Abschnitt 3

V.
Auf dem obern Mississippi.


Wenn die Schiffsgesellschaft sämmtlich zur Tafel saß, es waren öfter über anderthalbhundert Personen, so ließ sich die langen Reihen hinab eine merkwürdige Sammlung von gelben Gesichtern überblicken. Von der rothbraunen Lederfarbe des Hinterwäldlers ging es durch alle Schattirungen von Braungelb und Blaßgelb bis zu dem Häßlichsten von allen, dem Graugelb des ächten Yankee. Nur oben am Tische, wo einige junge Ladies saßen, schimmerte etwas frisches Weiß und Roth. Wollte man kräftige Gesundheitsfarben sehen, mußte man zu den deutschen Einwanderern hinuntersteigen, welche unterhalb der Kajüte auf dem halb offnen Verdeck eingepfercht waren. Diese hatten aus Europa noch etwas Gesichtsröthe mitgebracht, – wie bald mußte sie in der trocknen Luft Amerikas unter Dollarshunger rohem Essen und Fieber verschwinden!


Unser Schiff „St. Peter“ war ein erklärter Wassermann, ein Temperancemann, das heißt das Boot war zu einem Mäßigkeitsverein eingeschrieben, es wurde darauf neben ziemlich gutem Essen nichts verabreicht als Wasser. Im ärgerlichen Gegensatze zu der bekannten Sauberkeit der Amerikaner standen auch hier, außer dem blanken Saale, die übrigen häuslichen Einrichtungen des Bootes, welche ebenso gefährlich als niederträchtig waren. Unser Kapitän aber war ein langer dünner Yankee mit Predigermanieren und schien Gewicht darauf zu legen, daß man in ihm ein Muster von Nüchternheit Geduld und Sanftmuth erkenne. Die gefährliche Röthe seiner Nase und ein leises Stammeln seiner Zunge ließen einen kleinen Verdacht aufsteigen, daß er irgendwo ein heimliches Rumfäßchen an Bord habe, welches er aufsuchte, wenn die langsame Fahrt über die Stromschnellen seine christliche Geduld gar zu sehr in Anspruch nahm. Indessen hatte doch das Mäßigkeitssiegel, welches sein Dampfboot an der Stirne trug, die gute Folge gehabt, daß die Rowdies, jene Geißel der Dampfbootreisenden im Westen, mit St. Peters Nüchternheit nichts zu thun haben wollten; die Kajüte blieb still und sauber und herbergte nur friedliche Menschen. Als ich dem Kapitän darüber eine Artigkeit sagte, verbeugte er sich mit einem seligen Lächeln und sprach mit honigfließendem Munde: „die Sterne des Himmels und die Thiere des Feldes wären friedlich und söffen nicht Wein noch Rum; Gott in seiner ewigen Gnade habe dem Menschen die Natur zum Vorbilde gesetzt, die sich nur mit Wasser tränke; alles geistige Getränk müsse von der Erde vertilgt werden, und jeder respektable Mann sei verpflichtet ein Beispiel zu geben; ein einziger Gerechter könne Hunderte vom schlimmen Wege abführen, und das Auge des allmächtigen Vaters ruhe auf ihm mit Wohlgefallen.“ Der Mann war zum Yankee–Prediger geboren. Im besten Reden aber wandelte ihn ein leises Schlucken an; er entschuldigte sich, er habe einen Fehler im Magen und müsse einen Löffel voll Medizin nehmen. Bald darauf sah ich ihn wieder aus seiner Kajüte schleichen, lächelnd und milde, das verstärkte Glimmern der Nase und Augen weissagte, daß seine Medizin ihm wohl bekommen. Später gab er mir unter den Fuß, da ich ein solcher Freund der Mäßigkeit sei, möge ich sein Boot auf schickliche Weise empfehlen. Als ich ihm darauf von ein paar Flaschen Hermanner Wein sagte, welche mir Freunde in St. Louis auf den Weg gegeben, meinte er: das schade nicht, der deutsche Wein sei zu sauer und eigentlich nur Medizin. So sind diese amerikanischen Puritaner und Methodisten: in keinem andern Lande der Welt kann man im Umsehen eine so zahllose Menge der geschicktesten Heuchler beisammen haben. Sie halten ihre Heuchelei zuletzt für baare gottgefällige Frömmigkeit, sie ist ihre Religion geworden. Uebrigens habe ich jenes Urtheil über den deutschen Wein von vielen englischen Amerikanern gehört, sie begreifen nicht unsere Vorliebe dafür, und mögen nur süßen Madera oder scharfen Rum und Grog, oder ihren ekelhaften Whisky.

Je höher wir am dritten Tage unserer Fahrt den Mississippi hinauf kamen, desto eigenthümlicher wurde die Flußlandschaft. Auf der Karte macht der Fluß eine ziemlich gerade Linie, in der Natur aber ergießt er sich meist in weichen Krümmungen. Bei mehreren rasch sich bevölkernden Städtchen legten wir an, die nächste Flußwendung brachte uns jedesmal wieder in blühende Wildniß hinein, in die tiefe Einsamkeit der Natur. Man mußte sich immer wieder ins Gedächtniß rufen, daß wir wirklich durch eine Gegend reiseten, welche noch gar nicht so lange den Wilden abgekauft worden, so lachend und lieblich lag das Land zu beiden Seiten des Stromes. Dieser selbst blieb fast fortwährend eingefaßt von felsigen Wänden, welche auf das zierlichste durchbrochen und mit Buschwerk überhangen waren. Grüne Inseln, welche der Strom umglänzte, Wiesenbuchten in der Uferbiegung zwischen steilen Felsen, die stillen Thäler der Nebenflüsse, welche unter dem hohen Laubdach des Urwalds langsam herbeizogen, sich mit dem mächtigen Mississippi zu vereinigen, dieser selbst in seinen Krümmungen sich ergießend gleichsam durch ein Gewinde von Seen, – es war herrlich, es muthete einem an, wie Glück und Frieden. Der unsägliche Zauber der Wildniß, der Schimmer und die Frische der jungen Natur lag über der Gegend ausgebreitet. Das Gefühl dieses Friedens wurde auch nicht gestört, wenn wir an ausgerissenen Uferwäldern, gelben Schlammbänken und treibenden Baumstämmen vorbei, oder in die rauschenden und schäumenden Stromwellen hineinkamen. Manchmal trieb ein Baumstamm den Fluß hinunter, an welchem noch Erdreich saß und auf diesem grünendes Buschwerk. Es hingen Vögel daran, welche sich bei dem Annähern des Dampfbootes wie entsetzt in’s Dickicht stürzten. Nahe bei Nauvoo, als wir uns mit Untiefen abzuarbeiten hatten, brach die Welle des einen Rades. Wir trieben zum nächsten Ufer, und es war nun eine Freude zu sehen, wie flink und geschickt Steuerleute und Matrosen sich daran machten, den Bruch auszubessern. In wenigen Augenblicken war die ganze Arbeit geregelt, eine Schmiede hergerichtet. Holzschienen geschnitten, das Rad festgekeilt; kein überflüssiges Wort wurde gesprochen, keiner stand dem andern im Wege.

Mir war es nicht unlieb, daß der Unfall sich hier ereignete, denn gegenüber lag die Mormonenstadt Nauvoo. Während der zwei Stunden, welche mit der Herstellung des Rades hingingen, hatte ich Gelegenheit mich am Ufer umzusehen. Die ganze Gegend war noch voll von Erzählungen über den Sturm auf Nauvoo, und es wurden manche Züge aus den dabei vorgekommenen Gefechten erwähnt, in welchen die Mormonen eben so sehr als tapfere und begeisterte Männer, wie als verständige Leute erschienen, welche – um mich eines amerikanischen Ausdrucks zu bedienen – recht fest in ihren Schuhen standen. Ich hatte mir eine Art Festung vorgestellt, fand jedoch eine offene Stadt, die aber einen ganz eigenen Anblick bot. Auf einem hohen weiten Hügel, um dessen Fuß sich der Mississippi in breitem Glanze ergoß, stand weitleuchtend der Tempel, vom weißesten Marmor, eins der großartigsten Gebäude in den Vereinigten Staaten, wenn auch in einem seltsamen Style ausgeführt. Um ihn her erhoben sich stattliche Steinhäuser, das Rathhaus und die Wohnungen der Vorsteher und die Werk- und Lagerhäuser. Den Hügel hinab und rings bis weit in das Feld hinein standen unzählige kleine recht niedliche Häuser, das eine wie das andere gebaut, jedes von dem andern durch einen regelmäßigen Zwischenraum getrennt. Auf jedes Haus kam ein Garten von etwa einem Viertel Acker und ein Feld von wenigstens einem Acker. Alles war gut bebaut gewesen. Jetzt war die Stadt wie ausgestorben, Tempel und Häuser verschlossen, nur in einigen Wohnungen am Flusse waren noch ein paar Mormonen, dienstfertig, aber finster und ungesellig; die andern befanden sich bereits auf der weiten Wanderung. Wohin man sah, erkannte man sofort, daß hier ein Geist strenger Ordnung und eine Unternehmungslust in großem Maßstabe gewaltet hatte; die Regelmäßigkeit und Sauberkeit, die kluge Benutzung aller natürlichen Vortheile der Lage der Ansiedelung war zum Bewundern. Ganz das Gleiche hört man jetzt von den neuen Wohnsitzen der Mormonen; durch alle ihre Verluste nicht im Geringsten erschüttert, haben sie nach demselben festen Plane wie früher ihre Stadt und ihren Tempel wieder gebaut. In der kurzen Zeit ihrer dortigen Niederlassung haben sie ein weitgedehntes Thal mit netten Häusern besetzt und in fruchtbare Wiesen und Ackerfelder umgewandelt, ihre Stadt ist hell und zierlich gebaut, die Straßen sind von hübsch eingefaßten Bächen bewässert. Sie leben in täglich wachsendem Wohlstande, und keiner versagt ihnen das Zeugniß, daß sie nüchtern friedlich und freundlich sich benehmen, an Ehrlichkeit wenigstens von keinem Amerikaner übertroffen werden, und in ihrem ganzen Bereiche eine größere Sicherheit und Ordnung aufrecht halten, als dies in irgend einer andern amerikanischen Stadt der Fall ist. Die Amerikaner sprechen sonst mit Entzücken von dergleichen Anlagen. Nichts hätte sie mit mehr Achtung und Zuneigung für die Mormonen erfüllen müssen, als der Anblick ihrer blühenden Ortschaften. Dennoch fand ich damals in Illinois überall nur Haß und Erbitterung gegen die seltsame Sekte. Viele sprachen sich zwar darüber aus, daß man gegen sie ungesetzlich, hart und grausam verfahren sei, aber Alle stimmten darin überein, daß die Mormonen eine Pest des Landes gewesen, und freuten sich, daß sie vertrieben worden. Man gab ihnen alle möglichen Laster schuld, man nannte sie nicht blos Ehebrecher, Räuber und eine organisirte Bande von Betrügern, welche das Land plünderten, sondern auch Pferdediebe, und unter einem Pferdediebe stellt sich der westliche Farmer einen Abgrund von Schlechtigkeit vor. Auch jetzt, wo die Mormonen in den Felsengebirgen den erschöpften Wanderzügen vom wesentlichsten Nutzen sind, auch jetzt liest man in jeder Nachricht, welche von dorther kommt, den schlechtverhehlten Aerger und Groll, die tiefe Feindschaft gegen die Mormonen. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese auch in ihren entfernten Zufluchtsörtern bald wieder in Händel mit den Amerikanern verwickelt wurden, und es ist schon wieder so weit gekommen, daß man sie mit Heeresgewalt aufsuchen und bezwingen will, so groß auch die Kosten und so ungewiß der Erfolg. Man sprach schon lange offen davon, die Mormonen müßten aus dem Lande weggefegt werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III