Klopstocks Verlobung und Liebesleben

So leicht Klopstock in seinen verliebten Träumereien, wenn er an schönen Punkten in der Nähe Friedensburgs rastete, es sich vorgestellt hatte, gleich nach seiner Ankunft in Hamburg seine Verlobung mit Meta feiern zu können, so viele und unerwartete Schwierigkeiten musste er doch besiegen, die ihm aus den pfahlbürgerlichen Ansichten derjenigen Mitglieder der Moller'schen Familie erwuchsen, die das entscheidende Wort zu sprechen hatten. Es herrschte nämlich damals viel mehr Pfahlbürgertum in Hamburg, als heutzutage. Alles, was jenseits der Stadtmauern Hamburgs lag, hatte für die ehrbaren Bürger und Bürgerinnen etwas höchst Unbehagliches, Bedenkliches, Unheimliches. Wie die Griechen und Römer die Welt einteilten in Griechen und Römer, d. h. gebildete Menschen, und Barbaren d. h, rohe, ungastliche Völkerschaften, mit denen man zu stolz war, Blutsverbindungen einzugehen, so teilten auch die Hamburger die Welt in zwei große Hälften, in „Hamborger“ und in „Butenminschen“. Da Klopstock nun das Unglück hatte, zu den „Butenminschen“ zu gehören, so musste er sehr viele Bedenklichkeiten besiegen, die ihm, wenn ich mich so ausdrücken darf, aus seiner Exterritorialität erwuchsen. Wie zähe dieser Begriff von „Butenminschen“ festgehalten ward, ersieht man daraus, dass selbst Klopstock, der mit seinem Ruhme damals ganz Deutschland erfüllte, und den zu ihrem nahen Verwandten zu zählen, jede Familie mit Stolz erfüllt haben würde, einen nicht leichten Kampf mit diesen Vorurteilen zu bestehen hatte. Der „Butenmisch Klopstock“ war der Mutter Metas anstößig, obgleich sie vor seiner Dichterbegabung und seiner persönlichen Würdigkeit die größte Hochachtung hegte. Hätte sie selbst seine Messiade nicht gelesen gehabt, so würde ihr Klopstocks Bedeutsamkeit doch aus der Verehrung einleuchtend geworden sein, mit der die sonst so wenig enthusiastischen Hamburger ihm während seiner Anwesenheit genaht waren und nach seiner Entfernung von ihm sprachen. Als Klopstock im Moller'schen Hause speiste und mit Meta, wie wir bereits erzählten, so angelegentlich sich unterhielt, dass er alles, was ihn umgab, gänzlich darüber vergaß, so hatte er Maronen, die er auf seinen Teller gelegt, im Eifer des sehr lebhaften Gespräches zerbröckelt, aber nicht davon gegessen. Gleich nach seiner Entfernung legte Meta die zerbröckelten Makronen auf einen porzellanenen Teller und zeigte lange nachher den sie besuchenden Personen, wenn sie nicht allzu hausbacken waren, diese Klopstock'schen Reliquien. Die Besuchenden betrachteten die zerbröckelten Maronen meist mit einer Andacht, wie gläubige Katholiken einen Nagel von dem Kreuze Christi oder einen Zahn des heiligen Petrus. Die der Moller'schen Familie befreundeten Personen durften als große Gunst eine Prise von diesen durch Klopstock's Hand zerbröckelten Maronen mit nach Hause nehmen. Wenn, trotzdem Metas Mutter Anfangs Bedenken trug, ihre Einwilligung zur Verlobung ihrer Tochter mit Klopstock zu geben, so kann man daraus ermessen, wie sehr der „Butenminsch“ ihr anstößig war.

Zu dem „Butenminschen“ kam allerdings als zweites gewichtiges Bedenken Klopstocks Stand als „Dichter“ hinzu. Ein Dichter hatte in den Augen der Mutter Metas und des Moller'schen Familienrates etwas gar zu Unsolides. Klopstock würde demnach mit seiner Bewerbung wahrscheinlich gescheitert sein, wenn ihm nicht seine Stellung in Dänemark eine gewisse Solidität verliehen hätte. Wir müssen deshalb dem edlen nordischen Könige, außer dass er den Messiasdichter vor dringenden Nahrungssorgen bewahrte, auch noch dafür danken, dass er unserm Klopstock die Verlobung mit Meta, die so viele Schwierigkeiten fand, durch die ihm verliehene Pension ermöglichte.


Endlich siegten also über die Bedenklichkeiten des Moller'schen Familienrates der Ruhm Klopfstocks, seine hochachtbare Persönlichkeit und die gesicherte Lebensstellung, deren er sich durch die Gnade des Königs von Dänemark erfreute.

Welch' eine wunderbar süße und schöne Zeit begann jetzt, als die durch Muttersegen geweihte Liebe in zwei Herzen keimte und knospte, in Herzen, die bestimmt waren, sich für alle Ewigkeiten einander anzugehören.

Liebende sollen für dritte Personen die langweiligsten Menschenkinder sein. Wir hoffen, dass unsere geehrten Leser von dieser These Klopstock und Meta gegenüber eine Ausnahme machen und es durchaus nicht langweilig finden werden, wenn wir das Glück, den Jubel, die Begeisterung zu schildern versuchen, die die Brust unseres Liebespaares durchwogten. Vor einem heidnischen Entzücktsein, dass sie nämlich über ihre irdische Liebe den Himmel, über das Geschöpf den Schöpfer vergessen hätten, davor bewahrte Klopstock wie Meta ihr reiner christlicher Sinn. Inmitten des Jubels über das ihnen gewordene Erdenglück hob sich ihr dankbarer Blick zu dem Geber alles Guten, und ihr unsterblicher Geist malte sich mit innigster Wonne die Seligkeit aus, wenn sie, nach Abwerfung ihrer irdischen Hülle, in den Wohnungen des Jenseits, gesichert gegen jede Trennung, den Winken des Königs der Könige lauschten im freudigsten Gehorsam.

Kaum war Klopstock durch das Jawort der Mutter Metas nach mehreren in großer Aufregung zugebrachten Tagen beruhigt, so beeilte er sich, seine nächste Pflicht zu erfüllen, nämlich seine Eltern, Verwandten und Freunde von dem ihm gewordenen namenlosen Glücke in Kenntnis zu setzen.

Wie Klopstock darin ein echter Bräutigam war, dass er dem Gegenstande seiner Liebe kosende Namen gab, ersehen wir aus einem seiner Briefe an Cramer, und zwar aus dem, in welchem er seinen Freund mit dem glücklichen Ereignisse seiner Verlobung bekannt macht. Wir finden da, dass er Meta schon umgetauft hat und sie Clärchen nennt, wahrscheinlich weil dieser Name seinem Ohr süßer und trauter klang. Nach unserer unmaßgeblichen Meinung hätte er den Namen „Meta“ beibehalten und ihn durch keinen andern ersetzen sollen. Wie es uns bedünken will, ist Meta reichlich so wohltönend, wie Clärchen. Doch Klopstock dachte anders, und Meta ließ sich bei ihrer Liebe ein Umtaufen ohne allen Widerspruch gefallen. Also Klopstock schrieb über seine Verlobung an Cramer, und der Name „Clärchen“, den er seiner Meta gibt, kann für die geehrten Leser nach der vorausgegangenen Erklärung nichts Auffallendes mehr haben. Er berichtet nun:

„Ich wusste es gegen das Ende des vorigen Jahrs ganz gewiss, dass ich mein Clärchen liebte, und hatte es schon nicht lange nach der Zeit, da ich Sie vor einem Jahre verließ, sehr zu empfinden angefangen, diese Empfindungen sehr oft in Briefen nicht ganz unverraten gelassen — endlich nicht mehr verschweigen können (ja, hierzu gehörte nun, dass Sie die Briefe läsen, von denen ich nur im Vorbeigehen sagen will, dass wirklich die Sevigné eben so schön geschrieben haben würde, wenn sie in ihrer Jugend an einen, den sie liebte, geschrieben hätte) endlich nicht mehr verschweigen können; — — — und hierauf (seit dem Dezember 1751) war ich zwar nicht ganz ohne Hoffnung; und diese Hoffnung, weil sie mir so oft und mit so vielem Rechte sehr ungewiss vorkam, so war sie mit allen Schmerzen der Liebe, sogar bis einige Tage nach meiner Ankunft begleitet. — — —“

Klopstock, der sich in der ersten Zeit seiner Verlobung fast gar nicht von der Geliebten seines Herzens zu trennen vermochte, schrieb diese Zeilen in Metas Zimmer, was wir aus folgender scherzhaften Stelle seines Briefes entnehmen können:

„Und was soll ich denn nun weiter schreiben, mein süßes, süßes Clärchen? Sagen Sie mir's. Denn unser lieber Cramer sitzt da und möchte gar zu gern noch mehr wissen. Sagen Sie mir nur ein Paar kleine, kleine Worte, was ich nun weiter schreiben soll?“

Wahrscheinlich hatte Klopstock neckend Meta aufgefordert, doch auch einige Worte an Cramer zu schreiben, denn wir sehen, wie sie zur Feder gegriffen und dem Briefe Klopstocks folgende Stelle eingefügt hat:

„Klopstock will haben, dass ich es Ihnen selbst sagen soll, mein lieber Cramer, dass ich ihn in der kurzen Zeit, da er es weiß, dass ich ihn liebe (denn ich habe ihn wohl schon viel länger geliebt), dass ich ihn aber auch in der kurzen Zeit schon sehr in der Liebe übertreffe.“

Jetzt waren sie zu dem großen Streite gekommen, der immer zwischen Brautpaaren gekämpft, aber selten entschieden wird, da Anfangs die Gefühle und Empfindungen Beider, falls nicht Konvenienz das Band knüpfte, gleich innig und gleich heiß sind, zu dem Streite nämlich, ob der Mann oder die Frau tiefer und hingebender liebe. Dass Klopstock sich in Bezug auf Liebeskraft und Liebesglut von Meta nicht besiegt erklären wollte, finden wir sehr begreiflich, da er sie wahrscheinlich ganz mit derselben Innigkeit, wie sie ihn, umfasst hielt. Entzöge sich die Liebe, eben weil sie immateriell und himmlischer Natur ist, nicht jedem irdischen Maße, wäre demnach Klopstocks und Metas Liebe nicht völlig unwägbar gewesen, so würde sich herausgestellt haben, dass der Bräutigam der Braut und die Braut dem Bräutigam nichts schuldete. Wir finden es deshalb sehr natürlich, wenn Klopstock gegen das Übertroffenwerden in der Liebe, wie Meta behauptet hatte, sehr entschieden Verwahrung einlegt und sich über diesen Punkt folgendermaßen auslässt:

„Übertreffe! Was das Mädchen sich zu sagen untersteht! Das ist eben der große Streit unter uns (nämlich einer, worin ich immer Recht behalte), dass ich in der Liebe unübertreffbar bin. Aber das Mädchen denkt, weil es Clärchen heißt, so darf es sich Alles herausnehmen, was ihm nur einfällt. Ich will es schon dafür wieder kriegen, dass es so verwegen gewesen ist, das erste Mal, da es an Sie von mir geschrieben hat, so etwas mit Ihnen zu schwatzen.

Doch jetzt will ich es wieder mit Ihnen tun. Wie glücklich bin ich nun, wie sehr glücklich, und Das schon seit einem Monat! „Einen ganzen Monat hinter einander glücklich!“ Ich kann mich kaum darein finden. Aber Das tut ihm nichts, wenn ich's nur bin. Weiter kann ich Ihnen nichts sagen. Die volle Freude hat eben so wenig ihren ganzen Ausdruck, als der volle Schmerz. Wenn Sie so mit allerhand kleinem Putzwerke der Freude vorlieb nehmen wollen, so kann ich wohl noch ein Bisschen mit Ihnen schwatzen. Soll ich Ihnen sagen, wie mein Clärchen all sonst noch heißt? Ich will von unten herauf steigen. „Mein Mädchen — Babet — Clinchen — (und dann eine Menge Beiwörter zu Clärchen) meine Clarissa — meine Geliebte — (hier kommt's besonders auf den Ton an) und zuletzt, was Alles wieder zusammen nimmt: „Meine Moller!“

In unserem ehernen Zeitalter, das wir nicht das goldene nennen dürfen, obgleich alle Welt dem Moloch des Goldes opfert, in unserem Zeitalter, wo Verstand und Reflexion Herz und Gefühl gänzlich bei Seite geschoben haben, in unserem ehernen Zeitalter ist es vielleicht bedenklich und ruft ein mitleidiges Achselzucken hervor, wenn wir unverklausuliert eingestehen, dass diese Liebeslaute Klopstocks und Metas, so tief, so innig, so aus vollster Brust ertönend, uns sehr wohl getan und dass wir ihnen gern gelauscht haben. Mag immerhin ein ungesunder und jedenfalls in dieser klugen und berechnenden Zeit unkluger und unpraktischer Born von Sentimentalität in unserm Busen quellen, wir sind nicht geneigt, ihn verschütten oder dazu abgraben zu lassen, dass er Gold wasche und sich in den verlockenden Dienst der Geister der Tiefe begebe. Wo wir einer reinen, wahren, himmelsentsprossenen Liebe begegnen, da quellt und wogt es mächtig in unserer Brust, da ist es, als möchten wir aus unserem Herzen einen reinen, silberhellen Strom entsenden und in ihm eine glückliche, grünende Insel aufsteigen lassen, auf dass dort das jugendliche, unschuldige Paar Hymens Fackel entzünde und nicht von der Gemeinheit der sie umgebenden Welt zu leiden habe. Ja, reine, echte, wahre Liebe hat für uns etwas Heiliges, weil sie göttlichen Ursprungs ist.

Die reine Liebe Klopstocks und Metas stand unter dem Schutze der Gottheit und kein neidischer, misstönender Klang der profanen Außenwelt störte die Frühlings Melodien, die, gleich dem jubelnden Geschmetter der Lerche, aus zwei beglückten Menschenherzen als Dankesopfer zu dem Throne des gütigen Weltenlenkers emporwallten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Klopstock und Meta