Abschnitt 1

V.
Auf dem obern Mississippi.


„Morgen früh bei guter Zeit geht es fort, so gewiß die Sonne am Himmel steht,“ sagte mir der Kapitän des Dampfboots St. Peter und setzte noch hinzu, ich könne die Nacht lieber gleich an Bord bleiben. Ich kannte diese Kunden und schlenderte erst am andern Vormittage wieder zum Hafen: das Boot lag noch ganz still und ruhig. Die Augustsonne brannte scharf und glühend herunter; ich fragte den Kapitän, ob er sie nicht sehe, er murmelte sein Damned! (Verdammt), und vertröstete mich auf den Nachmittag. Aber es wurde Abend und Nacht und wieder Morgen, das Schiff rührte sich nicht von der Stelle. Am andern Mittag stießen in der That die Dampfschlote von Zeit zu Zeit Rauch aus, als wollte das Boot sofort in die Fluthen eilen, auch die Schiffsglocke ließ sich hören, aber der Kapitän streckte noch ruhig seine Absätze aus einem Gasthofsfenster, und erst am Abend dachte er genug Fracht ergattert zu haben oder keine mehr zu bekommen, weil sich noch mehr Dampfboote zum obern Mississippi meldeten. Die Glocke rief nun wirklich zum letztenmal und das Boot verließ die Werfte von St. Louis mit ihrem Staube, ihrem Geschrei und Gewühle.


Das Dampfboot strich der Länge nach an St. Louis hinauf. Die Stadt nahm sich von hier mit ihren langen Häuserreihen wirklich großstädtisch aus. Quais von Granit und Pracht werden freilich die amerikanischen Städte noch lange nicht bekommen; der Handel und die Schifffahrt brauchen keine schimmernden Gebäude, wohl aber möglichst nahe am Flusse allerlei Wirths- Waaren- und Handwerkshäuser. Auf der rechten Flußseite dehnte sich der überreiche American Bottom, ein Strich Landes so üppig und fruchtbar wie das Nilthal. Ich konnte meine Gedanken nicht losreißen von jenen vielgebildeten deutschen Männern, welche dort sich eine neue Heimath gründen, eine Heimath voll Freiheit und Mannesstolz, aber auch voll Fieber Mühsal und unsäglicher Geistesöde. Mögen ihre Kinder den vollen Gewinn davon haben! Für sie selbst ist Geduld und Entsagung täglich Brod geworden. Das ist das Entsetzliche, daß in den Einöden Amerikas so unendlich viel vom Edelsten und Tüchtigsten, was deutsche Bildung erzeugt hat, lautlos untergeht, und der ganze Nutzen davon so windig ist, gering für die Träger dieser Bildung, gering für das Land und die Welt. Es ist, als wenn man Bäume begießt mit edlem Wein.

Der Mond zog bereits herauf, als wir die kothige Fluth des untern Mississippi verließen und in den obern Fluß einbogen. Der Abstich des reinen Wassers des letztern ist so stark, daß sich eine Strecke lang deutlich die Linie abzeichnet, welche das Mississippi–Wasser vom Missouri scheidet. Dieser wälzt sich schlammig und ungestüm daher, der klare Mississippi scheut sich seine reine Fluth damit zu vermischen; endlich überwältigt ihn die stärkere Woge, und mit gleichem Schmutz und Schlamm gesättigt, behält er von seiner früheren Schönheit nichts mehr als den Namen. Der glänzende stolze Jüngling des Nordens, in dessen hellen Augen sich das Blau des Himmels spiegelte, ist gleichsam zum Manne geworden, dem der Erde Kothfluth die frische Klarheit nimmt, der aber mit verdoppelter Stärke seine Lasten trägt, bis er ausströmt und sich verliert im Ozean. Der untere Mississippi, welchen Namen der alte Stromvater trägt vom Zusammenflusse mit dem Missouri bis zum mexicanischen Meerbusen, hat durchaus den Charakter des breiten hochfluthenden, schmutzig gelben Missouri mit niedrigen Ufern, die jährlich mehr oder weniger überschwemmt werden. Der obere Mississippi ist einer der schönsten Ströme, etwas einförmig zwar, wie alle amerikanischen Flüsse auf den ungeheuren Strecken, die sie durchmessen, allein er bleibt fortwährend hell und großartig, von anmuthigen Gestaden umgeben, die hin und wieder sich mit ihm zu den erhabensten Naturdichtungen vereinigen.

Gleich die Einfahrt aus dem trüben wogigen klatschenden Gewässer des untern in den obern Mississippi ist überaus schön. Grünglänzende Uferhöhen, blanke ruhige Fluth mit stillen Inseln, auf den näher gerückten Ufern die Abendfeuer und das goldene Gefunkel der Glühwürmchen winkten uns einladend entgegen. Alton, die Stadt der Voyageurs oder Büffeljäger, sahen wir, als die Lichter darin noch nicht erloschen waren. Hier haben die ehemals in diesen Gegenden so zahlreichen französischen Prairiegänger noch ihren letzten Platz, wo sie in größerer Menge zusammen wohnen. Das sind die abgehärtetsten, verwegensten Bursche auf der Welt, welche ein böses Wort gleich mit Messer und Pistole rächen. Mit Büchse Axt und Decke reisen sie alljährlich bis nahe zu den Felsengebirgen durch die unabsehbaren Ebenen, welche zahllose Büffelheerden durchstampfen. Büffelzungen und Büffelhäute sind die Ausbeute, welche sie zurückbringen, um sich neue Mittel zu Soff und Spiel für den Winter zu erkaufen.

Als ich des Morgens aus der Kajüte trat, lachten mir die entzückendsten Landschaftsbilder entgegen: Spiegelwasser und unzählige grüne Inseln, so anmuthig bewaldet wie Kunsthaine, dann zur Abwechslung prachtvolle blaue Höhenzüge, welche das Gewässer einschlossen, endlich wieder steile Felsen mit lieblichen Wiesenbuchten dazwischen. Auffallend ist das Wasser des Stromes, es hat einen eigenthümlichen dunklen Glanz, wie ich ihn noch in keinem Flusse getroffen. Im Glase ist es durchsichtig wie heller Krystall, im Flusse scheint es wie ein schwarzer Metallspiegel. Die Ufer sind meist einsam, erst dicht vor den Städten wird es lebhafter am Gestade, und Waldungen und Oede nehmen sogleich wieder überhand, wenn dem Dampfboote die letzten Häuser verschwinden.

Die Städte, groß und klein, in den Uferländern des Flusses führen merkwürdige Namen. Bei einem Blicke auf die Karte hat man vor sich das seltsamste Gewimmel von Städtenamen aus allen Ländern und Zeiten. Da paradirt das antike Troja Karthago und Alexandria, das moderne Montebello und Monticello, Florenz und Milano, Lima und Warschau, Frankfurt und Hamburg, Montpellier und Paris, Baltimore und Philadelphia, das alttestamentliche Gilead und Palästina, das indianische Appanoo Oquanka und Comanchee, das ächtenglische Bloomington Burlington und Ashton, der stolze Atlas und Hannibal, sogar die Muse Clio ist vertreten, und dazwischen liegen die ländlichen Taylors Mill (Schneider–Mühle), Greenhill (Grünhügel), Sweethome (Süßheim), Oakdale (Eichthal), Walnut Point (Wallnußplatz). Sicher findet man nur noch in einem preußischen Kavalleriestall solche barocke Namenmengerei.

Im Abenddunkel legten wir vor Quincy bei. Die Stadt liegt oben auf der Uferhöhe, ist voll von Handel und Leben und wächst mit Riesenschritten. Der obere Mississippi hat nur wenige gute Landungsplätze; Quincy erfreut sich eines solchen, hier war daher etwas zu schaffen und zu gewinnen. Die Kaufleute und Händler aller Arten eilten, sobald die Gegend besiedelt wurde, in Menge herbei, in Quincy ihre Schoppen zu bauen, rasche Verbindungen anzuknüpfen und Quincy zum großen Stapelplatz zu machen. Man muß eben aus dem ruhigen Europa in eine solche junge amerikanische Stadt kommen, um ihre außerordentliche Regsamkeit zu merken. Die ganze männliche Bevölkerung ist vom Morgen bis zum Abend auf den Füßen; die Stadt ist nichts als ein unaufhörlicher großer Markt, alles steht und geht zusammen und handelt und rechnet. Die Ideen zu neuen Unternehmungen kreuzen sich blitzschnell, die Politik muß die Handhabe abgeben. Nur der Sonntag ist still, weil man sich dann aus Anstand und Langeweile mit der Religion gerade so beschäftigt, wie die übrigen sechs Tage mit Schaffen und Markten. Kein anderes Volk giebt es, welches so kurzweg im Fühlen Denken und Thun ist: wenig Gedanken, aber jeder Gedanke wird zum Werk, wenig Gefühl, aber jedes Gefühl wird zur That. Auf der Quincywerfte flackerten, ich weiß nicht warum, zwei haushohe Feuer, ihr Wiederschein röthete weithin den Fluß, um sie her stand lachend und lärmend eine Anzahl junger Bursche mit allen möglichen Arten von Hüten und Deckeln auf dem Kopfe. Neger mußten die Feuer anschüren, die ärgsten Witz- und Scheltworte jagten sich mit Flüchen und Gelächter. Das sind die jungen Amerikaner, ungenirtes kühnes Volk; ihre geistige Bildung ist grob zugehauen, aber es brennt ihnen in Kopf und Händen, zu handthieren, zu reisen, zu unternehmen, Fabriken Mühlen Straßen Schiffe zu bauen oder auch Händel anzufangen und Leute niederzuschlagen. Ein Mann mit dem andern, Stadt mit Stadt, Staat mit Staat, alle wetteifern mit einander. Zu allen Dingen haben sie Lust und Geschick, und wo einem etwas Gescheidtes einfällt. gleich wagt er es, mag er gewinnen oder verlieren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III