Abschnitt 5

V.
Auf dem obern Mississippi.


Wir waren allmählig wieder in die Stromschnellen gerathen und die Nacht über liegen geblieben, auch am nächsten Tage ging es nur langsam vorwärts. Ehe man sich’s versah, saß das Schiff wieder fest, und dann begann wieder die mühselige Arbeit des Ankervorwärtsbringens und Heranwindens. Die Ufer wurden immer höher und bewaldeter, die Gegend hatte etwas ungemein Einsames. Wenn man an den vielen und nicht unbedeutenden Flüssen vorüber kommt, welche in den Mississippi einmünden, so meint man, noch keines Menschen Fuß habe ihre Ufer betreten, so wild und jungfräulich sehen sie aus, wenn man in ihre Waldöffnungen einblickt. Diese Flüsse haben in dem reichen Boden gewöhnlich eine tiefe Mulde ausgehöhlt, und der gelbe Schlammrand, welcher von der ebenen Erde breit zum Wasserspiegel hinabgeht, entzieht den Wellen das grüne Ufergebüsch.


Einmal sahen wir auch das Vorspiel von amerikanischer Lynchjustiz. Es hatten sich Pferdediebe in der Gegend bemerklich gemacht, sie sollten sich nach dem Flusse hingezogen haben; zwanzig Farmer zu Pferde waren hinter ihnen her, sie erschienen und verschwanden, wie sie durch den Wald jagten, die lange Büchse quer über den Sattel. Pferdedieb! ist hier das ärgste Schimpfwort. Man kann ohne Pferde in den Wäldern nichts anfangen, man kann sie aber nicht im Stalle einschließen, deshalb stehen sie unter jedermanns Schutze. Wehe dem Räuber, wenn er gesehen wird und nicht gleich steht, er wird niedergeschossen oder gefesselt und mißhandelt zum nächsten Gefängniß gebracht. Diese Farmer üben selbst ihre Polizei; sowie ein Diebstahl ruchbar wird, fliegt die Kunde von Farm zu Farm und im Nu sind die Farmer mit ihren Pferden und Büchsen zusammen und hinter dem Diebe her. Daß gleich Standrecht über ihn gehalten und der nächste Baum sein Galgen wird, kommt jetzt nur noch auf den westlichsten Ansiedlungen vor.

Die Niederlassungen scheinen hier oben noch nicht zahlreich zu sein, oder sie liegen weiter vom Strome zurück; selten ließen sich ein paar ärmliche Blockhütten am Ufer sehen, gewöhnlich waren sie mit Holzklaftern umgeben; Holzhacker wohnen darin, um die Schiffe mit Brennstoff zu versehen, wofür sie gut bezahlt werden. Die einzige Abwechslung welche die Reisegesellschaft sich machte, war ans Land zu gehen, wenn das Boot anlegte um Holz einzunehmen. Dann wurden zwei Bohlen an das fast gleich hohe Ufer geschoben und alles trieb sich flüchtig und fröhlich über die schmale Brücke, um sich unter den hohen kühlen Waldbäumen zu ergehen. Des Abends, wenn die Nacht plötzlich wie eine schwarze Masse auf die Erde gefallen war und alles ausgefüllt hatte, kündigte ein rothes zitterndes Licht in der Ferne die Holzstellen an. Das Dampfschiff näherte sich und hinüber und herüber flog das Rufen. Dann wurde am Bord an einer langen Stange ein eiserner Gitterkorb ausgehangen, in welchem harzige Holzstücke flammten und kohlten, das Boot plätschert langsam zum Ufer und legt sich unter die Waldriesen, die mit ihren langen Zweigen wie mit dunkeln Geisterarmen weit über den Fluß greifen. Es eilen Bootsleute am Ufer hin und her mit Kienfackeln, in ihrem Scheine werden Holzstöße und Blockhütten und ein paar roh gekleidete Männer sichtbar, mit deren Hülfe die Scheite rasch an Bord wandern. Das Dampfschiff wendet wieder in den Fluß hinaus, und die Fackeln am Lande verlieren sich in die Blockhütten, deren Bewohner sich für den ärmlichen Verdienst mit einer Flasche Whiskey belohnen, in ihrer Oede und Verlassenheit stundenweit von den nächsten Ansiedlungen entfernt. Das Schiff zieht weiter über die einsamen Gewässer, über welche sich Stille und Schweigen lagert. Es schneidet gleichsam ein in diese Starrheit des Schweigens und der Nacht, die wie ein Rest aus urweltlichen menschenfeindlichen Zeitaltern hier stehen geblieben. Endlich taucht fern am Horizonte ein großes Feuer auf, es flammt immer stärker: der Mond ist es, dessen Scheibe so roth glühend und groß langsam emporsteigt. Als wenn sie nur auf ihn gewartet hätten, blitzen auf einmal die Millionen Sterne hervor, und es beginnen auf diesen weiten westlichen Flüssen jene Nachtstunden, von deren Zauber sich durch die Schilderung auch dem besten Freunde nur eine Ahnung geben läßt. Stundenlang wanderte ich da auf dem hohen Sturmdeck auf und ab, wenn das Boot auf dem dunkelglänzenden Strome hinfuhr und die Sterne ihr ewig Licht über diese Gegenden tiefer Einsamkeit gossen und nichts zu hören war, als das dumpfe Rauschen der Wogen und Wälder. Die Seele versenkt sich da in die Tiefen der Natur, man steht im Geiste die Geschlechter von Jahrtausenden kommen und gehen, die trauernden Schatten der Indianer fliehen dahin und erbleichen, und hinter ihnen her drängen die kräftigeren Schaaren der Weißen um hier zu Völkern zu erblühen.

Mit Tagesanbruch fuhren wir gerade in den Fieberfluß hinein. Wie die Nacht in diesen Gegenden ihr Dunkel nicht dämmernd und allmählich, sondern ganz und auf einmal über die Erde wirft, so bricht auch der Tag plötzlich und mit voller Macht herein. Man geht oben auf dem Sturmdeck, der Morgen ist scharf und kalt: über die Waldwipfel kommt ein leises Zittern und Flimmern, sie wittern den Tag, in Schweigen und Erwartung erhebt sich die Natur aus dem nächtlichen Schlummer. Dann fliegen ein paar bleiche Lichtschimmer über Fluß und Wälder, der Osten röthet sich: auf einmal schießen siegreiche Strahlen zahllos hervor, und mit unwiderstehlicher Gewalt bricht die goldene Lichtfluth von allen Seiten herein: die Natur springt auf und schüttelt den Nachtthau aus dem grünen Waldhaar, wie im Nu ist alles lebendig. Die Vögel flattern und schreien, ein Gewirr von Tönen läßt sich hören, die Sonne steigt im reinsten Glanze an der lichtblauen Wölbung empor. So oft man auch einen amerikanischen Morgen gesehen hat, man schaut immer mit neuer Bewunderung dies helle Licht- und Farbenspiel, die energische Klarheit, von der jedes Blättchen erfüllt ist, diesen reinen Aether, in welchem jede Baumspitze scharf sich abzeichnet, und die dichten Schlagschatten zwischen dem glänzenden Grün und den schimmernden Erd- und Steinfarben.

Galena, der Hauptort des Bleihandels, liegt ein paar Stunden vom Mississippi an einem schmalen Flusse, welcher Fieberfluß heißt, ein Name, der unheimlich an giftige Dünste, erdfahle Gesichter, schlotternde Glieder, kurz an Noth und Elend mahnt. Dieser Name entstand aber nur durch das angeborne Geschick der Amerikaner, fremden Worten jedesmal den häßlichsten Klang zu geben. Denn ursprünglich hieß der Fluß ganz unschuldig Bohnenfluß (Riviere des feves). Der Fluß selbst ist außerordentlich hübsch, auf der einen Seite hat er ein Gewinde von netten runden Felshügeln, auf der andern den üppigsten Wiesengrund mit kleinen dunkeln Seen, auf welchen bleiche Wasserlilien flossen. Heerden des kräftigsten Viehes weideten in dem hohen Grase, Menschen und Häuser sah man nicht, das Dampfboot brachte das einzige Geräusch in diese Stille und Ruhe. Der Fluß wendete sich, und gleich waren wir mitten im Marktgewühl, zwischen den Häusern von Galena. Ungeheure Massen Blei lagen am Ufer und warteten auf Schiffe, um an und über das Meer gebracht zu werden. Die Thürme von Tonnen voll Mehl, welche dazwischen standen, waren aber wohl nur da, um die Holzsäger Wäldler und Ansiedler zu versorgen, welche noch weiter herauf am obern Mississippi zerstreut sind. Die Stadt Galena liegt zusammengekeilt zwischen grünen Hügeln. Ich klimmte einen von diesen hinauf und erfreute mich lange der köstlichsten Aussicht. Nachmittags fuhren wir den lieblichen Fieberfluß wieder hinab; allein so erfreulich für das Auge auch seine geschmückten kleinen Ufergelände sind, so wird es einem doch gleich anders hoch und licht zu Muthe, wenn man wieder in den weiten Mississippi und seinen dunkeln Glanz hineinfährt. Seine Fluth behält noch auf einer langen Strecke den eigenthümlichen schwärzlichen Schimmer. Der Strom zeigte uns noch einige prächtige Wald- und Felsengemälde, er blieb, wie fast überall außer den Stromschnellen, eine Reihe von stillen Seen. Dann landeten wir vor Dubuque, einer Stadt, die sich zierlich vor dem Hochufer ausbreitet, aber so recht in den Heckeplatz der Fieber gebettet hat. Lange Streifen aufgeschwemmten Landes ziehen sich, mehrere hinter einander, bis in den Fluß. Zu Zeiten befeuchtet, zu Zeiten abtrocknend, dünsten sie den verderblichen Schwaden aus. Dazwischen zieht sich ein Gewirr von natürlichen Kanälen, welche bei Hochwasser bis oben angefüllt sind. Wenn im Frühjahr der Regen in unendlichen Strömen niederstürzt, schwemmt das Wasser, wohl einmal Reihen von Häusern so gründlich weg, daß an ihrer Stelle blos einige Löcher zu sehen sind. Weil die Dampfschiffe nicht an die Stadt können, so nahm ein Kahn uns und unsere Sachen auf, und landete uns um neun Uhr Abends vor dem großen Gasthause. Ich lief noch durch einige Straßen, alles war bereits still und in Schlaf vergraben; nur das borstige Vieh wälzte sich noch in den Kothlachen. Jedoch wundern mußte man sich, hier in so weiter Ferne in ein paar Jahren bereits eine nette Stadt aufgeblüht zu sehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III