Abschnitt 2

V.
Auf dem obern Mississippi.


Ich war mit einem Reisegefährten bekannt geworden, der mir von seinen Abenteuern in Quincy erzählte. Er war vor zehn Jahren jung von der Universität aus Deutschland gekommen, hatte sich deshalb bald in das amerikanische Treiben hineingefunden und frischweg allerlei angefangen. Weil er aber in den Seestädten keinen festen Fuß fassen konnte, wandte er sich sofort nach dem fernen Westen. Er hatte etwa hundert Dollars in der Tasche; sein Plan war, sich als Farmer auf Congreßland niederzulassen, oder auch als Prediger oder Arzt oder Holzhändler sein Glück zu versuchen. Während sein Dampfboot vor Quincy Wasser einnimmt und er auf den Markt schlendert, sieht er zufällig, daß die Zwiebeln theuer verkauft werden, in St. Louis hatte er ebenso zufällig sie gut und billig verkaufen sehen. Sogleich fuhr er mit einem andern Dampfboot zurück, kauft in St. Louis ein paar Tonnen Zwiebeln, setzt sie in Quincy mit Gewinn ab, und treibt das Geschäft den ganzen Herbst durch. Im Winter hat er sich in Quincy bereits eine stattliche Handlung mit Wein Rum und dergleichen eingerichtet, macht das Jahr darauf bankerott, eine Sache, die nach der Landesmeinung dem Besten erst recht passirt, wurde darauf Essigfabrikant und hatte jetzt bedeutende Kornmühlen und große Lust, bei der nächsten Wahl ins Staatenhaus zu kommen.


In vielen Gegenden des lieben Deutschlands ist das schönste Lob, das holde Frauen und Mädchen einem jungen Manne geben: er ist ein bescheidener junger Mann, – des Engländers und Amerikaners Ruhm ist, wenn es heißt: er ist ein unternehmender junger Mann. Diese Unternehmungslust der jungen Leute in Amerika und England theilt sich ihrem ganzen Volke mit, sie wird zu einem tüchtigen Nationalgefühl, das wesentlich seinen Kern hat in einem gesunden Egoismus. Es ist eine liebenswürdige Eigenschaft, die zarte Bescheidenheit; wenn sie aber so zart und allgemein wird, daß ein ganzes Volk andern Völkern gegenüber bescheiden wird, so wird die Nationaltugend der Bescheidenheit ein rechtes Nationallaster. Im Mittelalter freilich hieß bei uns ein bescheidener Mann ein solcher, der seiner selbst sicher ist und deshalb in allen Dingen ruhig und besonnen Maß hält; in unserer jetzigen Sprache hat das Wort „bescheiden“ ebenso wie „fromm“ und „gut“ seinen Schwergehalt verloren, der Sinn des moralisch Schönen ist wohl geblieben, dem aber gar leicht etwas Demüthiges und Schwachherziges beigemischt ist. Hat sich doch selbst der „Michel“, der ehemals einen kraftvollen stark auftretenden Mann bedeutete, jetzt in einen armen Schelm verwandelt mit viel Herzensgüte und leeren Taschen. –

Am zweiten Morgen unserer Fahrt hörte ich beim Erwachen nicht mehr das gewohnte Geräusch der Wasserräder. Das Dampfboot lag still, um die Tageshelle zu erwarten, denn wir waren bei Keokuk, einer halb deutschen Ansiedlung, in die Gegend der Stromschnellen gekommen, deren jetzt mehrere in einer Strecke von zwölf Meilen auf einander folgten. Das felsige Bette des Flusses ist abschüssig, das Wasser schießt mit großer Gewalt auf der schrägen Fläche hin, an mehrern Stellen schäumt und brodelt es, und hin und wieder braust es um verstreute Felsen, daß das Schiff seine Noth hat, dazwischen sein Fahrwasser zu finden. Dieses wird durch aneinander stoßende Kreise von glattem stillem Wasser bestimmt, welche gleichsam wie Oel auf dem lärmenden Flusse schwimmend sich hinziehen und Ketten (Chains) genannt werden. Einigemal zog sich auch eine Linie von Schaum und Gebrodel quer über den Fluß, ein Zeichen, daß unten im Felsgrunde eine durchlaufende jähe Senkung war. Unser St. Peter hob sich endlich schwerfällig voran, die Maschine arbeitete und stöhnte was sie konnte; über die erste Stromschnelle brachte sie uns glücklich hinweg, in der zweiten konnte sie den Wasserschwall nicht mehr überwinden. Das Schiff wendete näher zum Ufer, um sich mit Tauen befestigen zu lassen und zu warten, bis ein Kielboot kam, ein langes flaches Fahrzeug. In dieses wurde alle Fracht gebracht und das Schiff erleichtert. Nun hob es sich allerdings höher aus dem Wasser und ging eine Strecke voran, das Kielboot zur Seite mitschleppend, aber die schlimmen Stellen kamen zu arg. Dann stand das Dampfboot, und hob sich und senkte sich und schütterte, wie ein Roß, das über einen Graben soll. Aber vergebens wurde St. Peter von der Maschine gespornt, er schnaubte, machte Ansätze, sah aber zuletzt ein, daß das Ding doch zu gefährlich sei. Endlich wurde Anker und Tau durch ein Ruderboot eine kleine Strecke vorwärts gebracht, und nachdem beides im Flußbette befestigt war, das Schiff mühsam am Tau herangewunden. Lange können unmöglich die Dampfschiffe, welche ohnehin schon so leicht gebaut sind, solche Fahrten aushalten. Wüchse nicht in den amerikanischen Wäldern das feste zähe Hickoryholz, so würde man noch viel mehr von Unglück auf den großen westlichen Flüssen und Seen hören.

Man mußte sich derweilen in der Unterhaltung mit der Reisegesellschaft erholen. Diese war im Ganzen genommen freundlich und anständig. Die bleierne Stille aber, welche sich fortwährend über das ganze Schiff hinlagerte, ließ sich schwer unterbrechen. Man fing wohl ein Gespräch an, bald jedoch stockte es wieder aus Mangel an Stoff. Der Ideenkreis, in welchem sich die meisten Amerikaner bewegen, ist leicht ausgeschöpft. Sie sind nicht die evangelischen Armen im Geiste, denen die Gedanken von Gott und Unsterblichkeit die ganze Seele erfüllen, so daß sie nicht geistreich blinken im Tagesverkehr, sondern still und schweigsam bleiben. Diese Amerikaner sind vielmehr arm am Geiste, auf ihrem innern Feuerheerde sprühen die Funken nur, wenn es sich um Politik Geschäfte Eisenbahnen und Kanäle, oder um irgend einen seltsamen Glaubenssatz handelt, wie ihn der Sektengeist hier zu Lande ausheckt. Ihre Hände müssen immer etwas schnitzeln, ihr Gebiß Taback kauen oder Zuckerwaare, – der Mensch muß ja etwas zu thun haben; weil der Geist zu wenig Springfedern hat, bleibt die Mechanik des Leibes im Gange. Der Amerikaner ist in Gefahr und Schwierigkeiten ungemein klar und gefaßt, sein Geist immer scharf auf das Nächstnothwendige gespannt. Das ist kein hoher Muth, sondern ein kalter Muth, der sich stets gleich bleibt. allerdings auch werthvoll, denn er vollbringt mehr als ein Mann mit zuviel Geist und Gemüth. Reizbar ist der Amerikaner gleichwohl in hohem Grade, die Gewohnheit sich zu beherrschen ist ihm aber zur andern Natur geworden, weil diese Tugendübung ihm bei seiner innern Trockenheit nicht gar zu schwer fällt. Zu Zeiten aber kann er nicht mehr anders, er muß gleichsam aus sich selbst herausspringen, mit einem Satze heraus aus der Leere und Einförmigkeit seines inwendigen Menschen.

Die meisten Reisenden auf dem Schiffe gingen „nach dem Westen“. Wir waren mitten darin, allein „der ferne Westen“ wandert immer weiter westwärts, je mehr Landstriche neu besiedelt und zu den schon bestehenden Staaten hinzugeschlagen werden. Jetzt sind zwar auch bereits die Länder am stillen Ozean nach allen Richtungen durchmessen und besiedelt, und bald ist kein unbewohnter Raum mehr, der sich mit allerlei Hoffnungen bevölkern läßt, als die Striche zwischen den Felsengebirgen und den Gränzen der westlichen Staaten. Allein noch immer ist in der Phantasie der Farmer und Arbeiterklassen der „ferne Westen“ etwas Unermeßliches, ein Zauberwort, dessen Anziehung sie schwer widerstehen. Noch immer gilt das alte Wort der Vorsiedler: „So wenig der Fisch im Mississippi zu hindern ist, hinabzuschwimmen bis er in das Meer kommt, so wenig ist der Vorsiedler zu hemmen, sich in die Wälder und Prairien des Mississippi zu stürzen, bis er zu seinen letzten Quellen gelangt.“ Die Westwanderer auf unserm Schiffe waren zum großen Theile alte und junge Leute aus den östlichen Staaten, namentlich aus Neuengland. Dort, in Boston und Philadelphia, gehört es zum guten Ton, über die Rohheit der Westleute zu schmähen und über ihre hochfliegenden Pläne zu lächeln. Es schien mir indessen auch etwas Neid und Aerger dabei zu sein. Denn diese Westleute wollen sich von den alten Häusern im Osten nicht mehr in Handel und Politik beherrschen lassen, wenigstens nicht mehr so vollständig als das früher der Fall war. Jedes Jahr bringt neue überraschende Nachrichten von dem mächtig anschwellenden Leben im Westen, wo neue Staaten und Großstädte rasch empor wachsen, wo sich bereits lebhaft und selbstständig ein eigenthümliches Volk bewegt, dessen politische Ansichten und industrielle Unternehmungen auch bis nach Neuyork hin einen fühlbaren Eindruck äußern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III