Abschnitt 4

V.
Auf dem obern Mississippi.


Was war und ist nun der Grund dieses Hasses? Vergebens sucht man nach einem ähnlichen Beispiele in den Vereinigten Staaten. Die Mormonen hatten es nicht mit dem Pöbel der Großstädte zu thun, sondern sie wurden von ruhigen Farmern vertrieben, welche sonst noch am ersten duldsam und nicht sogleich in Masse zusammenzubringen sind. Die Mormonen wurden auch nicht blos aus Nauvoo, sondern aus jeder ihrer vier früheren Niederlassungen in den vordern Staaten gewaltsam verdrängt durch die benachbarten Farmer, überall hatten sie in der Umgegend gleichen Haß erregt. Die sonderbaren religiösen Meinungen konnten nicht in diesem Grade die Erbitterung erzeugen. Jene sonderbare Institution, welche man die ganz eigenthümlich amerikanische Religion nennen muß, hat schon viele Zerrbilder hervorgebracht, über welche man sich wenig beunruhigt. Wer einmal einem methodistischen Waldlager beigewohnt hat, hält in Religionssachen bei dem amerikanischen Volke Alles für möglich. Man hat dort Tausende von Milleriten am hellen Tage in ihren Feierkleidern auf den Straßen gesehen, welche betend und singend und in allem Ernste die leibhaftige Herabkunft des Herrn erwarteten, weil ihnen ihr Prophet Miller den jüngsten Tag bis auf Tag und Stunde ausgerechnet hatte. Die deutschen Rappisten haben ebenfalls verschiedene blühende Niederlassungen gehabt und durch ihr Gemeinschaftsprinzip größere Dinge in Gewerken und einen lieblicheren Anbau der Gegend zu Stande gebracht, als die Mormonen. Auch die Rappisten hatten ihre Geheimreligion, sie sind aber nie verfolgt worden. Die Shaker führen fort und fort ihre schauerlichen Tänze auf, üben ihr Coelibatssystem und zeigen ihre Verachtung der gemeinen Menschenkinder, man läßt sie ruhig gewähren. Die Sekte der Mormonen ist mit den angeführten Sekten verwandt, sie ist recht eigentlich aus der amerikanischen Religion herausgewachsen. Das Volk der Vereinigten Staaten, in Masse genommen, läßt Sekten ruhig entstehen und wieder vergehen. Es verlangt nur, daß ihre Lehren öffentlich seien, daß Jeder sich davon ohne Weiteres ganz und gar unterrichten könne. Es haßt Geheimreligion, weil es, ich möchte sagen, in seinem Instinkte liegt, daß Keiner etwas voraushaben soll, in welches nicht jeder Andere auch seine Nase stecken könne. Wo dagegen Sekten mit Religionssätzen ruhig bestehen, die nicht der Oeffentlichkeit vorliegen, da verlangt man wenigstens, daß ihre Anhänger unbedeutend seien, sich friedlich und demüthig und den öffentlichen Gesetzen gemäß aufführen.


Hier aber liegt der Grund zu dem Hasse gegen die Mormonen. Sie sondern sich als eine geschlossene Sekte von dem übrigen Volke ab, nicht blos in ihrer Geheimreligion, sondern in ihrer ganzen Wirthschaft. Sie wollen nicht blos an der Bibel genug haben, sondern auch begnadigt sein durch besondere Offenbarungen Gottes und seiner Engel. Nicht als demüthige Dulder treten sie auf, sondern als Männer des Schreckens, welche ihre Bataillons einüben und sich eine Artillerie verschaffen. Frank und frei verkündigen sie, sie allein seien die Auserwählten des Herrn, und die Andern alle Heiden und Verworfene. Dabei sind sie nicht blos einfache Landbauer und Handwerker, sondern ausgelernte Geld- und Geschäftsleute. Ein bloßer Schwärmer legt keine Banken an, um durch geschickte Operationen das Geld des Landes an sich zu ziehen, wie es der Prophet Joseph Smith so meisterlich verstand. Man hätte ihn den größten Humbugmacher in Amerika nennen können, wenn man nicht gesehen hätte, daß er eine reale Macht sich schaffe und daß diese Macht noch verschleierte und nicht unschuldige Zwecke habe. Wie wenig Smith sich um des Landes Gesetze kümmerte, zeigte er in Nauvoo, als er den Gerichtsboten untersagte sich bei Strafe in der Stadt wieder blicken zu lassen. In Missouri wie in Illinois mußte erst die bewaffnete Macht gegen die Mormonen ausrücken, ehe diese den Landesgesetzen Gehorsam versprachen. Auch jetzt widersetzen sie sich wieder den Anforderungen der Unionsregierung, und man glaubt Anlaß genug zur Furcht zu haben, der Mormonenstaat werde, wenn er stark genug dazu sei, sich für unabhängig erklären und die hergebrachte Staats- und Landesordnung zerreißen. Befürchtungen dieser Arten entstanden um so eher, als man sah, daß die Gemeinde der Mormonen sich hauptsächlich aus solchen bilde, welche nicht in den Vereinigten Staaten geboren waren.

Diese Absonderung vom gemeinen Besten, diese Ueberhebung über das übrige Volk, dies wirkliche oder vermeinte Abweichen von dem, was einmal für unumstößlich als Recht und Sitte gilt, und dazu die Furcht, daß die Mormonen mindestens sich einmal der Gewalt und Gerichtsbarkeit des gesammten Volkes entziehen können, – das sind die Gründe des Hasses gegen dieselben. Die Mormonen leben nicht wie andere Leute, es ist etwas Geheimnißvolles um sie her, in das man nicht eindringen kann, sie können gefährlich werden, – das ist genug um sie feindlich zu behandeln und zu verfolgen. Der Amerikaner hat eine so hohe Meinung von dem, was einmal als Recht und Ordnung allgemein im Lande hergebracht ist, daß er sich mit instinktmäßigem Hasse gegen Alles richtet, was dagegen auftritt, sobald es nicht schon an sich ohnmächtig ist.

Ein besonderer Grund des Widerwillens gegen die Mormonen liegt auch in dem, was man von ihrer Vielweiberei erzählt. Man darf nicht Alles glauben, was von ihrem mit dem Religionsmantel bekleideten Wollustdienst amerikanische Blätter mittheilen, aber grundlos sind bekanntlich diese Erzählungen nicht. Es sieht auch fest, daß durch Mittheilung jener rein irdischen Freuden die Mormonen an jungen Männern, die sie für ihre Sekte geeignet glaubten, Proselyten zu machen suchten. Nun ist der Amerikaner zwar keineswegs keuscher als andere Völker, aber der Gedanke an Vielweiberei empört ihn, weil sie ihm als ein Frevel gegen die Menschenwürde erscheint, die das Weib mit dem Manne theilt.

Die Mormonen wohnen nun in großer Anzahl in den Felsengebirgen, in einer ebenso großartigen als fruchtbaren Natur. Sie können dort vielleicht noch lange hausen, noch ist kein Heer bis zu ihnen gedrungen, das stark genug wäre sie zu vertreiben. Sie halten sich jetzt für unüberwindlich, bald aber muß es sich zeigen, welcher Kern darin ist, ob sie wieder zergehen und nichts übrig bleibt, als ein großer Irrthum und eine Menge fleißiger Landbauer und Handwerker, welche später über die Mormonengeschichten lachen, oder ob sich wirklich ein Mormonenstaat noch eine Zeitlang hält, der die Menschengeschichte mit einem neuen seltsamen Blatte bereichert –

Die Stadt Nauvoo hat zum zweitenmal eine merkwürdige Bevölkerung gehabt, die französischen Ikarier. Diese sind nicht vertrieben, ihre kommunistische Gemeinde hat sich selbst aufgelöst; ihr Gründer Cabet mußte selbst noch erleben, wie eine seiner Theorien nach der andern an dem natürlichen Widerstande der Menschen und Geschäfte scheiterte. Der prachtvolle Mormonentempel ist zerstört, die Hoffnungen der Ikarier sind zu Grabe getragen, Nauvoo ist wieder besetzt mit handels- und gewerbfleißigen Leuten, von denen jeder dem Prinzip nach für sich selbst wirthschaftet und mit den Uebrigen sich in Staat und Gemeinde nur zu demjenigen verbindet, was er selbst nicht leisten kann.

Wir kehren nach dieser Abschweifung zu unserer Flußfahrt zurück. Hinter Nauvoo nahm die Gegend einen andern Charakter an. Die Ufer wurden eben, man übersah oben vom Sturmdeck endlose Wälder und Prairien, letztere traten oft bis dicht an den Strom. Die Ufergelände waren an vielen Stellen hübsch bebaut, freundlich stellte sich insbesondere das sonnige Städtchen Bloomington dar, es entsprach seinem Blüthennamen. Aber auch hier wie in Burlington, welches weiter abwärts am Flusse liegt, hausen die Fieber, welche zwar nicht gleich tödten, aber doch das Mark aus den Knochen wegfressen. Man erzählte mir traurige Geschichten davon. Die Städte am obern Mississippi bekommen ihre ersten sechs bis sieben Tausend Einwohner rasch, dann steigt die Bevölkerung nur langsam. Die Ungesundheit der Gegend ist der Hauptgrund.

Der anziehendste Punkt auf der ganzen Reise war bei Deavenport, welches wir gerade erreichten, als die kurze Dämmerung einbrach. Die Sonne warf noch einmal ihre glänzendsten Lichter auf Strom und Gestade, alles prangte in den kräftigsten Farben, dann sank plötzlich die Nacht herunter. Zwei Städte, Deavenport und Rockislandcity, liegen sich hier gegenüber an beiden Ufern, in reichen Bottoms. In der Mitte des Stromes ist Rockisland, eine felsige Insel, hübsch bewaldet und darauf Fort Armstrong umgeben von festungsartigen Werken, welche jetzt verfallen. Die Wellen brachen sich spielend und schäumend an den felsigen Vorsprüngen der Insel. Am Fuße der Wälle standen ein paar Indianerhütten; die armen Wilden, in ihre weißen Decken gehüllt, standen und saßen wie starre stumme Statuen am vorbeirauschenden Wasser. Sie waren ein trauriger Ueberrest der Völkerschaften, welche einst hier jagten und kämpften und jetzt, immer weiter in den Westen hinein getrieben, rettungslos absterben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III