Abschnitt 2

X.
Auf dem Michigan–, Huron– und Erie–See.


Auf unserm Dampfboote herrschte ein freundlicher Ton, nicht das frostige hochvornehm sein sollende Wesen, wie in den Prunksälen der Dampfschiffe des Ostens. Man sprach sich an, machte Bekanntschaften und saß mitunter bis in die Nacht im ruhigen Gespräch zusammen. Feine Wäsche zeigte sich dagegen seltener als im Osten, wo sie den Ankömmling so sehr zu Gunsten der Amerikaner einnimmt. Dagegen ließ sich manche alte Lederhose blicken, Männer rauh und stämmig wie Eichen. Immer aber erinnerte die kupfrige Farbe, das straffe schwarzglänzende Haar, die Schweigsamkeit und der kuriose Geschmack dieser starren Hinterwäldler an Indianernatur. Ueber Anstand und Manieren jener Hinterwäldler aber konnte kein Mensch sich beklagen. So manche unangenehme Manieren die Amerikaner auch noch haben und so manche Zickzack–Idee in ihrem Geschmacke noch festsitzt, so läßt sich doch mit Gewißheit behaupten, daß kein anderes Volk in seiner Gesammtheit so viel Trieb und Fähigkeit entwickelt, nationale Unarten sich abzugewöhnen und in Pausch und Bogen vornehm zu werden.


Am Morgen war der See noch hell und glatt und nichts zu sehen als die weite Wasserfläche. Auf dem Meere scheint das Schiff, auf welchem man selbst ist, in einer Vertiefung zu segeln, während rings sich das Gewässer bis zum Horizont erhöht; hier auf diesen Seen bleibt es eben wie ein Tisch. Gegen Mittag erhob sich ein schärferer Wind und sogleich wurde das Wasser rauh und dunkel, das Schwanken des Schiffes ging ins Unbehagliche über, und die Seekrankheit kam in besten Flor. Ueberall auf dem Schiffe gab es verzerrte Gesichter, unsichern Gang, Stöhnen und noch mehr widerwärtige Töne mit ihrer gewöhnlichen Begleitung. Die aufwartenden Neger waren aber mit ihren Wischern rasch hinter drein, Verdeck und Säle immer blank zu halten. Die Aerzte schicken manchen Kranken auf diese Seen, um sich durch die Seekrankheit den Magen zu kuriren. Den Schoonern, welche zahlreich auf dem See waren, behagte dagegen das stürmische Wetter; mit vollen Segeln flogen sie an uns vorbei, und es sah hübsch aus, wie diese schlanken Fahrzeuge vor dem Winde dahinglitten. Die Segelschiffe auf den Seen lagen mit den Dampfschiffen im offnen Kampfe, als diese aufkamen und ihnen die beste Fracht entzogen. Noch jetzt weicht ein Kapitän mit seinem hübsch gezimmerten Boote dem groben Schooner aus wo er kann, denn er kann darauf rechnen, daß dieser sich nicht besonders darum kümmert, ihn niederzurennen und sammt Fracht und Passagieren in die Fluthen zu stürzen. Man erzählte, daß die Schooner häufig in der frechsten Absicht auf die Dampfschiffe losgesegelt seien und sie in den Grund gebohrt hätten. Der Beweis des bösen Vorsatzes ist dann schwierig zu führen, immer soll der leidige Zufall Schuld des Unglücks gewesen sein.

Gewaltthätigkeiten solcher Art sind bekanntlich in Amerika nicht selten. Es giebt da wohlgeordnete Banden, welche in allen Städten, unter allen Ständen ihre Helfer und Hehler haben und wohldurchdachte Raubzüge im Großen anstellen: bald machen sie sich hier bald dort in größerer Stärke merkbar. In den jungen Leuten ist keineswegs immer eine solche innere Bildung und tiefere Sittlichkeit, welche sie anhaltend zu edleren Gedanken durchgeistigt. Verhältnißmäßig wenige erheben sich über die gewöhnliche amerikanische Kaufmannsbildung, selbst junge Aerzte und Anwälte kommen dem Europäer oft nur wie Handlungslehrlinge vor. Diese jungen Männer suchen rasche rohe Genüsse, und stolz und entschlossen wollen sie sich dieselben auf die eine oder andere Weise verschaffen. Trotz aller Energie und Achtung vor sich selbst ist Armuth dennoch das Schlimmste, was eine amerikanische Familie betreffen kann, und ihr zu entgehen greifen Viele ohne Bedenken zu entsetzlichen Mitteln.

Das Wetter blieb den ganzen Tag trübe und das Verdeck mit dichten Wolken umhangen, als befände man sich mitten auf stürmischem Meere. Wir durchschnitten den See und legten am Abend an der Manitu–Insel an. Diese war von den Indianern als Geisterwohnung gefürchtet, wahrscheinlich weil die Luftspiegelung hier manchmal Festungen Wälder und streitende Heeresmassen erscheinen läßt. Es sah auch an diesem Abend etwas spukhaft auf der Geisterinsel aus. Am Ufer standen tief im Flugsande nur ein paar alte Bretterhäuser, eine ziemliche Strecke weiter unten hoch am rauschenden See flackerte ein rothes Feuer; ich tappte im Dunkeln hin und fand eine Hütte von Laub und Rasen, aus welcher ein zottiger wilder Hund mir entgegensprang.

Ich kehrte wieder zu meiner Lektüre zurück, zu der ich gegriffen hatte, um den trostlos trüben Tag zu vertreiben. Bei dem Abfahren der Dampfboote aus den großen Städten bringen schreiende Knaben mit den Zeitungen auch einen Korb voll Novellen Flugschriften und Gedichte, und man versorgt sich daraus für die Reise. Es ist in manchem Stück solcher amerikanischer Unterhaltungsliteratur, welche für den täglichen Verbrauch geschrieben wird, etwas Negerphantasie; alle Grazien würden, wenn sie diese Blätter wüster Sinnlichkeit aufschlügen, entsetzt davon fliehen. Eine Menge anderer Unterhaltungsschriften trägt dagegen das offene Gepräge scheuer Sitte und Zurückhaltung, sie bewegen sich meist um häusliche und religiöse Gefühle, führen dem Leser sehr viel rechtliche Gedanken zu und sehr wenig Geist und Wärme. Schriften der letztern Art stammen gewöhnlich aus jener großen Gesellschaftskette von Erziehungsdamen, deren Glieder sich über alle Staaten der Union verbreiten. Ich war diesmal besser gefahren und hatte ein eben erschienenes Buch über Washington’s Privatleben bekommen.

Daß dieser darin zu einem Halbgotte, dem Cäsar und Alexander, Napoleon und Wellington das Wasser nicht reichen könnten, daß seine Mitkämpfer zu Titanen gemacht waren, ließ sich nicht anders erwarten. Die kindliche Achtung der Amerikaner vor den Gründern ihrer Größe ist rührend, aber unangenehm ihr Mangel an Geschichtskenntniß und das ewige Paradiren mit ihrer eigenen großen Tugendhaftigkeit. Ich fand in dem Buche aber auch anziehende Charakterzüge seines Helden. Washington lebt mit Recht in jedem Herzen dieses Landes als der ideale Ausdruck der amerikanischen Größe. Selten bestand in einem Manne ein solches Ebenmaaß des Charakters wie in Washington. Er war ein guter Hausvater von trefflichem Verstande und edler Herzensgüte, ohne Ehrgeiz und Leidenschaft als für seines Landes Wohl, in Selbstbeherrschung der größte Amerikaner, daher ein standhafter Mann wenn alle andern verzweifelten, und was seine Ehrlichkeit betrifft, so war sie klar wie der stille Mond. Ein Glück für ihn und das Land, daß er kein Genie war. Washington bezwang die Stürme im Felde wie in der Politik durch kluges Zuwarten, sowie durch Zugreifen sobald sich ein Vortheil zeigte. Sein Alter wie seine Jugend war nach altamerikanischer Lebensweise streng geregelt. Als ihn bereits der höchste Ruhm überstrahlte, sagte ihm seine alte Mutter auf einem Balle, der ihm zu Ehren gegeben wurde, ganz einfach: „Komm, Georg, es ist neun Uhr, wir müssen nach Hause gehen.“ Dieselbe Mutter sagte Lafayette, als er bei seinem zweiten Besuche in Amerika Washington hochpries, ebenso einfach: „Ich wunderte mich nicht über das was Georg that, denn er war immer ein guter Junge.“ Nicht leicht ist einem Menschen ein so glückliches und angemessenes Leben geworden, als Washington. Ernst und tüchtig erzogen, wurde er von seinen Mitschülern wegen seiner Treue und Bescheidenheit geliebt; schon vom sechszehnten bis siebzehnten Jahre zeichnete er sich aus und ward täglich mehr anerkannt; bis zu seinem dreiundvierzigsten Jahre lebte er in glücklichen Familienverhältnissen auf seinem Gute und war in den Landesversammlungen thätig. Darauf war er bis zum einundfünfzigsten Jahre Oberfeldherr, und es krönte ihn Ruhm und Erfolg. Nach dieser höchstbewegten Zeit folgten wieder ruhige Jahre, die er auf seinem Landgute in angenehmer Thätigkeit und in Unterhaltung mit seinen Kriegsgefährten zubrachte. Nun wurde er acht Jahre Präsident und beruhigte während dieser Zeit das aufgewühlte Volk. Endlich starb er friedlich in seiner Familie und lebt unsterblich im Andenken aller Völker als einer der besten Menschen. –

Der zweite Morgen auf dem See lachte wieder freundlich über das helle Wasser, wir fuhren jetzt zwischen grünen Inseln. Ich sah in ihre dichten Wälder hinein und dachte daran, wie oft ich als Knabe beim Lesen der Abenteuer der französischen Pelzjäger und der Huronen mich in diese nördlichen Gegenden gewünscht hatte, da wendete sich das Schiff, und nicht wenig überrascht erblickte ich einen Platz, ganz so, wie ihn damals meine Einbildung sich aufbaute. Eine halbrunde grüne Bay mit schäumender Brandung an ihren Waldspitzen, am Wasserrande Indianerhütten, dahinter hübsche Häuschen und Baracken, und darüber Felsenhöhen und ein Fort darauf mit weitglänzenden Kanonen und wehender Fahne. Fort Mackinaw ist für den europäischen Reisenden sicher der belohnendste Punkt auf diesen Seen. Der Kapitän legte hier einen halben Tag an, ich weiß nicht warum, wahrscheinlich hatte er einen Handel zu machen; mir hätte er keinen größeren Gefallen thun können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III