Abschnitt 6

V.
Auf dem obern Mississippi.


Von den Bluffs (den Uferhöhen) hat man herrliche Aussichten auf das Mississippi–Thal, welches glänzt von breiten Wasserstreifen und farbigen Inseln. Man übersieht die Stelle, wo die drei Staaten Iowa Wisconsin und Illinois zusammentreffen. Hinter den Bluffs dehnen sich leichte Anhöhen, auf welchen junger Wald wollig aufsprießt, sie sind sämmtlich von Minirern durchsucht, welche nach Blei hacken, die tiefsten ihrer Löcher waren an fünfzig Fuß, oben eine Winde um das Erz herauszuziehen; dieses ist fast ganz rein und enthält achtzehn Prozent klares Metall. Ein Irländer der mich umherführte, erzählte, daß bei seiner Ankunft vor einigen Jahren, an der Stelle wo jetzt Dubuque sich ausbreitet, erst zwei Blockhäuser standen. Er führte mich auch zu einem Erdloche, welches an einem Abhange eingegraben war und mit einigen Holzstämmen vor dem Verschütten bewahrt wurde; es war nichts darin zu sehen als ein Strohlager eine Decke und ein Zinnbecher. Sein Bewohner gilt für einen der reichsten Leute und sollte neben den ergiebigsten Minenplätzen viele tausend Dollars besitzen, die er vergrub. Der alte Bursche konnte von seinen Gewohnheiten nicht lassen, noch immer schürfte er mit Hacke und Schaufel nach Blei und schlief des Nachts wie ein Hund in seinem Erdloche. Die Schmelzhütten sind unten in der Nähe des Flusses roh aufgerichtet, das Waschen und Schmelzen des Erzes geht höchst einfach und verschwenderisch vor sich; es kommt dabei nur darauf an, in möglichst wenig Zeit recht viel zu gewinnen, man sieht nicht auf den Abfall.


Die Stadt Dubuque ist zum dritten Theile von Deutschen bewohnt. Mancher ist hierher verschlagen, den Bildung und Vermögen zu etwas Besserem berechtigten, als hier zu versumpfen. Die Stadt ist auch Sitz eines katholischen Bisthums; eine schöne große Kirche und dahinter eine artige Bischofswohnung stehen bereits fertig, die deutschen Katholiken aber, welche den Haupttheil der katholischen Bevölkerung der Diözese ausmachen, verlangen nach kleinen Kapellen und Priestern vergebens, obwohl das Geld zu jenen Prunkbauten hauptsächlich aus Deutschland kommt. Prächtig eingerichtet waren auch bereits mehrere Amerikaner, welche vor Jahren das jetzt durch seinen Bleireichthum so werthvolle Land in großen Strecken wegkauften und jetzt mühelos jedes Jahr neue Reichthümer aufhäufen.

Höher den Fluß hinaus werden die Ufer mächtiger und bewaldeter, finstere Tannenforsten bedecken die Höhen, nur von Holzfällern belebt. Dann folgen tagelang grüne Prairien, über deren unermeßliche Flächen die Blicke hin und herschweifen, bis sie ermüden ein Ende zu finden. Der Mississippi, welcher in der Gegend von Galena noch fast eine Viertelstunde breit ist, hat jetzt nicht mehr die Hälfte dieser Breite. Zum Pepinsee dehnen sich seine Gewässer wieder im meilenweiten Rund, ziehen sich dann aber immer enger zusammen. Es bleibt aber der Mississippi auch dann noch ein schöner Strom, dessen Größe im Geiste gleich in’s Ungeheure schwillt, wenn man die Ländermassen bedenkt, welche er durchströmt. Jedes Schiff, das stromabwärts fährt, erweckt diesen Gedanken. Man begreift da das stolze Gefühl des amerikanischen Volkes, das sich als den Herrn weiß eines solchen Ländergebiets, welches von Natur durch Fruchtbarkeit Metalle Kohlen und Wasserstraßen begünstigt ist, wie wenige andere. Auf dem Wege von Neuorleans oder von Neuyork bis hierher, wo der Mississippi sich verengt zu einem Flusse gewöhnlicher Breite, wie viele Großstädte berührt man und welche zahllose Menge von kleinen Städten, von denen in einem Menschenalter beinahe jede ihre zwölf bis dreißigtausend Einwohner hat. Immer weiter geht es in den Westen hinein, und überall wieder Ansiedlungen Städte und Eisenbahnen.

Die jüngste dieser vielversprechenden Städte ist jetzt St. Paul. Vor wenigen Jahren standen nur ein paar Hütten da, und der Platz hatte einen Hinterwäldler Namen „Schweinsauge“ (Pigseye). Seinen jetzigen erhielt er von der ersten Kirche, welche Katholiken zu Ehren des Apostel Paulus erbauten. Als die Stadt Hauptstadt des Territoriums wurde, eilten besonders viele junge gebildete Leute aus den Seestädten her und aus Neuengland, welche durch Land- Holz- Pelz- und Waarenhandel rasch wohlhabend wurden. Die Luft gilt hier für ausgezeichnet gesund, deshalb kommen in jedem Frühjahr und Herbste aus den weiter unten gelegenen Gegenden des Mississippi Schaaren von Kranken nach St. Paul, um hier Genesung einzuathmen. Noch sind es nicht zweihundert Jahre, als der erste Weiße, der fromme Franziskanermönch Ludwig Hennepin, nach Erduldung unendlicher Beschwerden und Mühsale, im kleinen Birkenboote in dieser Gegend landete. Furchtsam stand er vor dem gewaltigen Prasseln und Schäumen der nahen Wasserfälle. Er benannte sie zu Ehren seines Schutzpatrons von Padua die St. Antonsfälle. Weiter hinauf kam er nicht, denn die wilden Sioux überfielen ihn hier und schleppten ihn in die Gefangenschaft. Jetzt fährt man von St. Paul zu Wagen in zwei Stunden unbelästigt zu den Fällen, der Indianer schleicht scheu vorüber.

Die St. Antonsfälle verdanken den Ruf ihrer Pracht und Schönheit hauptsächlich dem Umstande, daß sie so weit entlegen sind. Die Sioux nennen einen Wasserfall Minne–haha, das heißt „lachend Wasser,“ – aber die St. Antonsfälle haben weder etwas Lachendes noch Majestätisches. Passender haben die Chippewas den Ort Kaka–Bika genannt, „Felsenbruch,“ denn man sieht mehr auf die Trümmer und Brocken der Felsen, als auf das stürzende Wasser, das nicht mehr klar, sondern schmutzig gelb ist. Von stolzen Flußgestaden ist gar nicht die Rede. Die Einfassung des Wassers bilden Schutt und Steintrümmer, in der Mitte des Falles streckt sich jedoch eine waldbewachsene Insel, welche die Oede des Ortes bedeutend mildert. Die Umgegend ist rings nackt und glatt wie ein Teller. Auch das Städtchen St. Anton, welches nahe unter den Fällen steht, macht den Platz wenig malerischer; es ist gar nett und freundlich gebaut, aber eben und einförmig. In ältern Zeiten mag der Wasserfall ein erhabenes Bild gegeben haben. Quer durch den Strom geht unter dem Wasser nämlich ein Felsenriff, dessen Höhe von siebzig und mehr Fuß der Mississippi früher in einem gewaltigen Satze hinabsprang. Weil die obere Lage des Riffes aus festem Kalkfelsen, die untere aber aus leicht bröcklichem Sandstein besteht, so schlugen die am Fuße des Falles rückprallenden Wogen mit rastlos zermalmender Gewalt gegen die Sandsteinwand und höhlten sie so lange aus, bis die über die Höhlung hervorragende Kalksteinlage ihren Halt verlor, unter dem Drucke des darüber hinschießenden Wassers zerbrach und in tausend Blöcke und Brocken zertrümmert hinunterstürzte. Dadurch wurde zugleich das Flußbett immer mehr angefüllt. So rückten die Fälle immer weiter nach oben hin, zertheilten sich in eine Menge von kleineren Absätzen und Stromschnellen und wurden immer kleiner. Die St. Antonsfälle bieten daher den Anblick eines stets geneigten Flußbettes, welches über und über angefüllt ist mit großen und kleinen Felstrümmern und einer zahllosen Menge von Fichtenstämmen, welche heruntergeflößt werden, dazwischen und darüber schäumt und tost, springt und stürzt das gelbe Wasser. Nur an einer Stelle fällt ein Theil des Flusses noch beinahe zwanzig Fuß tief. Dieser Fall aber verschwindet zu sehr in der Ausdehnung des Flußbettes. Auch jetzt noch weichen die Fälle mit jeder großen Herbst- und Frühlingsfluth zurück; nicht sehr lange wird es mehr dauern, und statt der Wasserfälle sind hier nur noch gewaltige Stromschnellen übrig geblieben. Der Mississippi ist wie ein junger Stromriese, der alles, was seinen geraden Lauf hemmt und unterbricht, wegwüthet. Auf dem ganzen Erdrunde geht leise und unmerklich eine Abminderung der Berghöhen und Hügel, ein Ausbröckeln der Wasserfälle vor sich: in Amerika tritt jede Naturerscheinung gewaltsamer und mit ersichtlich rascher Wirkung auf.

Auch die vielen Stromschnellen im Mississippi waren vor Jahrtausenden Wasserfälle. An ihnen arbeiteten ganz dieselben zerstörenden Kräfte ganz auf dieselbe Weise, wie noch jetzt am Niagara und an den St. Antonsfällen. Stromschnellen ähnlicher Art finden sich in all den zahllosen Flüssen bis zu den obern Seen hin. Man könnte bei einer Stromschnelle im Mississippi quer durch den Fluß eine gerade Linie ziehen und sie nach beiden Seiten verlängert denken durch diese Länderstrecken von ungeheurer Breite, und wahrscheinlich würde an jedem Punkte, wo ein Fluß über diese Linie müßte, sich eine Stromschnelle finden. So auffallend kehrt auch in solchen Dingen die Einförmigkeit der amerikanischen Landschaft wieder. Ueber diesen endlosen Ebenen des Westens liegt noch der monotone Charakter des Meeres, das sie einst bedeckte und hier die weitgedehnten sedimentären Schichten absetzte, welche später kein vulkanisches Feuer mehr durchbrach, um so viele und stolze Gebirge aufzuthürmen, wie sie, Rußland ausgenommen, in Europa uns bei jeden drei Tagereisen neugestaltig begrüßen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III