VI. Von besondern Gewohnheiten gewisser Wismarschen Bürger und Einwohner.

Zu den Gewohnheiten, von welchen jetzt die Rede, gehören die ehemaligen Leibrenten, welche in einigen Jahren an andern Orten ziemlich bekannt wieder geworden, und darin bestanden, auch noch bestehe, daß Leute, so lange sie gelebt, gewisser Gelder wegen besondere Renten genossen, und auch noch jetzt genießen, dergleichen Leib-Renten haben im Jahre 1299 Herr Dietrich Bürgermeisters Wittwe und ihr Sohn unter andern, in Wismar schon genossen; im Jahre 1300 hat jetztgedachte Wittwe für sich, ihren Sohn und Tochter noch mehr Leibrenten gekauft; eben dergleichen hat im jetztgedachtem Jahre Gerhardus v. Tribusees für sich, seine Frau und vier Kindern gethan; im Jahre 1313 haben es Diedrich Hosick und N. Madzav ebenso gemacht und zwar für eine Frau in dem H. Geist etc.

Es gehört auch hieher das ehemalige Vogel- und Scheibenschießen, von welchem ersteren in alten Urkunden von 1379 sich schon etwas findet. Nemlich es haben damals, und zwar in der Pfingstwoche gemeiniglich alle Jahr die von der Papagoien-Gesellschaft vor dem Lübschen Thor, dahin die Träger allemal die Vogelstange fahren müssen, den Vogel abgeschossen. Wenn dieses geschehen sollte, haben die Gesellschaftere, neben den ganzen Rath, in dem Compagnic-Hause sich eingestellt und sich in folgender Ordnung nach den Schießort begeben. 1. Haben zwei Bürgermeister-Diener einen aufs Beste geschmückten Knaben auf einem Pferde geführt, 2. Haben die Herren Bürgermeister den König begleitet, hierauf ist 3. der ganze Rath gegangen, nach diesen zwei Schaffer, die den also genannten May-Grafen mitten inne gehabt, und darauf haben 5. die gesammten Glieder der Gesellschaft den Schluß gemacht. Im Jahre 1610 hat man das Vorreiten des Knaben abgeschafft. Wenn man mit dem Schießen fertig gewesen, hat sich die ganze Gesellschaft nebst ihren Frauen in dem Compagnie-Hause wieder eingefunden und sind von dannen, erstlich die Männer (da die Bürgermeister abermals den neuen König geführt), hernach die Frauen, ja einige Gesellen und Jungfrauen, nach dem Thiergarten vor dem Alt-Wismarischen Thor gegangen. Hier haben zwei Jungfern dem neuen König den gewonnenen silbernen Becher präsentirt. Hierauf hat man getanzt, da denn der neue König, nebst dem alten, sammt drei Bürgern und vier Gesellen, nebst so vielen Frauen und Jungfrauen, den ersten Tanz gethan. Den andern Tanz hat der May-Graf mit seinen Zugeordneten gehalten. Im Jahre 1562 hat man die Zahl der Frauen, die zum Tanz hinausgegangen, kleiner gemacht. Im Jahre 1612 wird zuerst bei dem Schießen, der Röhre gedacht, auch ist damals dem Könige zweimal mehr, als Andern, zu brauen erlaubt worden. Des Tags nach dem Schießen hat der neue König seine Krude (oder Gasterei) geben müssen, welches im Jahre 1379 nichts mehr gewesen, als eine Tonne Bier oder Mumme und Kuchen mit Engefer. Der Musikanten Lohn ist damals gewesen 4 ßl., des Zusagers Lohn 3 ßl. und etliche Pfennige Handgeld auf’s folgende Jahr. Im Jahre 1609 und 1612 hat man mit Krabben und Eierkuchen, (welches einige anfangen wollen) zu traktiren verboten. An dem Tage, wo der neue König traktirt, hat man einen neuen May-Grafen; (wer der eigentlich gewesen, oder was er gethan, ist jetzt unbekannt) auf’s folgende Jahr solenniter erwählet, der nach dem König allenthalben der vornehmste im Spiel gewesen. Dieß Vogelschießen ist vermuthlich 1630 oder in der Kaiserlichen Zeit abgekommen, und ist an dessen statt 1682 das Scheibenschießen vor dem Lübschen Thor, und schon vorher das Vogelschießen der Cramer-Compagnie vor dem Alt-Wismarischen Thor, wieder aufgekommen, da denn Ihro Königl. Maytt im Jahre 1681 sqq. dem, der König werden würde, unter anderer Gnadenbezeugung, ein Prämium von 100 Rthlr. verehren lassen, und hat dieses Schießen in der noch alten bekannten Ordnung bis 1713 gewährt.


Noch ist eine besondere Gewohnheit in Wismar, 1. daß die Raths-Musikanten wöchentlich, an gewissen Tagen des Mittags um 10 Uhr, sich von dem Rathhause hören lassen, 2) daß eben diese jährlich, auf Neujahr, in den Häusern eben dergleichen thun, da ihnen dann ein Jeder, nach seinem Gefallen, etwas zum Neujahr verehrte. Neben diesen sind 3) in Wismar die sogenannte Curen oder Thürmer an St. Marien - und an St. Nicolai - Kirche, welche an gewissen Tagen des Abends um neun Uhr und des Morgens, wenn es Tag werden will, einige Verse aus einem Liede, von den Thürmen blasen, und muß der zu St Marien alle Nacht auf seinem Thurm Wache halten, ja alle Stunden sich melden, daher er der Thürmer genannt wird. Der zu St. Nicolai pflegte zuweilen in der Woche des Mittags um 11 Uhr einige Verse abzublasen. Damit auch diese, eine kleine Zugabe, zu ihrer sonst sehr schlechten Besoldungen haben möchten, so ist es 4) eine Gewohnheit in Wismar geworden, daß diese jährlich vier Mal, als auf Martini, Weihnachten, Neujahr, und hl. Dreikönige auf den Gassen, oder vor den Thüren blasen, da ihnen ein Jeder etwas nach seinem Belieben reichen läßt.

Was ehedessen in dem hiesigen Bürgerhause jährlich auf Weihnachten für Händel betrieben werden, ist jetzt nicht mehr zu erfahren, so viel hat man indessen vernommen, daß selbige im Jahre 1544 als unanständig oder ärgerlich abgeschafft worden. Vielleicht gehört dieses zu einem Spiel, der sogenannten Wismarischen Rinckführer, von welchen jetzt auch weiter nichts bekannt, als nur der bloße Name. Ebendas muß man bekennen von der Rennbahn, welche ehedem vor Wismar gewesen, desgleichen von dem sogenannten heil. Christ, oder Kindlein-Jesus-Spiel, dessen Abschaffung man dem sel. Herrn D. Lochnern zu danken. Dies hat nachgehende wieder einschleichen wollen, ist aber 1723 bei 14tägiger Gefängnißstrafe mit Wasser und Brod im Quaden Keller verboten worden. Das jährliche Reiten nach dem Crantz, welches die Bauknechte in der Pfingstwoche allemal anzustellen pflegen, ist etwa im Jahre 1735 auch scharf verboten und man hat von der Zeit an, nichts weiter gehört, noch gesehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kurze Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar