Abschnitt 3

X.
Auf dem Michigan–, Huron– und Erie–See.


Es standen reichlich fünfzig Indianerhütten, großen Bienenkörben ähnlich mit Matten Rinde und Häuten bedeckt, im Halbkreise am Ende der Bay auf dem Uferrande, fast von den Wellen bespült, dabei eine Menge Kanoes; darin und davor wimmelte es von schwärzlichen Gestalten, groß und klein, stehend rennend sitzend liegend. Die Männer nachlässig oben mit Röcken und Jacken, unten mit Gürtel Beinhöschen und Mocassins versehen, standen oder lagen in Gruppen bei einander, rauchend, sonst bewegungslos; ich mußte unwillkürlich an heruntergekommene norwegische oder sächsische Bauern denken. Am Halse trugen sie Münzen und Schaustücke, in den Ohren allerlei Gebimmel, einer hatte auch durch die Nasenwand einen ehrbaren weißen Hornring auf die Lippen hängen. Kinder und Buben waren fast ganz nackt. Die Mädchen saßen beisammen, recht hübsch in blaue Jacken und Schürzchen gekleidet, und kicherten und ließen die rastlosen Augen umher glitzern; ihr Gespräch hört sich allerliebst an, wenn man auch kein Wort davon versteht. Die Frauen waren, wie indianische Frauen immer, plump und schrecklich häßlich, sie verrichteten vor den Hütten höchst ungenirt häusliche Geschäfte, einige streckten sich am Boden und ließen die Kleinen trinken. An der vollständigeren Kleidung bemerkte man die Reicheren, die Aermeren hatten nur eine Decke um. Es waren Mackinaws, von dunklerer Farbe als die Winebagos. Sie waren hergekommen, um ihren Zins von der Regierung zu holen, Geld Decken und Lebensmittel. Noch mehrere andere lagerten außerhalb des Städtchens. In allen Häusern sah man die dunkeln Gestalten. Ihr Geld wurde ihnen für allerlei Tand und Whisky von den Weißen rasch wieder abgenommen. Die offenbarste Geringschätzung legte jedermann gegen sie an den Tag, der Indianer empfindet es bitter, aber er duldet lautlos. Ich hörte manchen Fluch darüber, daß die Regierung solchen rothhäutigen Taugenichtsen noch Geld gebe, welche nichts zu des Landes Anbau und Verbesserung damit anfingen. So wie auch diese Gegend sich mehr bevölkert, werden die traurigen Reste von einst zahlreichen Völkerschaften auf die öden westlichen Prairien geschickt, um dort langsam zu verkümmern, wie Hunderttausende ihres Stammes vor ihnen.


In den Häusern der Weißen war ein Gemisch von allerlei Völkerarten. In dem sogenannten Gasthause machten Neger die Aufwärter – Mulatten rasirten – Indianer drückten sich in den Ecken und an den Thüren umher – mehr vor wagten sich die Halfbreeds oder Mischlinge von Indianern und Weißen, – canadische Pelzjäger und Holzfäller sprachen ihr schlechtes Französisch mit einander – die lederbekleideten amerikanischen Hinterwäldler saßen schweigend zusammen und spieen ihren Tabak – an einem Tische rauchten und tranken Soldaten vom Fort, welche nur deutsch sprachen – das Englische blieb die allgemeine Umgangs- und Geschäftssprache. Ich stieg die fast baumlose felsige Anhöhe zum Fort hinauf; es hatte nicht blos Pfahlwände sondern Mauern, und über seine Blockhäuser erhob sich der bekannte viereckige Auslug- und Schießthurm, der in keinem dieser Forts fehlt. Vom Kanonenhügel übersah man die malerische Bay, die Brandung und die fernen Inseln. Die Hälfte der Besatzung bestand aus Deutschen, welche hier recht eigentlich ihre Zeit todtschlugen und für die fünf Jahre ihrer Kapitulation ein ganz verlorenes Leben führten.

Am Nachmittage setzte unser Dampfboot seine Reise fort, und wir kamen um die Landspitze von Michigan herum und in den Huron–See hinein. Dieser obere Theil des Staates Michigan ist noch immer nur spärlich besiedelt. Die Landspekulanten thun ihr Möglichstes, hier auf Kosten der Einwanderer Geld zu machen, aber die Ansiedelung schreitet dennoch langsam vor. Im Innern ziehen sich noch ungeheure Tannenwaldungen hin, unerschöpflich an vortrefflichen Masten. Die gegenüber liegende Kanadaseite ist noch weniger angebaut. Halbrohe Jäger Holzfäller und Landbauer von kanadisch–französischer Abkunft, faule trunksüchtige Irländer, freie Neger, welchen auf ihrer Flucht durch die Vereinigten Staaten von den Abolitionisten bis hieher durchgeholfen wird, mischen sich unter die landbauende und noch wenig zahlreiche städtische Bevölkerung.

Der Huron–See ließ sich freundlicher an; das Wasser wurde spiegelglatt, der Abend wärmer, und bald streute der Mond sein flüchtiges Silber über das schlafende Gewässer. Die milde Luft, der Sonnenuntergang und die Abendröthe, welche am Himmel und im See in allen Farben flammte, waren Ursache, daß wenigstens diesen Abend mehrere der jüngern Damen auf das oberste Verdeck kamen, die ältern blieben in der Damenkajüte wie eine Reihe trockener Stockfische an die Wand gestellt. Eine der jüngern Damen, eine Dichterin wie es schien, sah mit unbeschreiblichem Schmachten der scheidenden Sonne nach und sagte mir; es mache sie gar zu traurig, auf den unabsehlichen Gewässern ohne das Licht und die Majestät der Sonne zu sein. Ich übersetzte ihr tröstend das Stückchen von Heine:

Mein Fräulein, sei’n Sie munter,
Das ist ein altes Stück,
Hier vorne geht sie unter
Und hinten kommt sie zurück.

Jeder verständige Deutsche hat in seinem Vaterlande wohl einmal etwas auszustehen gehabt von schmachtenden Mädchen, aber diese amerikanischen sind erst recht lauter Duft und Spinnwebe. Empfindsamkeit grundlos wie das tiefe Meer scheint bei zahlreichen Amerikanerinnen ein stehender Toilettenartikel, der auf das zierlichste polirt wird. Das Aergste ist eben, daß die meisten es blos der Mode wegen thun und insgeheim immer die Wirkung berechnen. Wenn ihre Psyche sich aufschwingen will wie ein zarter Schmetterling, vergißt sie niemals ein paar Dollars in die Tasche zu stecken.

Als ich den nächsten Morgen aufwachte, stieg dicht neben dem Schiffe eine herrliche Seelandschaft auf mit Felsen Nadelgehölz und einigen Hütten, wie es schien. Ich war betroffen darüber, jetzt ein winterliches und zwar ein Gebirgsgestade zu finden, sah aber bald ein, daß es nur Wolken und Luftspiegelung waren. Das Gebilde erbleichte bald wieder, dann aber schien es, als tauchten in weitester Ferne hellschimmernde Thürme und Kuppeln über dem Wasser auf. Auch das verschwand, und nun kam auf der andern Seite die wirkliche Küste mit Hochwald hervor; als wir uns eben etwas wieder entfernten, nahm sich der Wald aus wie Rohrgebüsch. Die Gestade bieten auf einer Fahrt über die Seen fortwährend leere Reize, entweder sieht man sie gar nicht oder nur auf einer Seite niedrig in der Ferne. Die Erhöhungen bestehen meist aus Sanddünen, welche an dem entgegengesetzten Ufer des Staates Michigan jedoch eine Höhe von mehreren hundert Fuß erreichen sollen. Dagegen bringen die scharfe reine Luft, der weithelle Wasserspiegel, der unaufhörlich wechselnde Wind, Sonne Wolken und Nebel hier die wunderbarsten Luftbilder hervor, so täuschend, als wäre es wirkliches belebtes Gestade. Auch das klare Wasser wechselte, je nachdem Wolkenschatten darüber hinflogen oder die Himmelsbläue sich darin spiegelte, zwischen dem hellsten und dunkelsten Grün bis zum blauen purpurrothen und schwarzen, und wo die Sonnenstrahlen scharf darauf fielen, glitzerte und schimmerte es wie von tausend Juwelen.

Gegen Mittag fuhren wir in den St. Clair–Fluß hinein. Kanada und der Michiganstaat treten sich hier nahe gegenüber, nur geschieden durch den St. Clair–See mit seinem tiefen Einfluß aus dem Huron–See und seinem Ausfluß in den Erie–See. Ebenso haben der Obere und der Michigan–See ihren engen Auslaß in den Huron und der Erie durch den Niagara in den Ontario, bis der St. Lorenzstrom ihr Gewässer in den Ozean führt. Nach den öden Wasserflächen war die Einfahrt in den Strom zwischen den grünen lebhaften Ufern doppelt erfrischend. Unter den zerstreuten Waldstücken nahmen sich die hellweißen Häuser höchst anmuthig aus. Den Eingang bewachen auf der amerikanischen Seite Fort Gratiot, auf der englischen Fort Edward, dann kamen niedliche Städtchen auf beiden Seiten, und auf der amerikanischen eine fortlaufende Reihe von Blockhäusern, auf der englischen die kleinen Franzosenhäuser, gebaut wie die in St. Louis, nur ohne Vorhallen und Hütten, vor denen hin und wieder Indianer saßen und Indianerbuben kreischend umhersprangen. Die englische wie jede andere Regierung behandelt die armen Indianer menschlich, während fast jeder Amerikaner sich benimmt, als hätte er etwas von dem alten finstern Puritanerhasse gegen „die gottverfluchten Heidensöhne“ in sich eingesogen. Auch dem Mildherzigsten scheint der Hauptwerth der wilden Naturkinder darin zu bestehen, daß sie zur Dekorirung seiner früheren Geschichte dienen. Auf der Kanadaseite hielten ein Herr und eine Dame ein Wettrennen, eine gute halbe Stunde lang blieben sie neben dem Schiffe, welches auf der Strömung schnell dahinschoß, die Dame mit wehendem Schleier immer ein paar Pferdelängen voraus. Dann erschienen wieder Inseln, hinter denen das hellgrüne Wasser durch die Bäume schimmerte, Vorsprünge auf welchen Ortschaften ins Wasser hinein traten, Schooner und Dampfschiffe, eine Menge von Kähnen, üppiges Vieh auf den Weiden, Möven und Fischadler über das Wasser streichend, kurz, obgleich ohne Felsengestade waren es doch lebhafte herrliche Uferbilder.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III