichern, frei für ihn und seine Kinder.“ Mit der Jagd sah es hier betrübt aus. Prairiehühner flogen uns vor dem Wagen zwar in Menge zum Schusse auf, doch nichts anderes ließ sich blicken, und der Alte sagte, es sei fünf Jahre her, daß er den letzten Rehkopf gesehen. Er führte uns auch in seinen Baumgarten in der Prairie, es war alles verkrüppelt, dünn und ohne Frucht. Wir sollten ihm Rath schaffen vor den Feinden der Obstbäume in und auf der Erde, aber wir konnten ihm ja die sorgsame Pflege des Deutschen nicht zu eigen machen. Der englische Amerikaner thut nur die erste rohe Arbeit, und diese schnell und tüchtig, dann aber meint er, müsse die Frucht von selbst wachsen; deshalb ist er natürlich ein schlechter Obst- und Weingärtner und bekommt häufig genug weder Blumen noch Gemüse.

Eine gute Stunde von dieser Bauerei kamen wir auf Wegen, auf denen man im Umsehen den Hals brechen konnte, in einen dunkeln Thalkessel hinab. Der Mond sah wie ein leuchtender Herrscher über die Waldberge herein und schimmerte wieder auf einem breiten Sumpfteiche, modernde Bäume und hohe stille Weiden hoben sich in dichter Verwirrung darauf empor. Es war ein düsterer Anblick. Vom Sumpfe auf wallten die tödtlichen weißen Dünste, und wie wir erwarteten, da wo er in einen Bach abfloß, stand eine Sägemühle, und von ihren beiden Bewohnern war der eine leichenblaß vom Fieber und der andere trunken von Branntwein, beide unfähig uns eine Kürbisschaale voll Wasser zu reichen. – Fieber und Liederlichkeit, so gewöhnlich in diesen fruchtbaren, aber noch giftbeladenen Einöden, die erst gesund werden, wenn die Menschen die Verwesungsdünste weggeathmet und ihre Gewinnsucht mit Mühen und Tod gebüßt haben.

Der Bach führte uns zum Turkeyfluß und über diesen eine Fähre, die gefährlicher war als das brausende Wasser. Das Pferd schlug mit seinen Hufen durch den morschen Boden des Fahrzeuges, und seine angsthaften Befreiungsversuche drohten Wagen und alles in den Fluß zu werfen. Wir waren froh, endlich wieder auf den Ufersand zu kommen, und jagten rasch über das Thalbette in eine Oeffnung der Flußberge hinein, welche uns wieder auf die hohe Prairie bringen sollte. Der Fährmann hatte ganz einfach gesagt, wir würden uns wohl verirren und die Nacht im Freien zubringen, es hätte noch schlimmer kommen können. Unser Pferd scheute auf einmal, und als wir hinsprangen, hielten wir am Rande eines Abgrundes, der auf ein Haar uns aufgenommen, vielleicht auch begraben hätte. Mit vieler Mühsal zogen wir den Wagen wieder rückwärts, nahmen einen guten Schluck zur Stärkung, und brannten uns, die Moskiten etwas abzuwehren, die Cigarren an. Wir mußten darüber lachen, daß wir in diesen Einöden soviel Kultur in unserm Wagen mit uns führten. Endlich kamen wir auf die Prairie, und nach einem hübschen Rennen in der prächtigen stillen Mondnacht, bei dem wir wohl einmal aus dem Wagen flogen wenn wir an einen Stamm anfuhren, um Mitternacht zu einer Blockhütte. Wer ist da? rief eine deutsche Frau auf unser Anklopfen, und freute sich nicht wenig, noch Landsleute zu finden. Ihre Einrichtung war indessen gar zu ärmlich, sie wies uns zum Nachbar, der mit Frau und Kind gleich aus den Federn kam, Feuer anmachte und uns vortrefflich bewirthete mit Kaffee und gebratenem Speck, dem Alltagsessen und Festschmause des neuen Ansiedlers. Das Heulager in einem Schuppen gab uns eine würzige, ziemlich kühle Nachtruhe, die blitzhellen Sterne sahen neugierig durch die Dachspalten. Die Augen fielen uns zu vor Müdigkeit, wir hatten den Tag bei vierzehn Stunden gemacht, und keineswegs auf Kunststraßen.

Am andern Morgen nahmen wir unter Lust und Lachen am Korndreschen Theil. Es geschah sehr einfach, die Tenne war ein kleiner Kreis im offnen Felde, und die kleinen Mädchen unsers Wirthes jagten mit den Pferden auf dem Getreide umher. Unser Landsmann war ein thätiger und verschlagener Mann, ein rechter Amerikaner; nur verdachten es ihm die Nachbarn, daß er aller amerikanischen Sitte zuwider seine Töchter im Felde mitarbeiten ließ. Ich lernte manches von ihm über den Anbau, die Erdarten und den Witterungswechsel in der Prairie; noch schärfer zeichnete er den Charakter seiner Nachbarn und ihr politisches Parteienspiel. Die Blockhütten und Weizenfelder dieser Gegend waren erst einige Jahre alt, und die Politik spielte bereits dazwischen Fangball. Wir fuhren bei einigen der Nahwohnenden vor. Im Hause des Scherifs der Grafschaft, eines jungen durchtriebenen Bauers, war ein Indianer zur Strafe. Ein Händler hatte seinem Vater Whisky gegeben, bis er trunken war, für die Bezahlung ihm seine Decke abgerissen und ihn dann aus dem Hause gejagt. Am andern Morgen fand man den alten Mann erfroren im Schnee der Prairie. Sein Sohn nahm sogleich Büchse und Pferd, ritt zum Hause des Händlers und schoß den ersten besten darin nieder; leider war es der unrechte, der Händler war gerade verreiset. Der junge Indianer wurde gefangen genommen, und zu vierhundert Dollars und vier Wochen Gefängniß verurtheilt. Natürlich hatte er kein Geld, man wollte ihn nach einem halben Jahre Haft bei dem Scherif wieder laufen lassen. Träumerisch und regungslos saß er Tag für Tag unter dem Vordache der Hütte, das lange straffe Haar hing ihm über das kupferbraune Gesicht; oft gab er durch Geberden zu verstehen, man solle ihn hinlassen, damit er den Händler todt mache, dann wolle er wieder kommen und sterben. In dieser Gegend hörten wir schon viele Geschichten von den Indianern erzählen, achtzig Meilen weiter hinauf war die Gränze, jenseits welcher sie sich tummelten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III