Abschnitt 4

X.
Auf dem Michigan–, Huron– und Erie–See.


Seltsam aber wurde die Szene, als wir aus der Wasserenge wieder herauskamen, ich meinte auf einer westfälischen Haide zu sein im Frühjahr, wenn der Schnee eben geschmolzen ist, und ringsum weite Wasserflächen sichtbar sind, dazwischen lange Streifen von Schilf und Grasanger. Züge von wilden Enten schwammen und flatterten in großer Anzahl. Wir waren auf dem St. Clair–See, und je weiter wir schifften, desto gefahrvoller wurden die Untiefen. Die Grasbänke streckten sich hin und her, kaum ein paar Fuß mit Wasser bedeckt, ins Fahrwasser hinein; man sah deutlich an den gelben Wasserstreifen, wo sie herstrichen. Die Fahrbahn ist durch Pfähle bezeichnet, die von Strecke zu Strecke eingerammt find, und unser Dampfboot drehte und wand sich zwischen den Untiefen langsam voran. Mannschaft und Reisende waren auf das Vorderdeck beordert. Mehrere Dampfschiffe wurden sichtbar, eines lag still und hatte ein kleines Dampfboot vorgespannt, welches festgeankert war, um sich zu demselben hinzuwinden. Es schwärmen hier immer kleine Dampfboote umher, um die Schiffe wegzubringen, welche sich festgefahren haben. Bis weithin sah man die Fahrstraße durch Dampfschiffe bezeichnet, die langsam eines hinter dem andern herzogen; von weitem schienen sie wie Thürme mit Masten und Segeln. Auch ein plumpes altes Dampfboot lag da vor Anker, dessen Leute in ihren Booten arbeiteten, um Pfähle einzurammen.


Endlich kamen wir wieder in freies Wasser und nun wurde die Fahrt überaus lieblich. Helle warme Sonne, grüne Ufer, und die reinste bald grüne bald purpurne Fluth, auf welcher das Schiff hinflog. Das Wasser war so klar, daß es schien als müßte man tief bis auf seinen letzten Grund schauen, aber unergründlich blieb es immer, es flüsterte nur von den blanken Jungfrauen mit dem feuchten langen Haar in der kristallenen Tiefe. Lange lag ich halbträumend auf dem Verdeck, und das Lied „es blinket der See, er ladet zum Bade, – lieb Knabe bist mein“ tönte mir durch die Seele in lieblicher, Klarheit, wie es einst eine schöne Fran an der Saale gesungen.

Gegen Abend lenkten wir wieder ein in den Ausfluß des St. Clair und legten bei Detroit an, es blieb noch eben hell genug, um die Stadt im Fluge zu besehen. Sie hat viele stattliche Gebäude und Straßen und auffallend viele Kirchthürme. Detroit ist eine der ältesten Ansiedlungen in Nordamerika. Schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde sie von den Franzosen angelegt, diese machten den Platz zum Stützpunkt einer Kette von Forts, durch welche sie von den Seen bis zum Mississippi dem Vorrücken der Amerikaner eine Gränze zu setzen gedachten. Indessen die Ansiedler, geleitet und beschütz von der Ohio–Landkompagnie, drangen durch, und im englisch–französischen Kriege wurden die Franzosen von den Amerikanern aus ihren Forts heraus geschlagen. Im letzten englischen Kriege fiel der wichtige Platz noch einmal in Feindes Hände; General Hull, vor Entsetzen über das Blutbad, welches die Indianer mit Zulassung der Engländer unter der tapfern Besatzung von Fort Dearborn angerichtet hatten, übergab die Festung 1821 ohne Schwertstreich. General Harrison eroberte sie wieder, und sein Nachfolger, der kluge Caß, kaufte damals für einige tausend Dollars eine ausgedehnte Besitzung; die Hälfte derselben ist jetzt Stadtbezirk von Detroit und hat für die Bauplätze ihrem Eigenthümer mächtige Reichthümer eingebracht. Jetzt ist Caß berühmter Senator und bereits als Präsidentschafts–Kandidat aufgetreten. Das Bischen Geschichte, welches sich in solcher Weise an einen Platz knüpft, weiß jeder seiner Bewohner auswendig. Nach der Periode der Kriege mit Indianern Franzosen und Engländern folgte in jeder größern Stadt des Westens die der Landkäufe und Ansiedlungen und darauf die Periode der Spekulationen und industriellen Unternehmungen. Die Bevölkerung von Detroit hat sich in den letzten Jahren über das Doppelte vermehrt, seitdem durch die Eisenbahn, welche von hier quer durch den Staat an den Michigansee führt, Detroit’s Handel und Gewerbe eine rasch steigende Ausdehnung gewannen. Die Werk- und Lagerhäuser der Eisenbahn, sowie die Lasten von Mehl und Kupfer, welche täglich darin auf Weiterversendung abgeliefert werden, sind außerordentlich groß. Das Kupfer kommt vom Obern See, wo es in reichlicher Fülle lagert. Nachdem die unsinnigen Spekulationen, welche auf die Ausbeutung dieses Kupferreichthums anfangs gemacht wurden, zerstoben sind, werden die Minen am Obern See jetzt mehr planmäßig bearbeitet. Man findet dort ganze Blöcke reinen Kupfers, wirft aber noch immer die nicht stark kupferhaltigen Erze unbenutzt auf die Seite. An Bergwerkskunst ist auch dort nicht zu denken, man kennt nicht viel mehr als gewöhnliches Hacken nach Metall. Von dem Leben am Obern See erzählte man aber nichts Angenehmes. Streitsucht unter den Arbeitern, rauhes Klima, dürftige Wohnungen und theure Lebensmittel.

Als ich am fünften Morgen dieser Seefahrt mich auf dem Erie umschaute, hielt unser Dampfschiff gerade auf das Land zu, und ich sah nicht weit vom Ufer ein paar nackte runde Bäume mit merkwürdig geraden Aesten aus dem Wasser ragen. Als wir näher kamen, waren es die Maste und Rahen eines gesunkenen Schooners. Ein noch vor Kurzem belebtes Fahrzeug so hülflos in den Wellen liegen zu sehen, ist ein trauriger Anblick, wie ein Mensch im Todeskampfe. Etwas weiter auf dem flachen Hochufer lag die aufstrebende Stadt Cleaveland. Eine große Anzahl Deutscher hat in ihr seine Heimath gefunden, wie dies in allen Plätzen der Fall ist, welche an den großen Straßen nach dem Westen liegen. Den Einwanderern geht unterwegs das Geld aus, sie müssen sich wieder etwas verdienen wo sie gerade sind, und bleiben dann sitzen.

Das Wasser des Eriesees hatte nicht mehr die schöne und tiefgrüne Farbe, wie der Huron- und Michigansee, jener soll auch nicht so tief sein. Drei Staaten, Ohio Pennsylvanien und Neuyork, theilen sich in sein südliches Ufer. Von Cleaveland lief mit uns zugleich ein anderes Dampfboot aus. Auf der Höhe des Sees hielten sie ein wenig an, um ihre Kräfte zu rüsten, und nun gab es ein tolles Wettrennen. Alles auf dem Schiffe gerieth in Bewegung, die Räder schnaubten, die aufgewühlten Wogen brauseten im Fluge vorbei, Spritzwellen schäumten über den Schnabel des Schiffs, und es war ein Halloh, ein Treiben und Drängen, als sollte das Schiff augenblicklich sich in die schäumenden Fluthen begraben: unwillkürlich wurde man von der Aufregung mit fortgerissen. Man muß die Amerikaner in solchen Wettkämpfen sehen, Um zu lernen, wie Wetteifer und Bewegung durch und durch ihr Leben sind. Selbst viele Frauen wichen nicht vom Verdeck, obgleich das Schwanken des Schiffs sie öfter hin und herschleuderte. Beide Dampfboote blieben aber fast immer in gleicher Entfernung von einander, erst am Nachmittage wendete das andere zum Ufer und ließ uns ruhig weiter fahren. Wir erreichten indessen, weil noch mehrmal unterwegs angelegt wurde, das Ende unserer Fahrt, Buffalo, erst am andern Tage.

Buffalo ist die Beherrscherin der Seen und durch Eisenbahnen und Kanäle mit dem Meere und mit Neuyork, der Welthandelsstadt, verbunden. Der ganze Nordwesten der Vereinigten Staaten hat hier den Platz, nach welchem er die Waaren bringt, welche zum Meere und nach dem Süden der Staaten sollen, und wo er wiederum die Waaren empfängt, welche sich über den Nordwesten vertheilen, deshalb ist in beiden Häfen ein Gewühl von Dampfbooten Schoonern und Kanalböten. Die Eisenbahn dazu schüttet aus und empfängt täglich lange Züge von Menschen und Waaren. Zwischen diesen drei Mündungen des Verkehrs eilen fortwährend hin und her zahllose Gepäckkarren Reisende und Einwanderer. Ein Tag in Buffalo an diesen drei Plätzen zugebracht, giebt einen Ueberblick über die ungeheure Ausdehnung und Schwungkraft des amerikanischen Binnenhandels, so wie über das merkwürdige Gemisch der jetzigen amerikanischen Bevölkerung. Am Kanale, wo recht die Irländer hausten, traf ich einmal auf ein fast südliches Volksbild. Auf der Hafentreppe sang und redete ein lustiger Alter aus dem Stegreife, umgeben von einem Schwarm lachender und jauchzender Burschen. Auf der Menge der hier zusammengedrängten Boote, auf den Brücken und am Ufer lagen standen arbeiteten halbgekleidete Männer rings umher, dazwischen schrieen die Buben ihre Zeitungen und Pfirsiche aus. Neger und Farbige mit ihren rollenden Augen wurden bei Seite geschoben. Frauen waren nicht zu sehen, die große Mehrzahl bestand aus jungen Burschen. Der Amerikaner sieht immer wieder mit Freude auf diese Masse unternehmender frischer Leute, die sich fühlen, kräftig arbeiten, aber auch frischweg genießen, ein Volk, das blos für die Jugend und für die Gegenwart lebt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III