Über die Kaufleute der Hansezeit

Ein namenloser Zisterzienser aus Schlesien, der seine Erfahrungen in dem seinem Kloster Leubus benachbarten Breslau gesammelt haben mag, greift den Kaufmann des 14. Jahrhunderts ingrimmig in schlechten Versen an:

„Item mundi mercatores
Qui sunt nisi fraudatores?
Semper fallere pretendunt,
Sive emunt, sive vendunt.
Deum sanctosque periurant
Et mentiri parum curant.
Quando boni nummi vadunt
Statim eos igni tradunt,
Et quod manet pagamentum,
Scarra est et non argentum.
Sic confundunt mundum totum,
Istud est ubique notum.
Pondus, numerus, mensura,
Simul omnis mercatura,
Sic per eos sunt infectae
Quod vix unus agit recte.


Spricht aus diesen Versen die sichtliche Entrüstung eines durch trübe Erlebnisse Gewitzigten, so lässt sein rheinischer Ordensbruder Caesarius von Heisterbach zwei kölner Kaufleute neben anderem zwei Sünden beichten, „quae in se valde sunt magna, licet propter usum mercatoribus maxime parva videantur et quasi nulla, mendacium scilicet atque periurium. Domine, inquiunt, pene nihil possumus emere, nihil vendere, nisi oporteat nos mentiri, iurare et saepe periurare“.

Ähnliche Zornesausbrüche oder Vorwürfe ließen sich unschwer aus allen Sitten, in erdrückender Fülle aus dem 16. Jahrhundert zusammenstellen. Abgesehen von dem moralisierenden Eifer der Sittenprediger, gelangt in ihnen der Klassenhass des verarmenden Ritters aber auch die Meinung des kleinen Mannes zum Ausdruck. Betrug und Warenverfälschung aller Art — namentlich beim Weinhandel, wie in unsern Tagen — Unredlichkeit und Wucher, sie werden dem Kaufmann im allgemeinen wie Einzelnen im besonderen vorgehalten. Ja, Erasmus von Rotterdam fasst sein Verdammungsurteil in die Worte zusammen: „die Kaufleute sind die törichteste und schmutzigste Menschenklasse“. Weiter konnte die Missachtung nicht gehen. Die kaufmännischen Zeitgenossen des großen Humanisten werden hoffentlich sich über seinen einsaitigen Ausfall ebenso getröstet und vielleicht selbst gelacht haben, wie ihre Vorgänger über die oben angeführten. Denn so gewiss die Beschuldigungen in vielen Einzelfallen berechtigt gewesen sind, der Kaufmannsstand im ganzen erhielt bereits in hansischer Zeit den Ehrentitel der Ehrbarkeit, und die kaufmännische Ehre blieb allen Anfeindungen gegenüber ebenso unversehrt wie die Unbescholtenheit des Standes*). Dazu lehren Handelsbriefe und Handelsbücher, Handelsgesellschaften und kaufmännisches Kreditwesen übereinstimmend, dass in den kaufmännischen Preisen ein ganz außerordentliches Vertrauen obwaltete, welches nur aus Redlichkeit und Ehrlichkeit beruhen und nur bei dauernder Herrschaft von Treu und Glauben sich erhalten konnte. Vor allem aber zeugt für den Kaufmann die Stellung, die er allenthalben in seiner Vaterstadt einnahm und mit Erfolg ausfüllte. Die unbesoldeten Ehrenämter der Bürgermeister und Ratsmannen waren im hansischen Bereich allgemein den Augehörigen kaufmännischer Betriebe vorbehalten. Die Würden gewährten keineswegs nur Vorteil und Genuss, aber ihr Besitz legte die Leitung der äußeren und inneren Geschicke der Städte in die Hände von Männern, welche ihre Mitbürger in der Tat an Weite des Blickes und Sicherheit des Urteils überragten.

Denn man vergegenwärtige sich nur, welche Ausgaben der mittelalterliche Kaufmann im Gegensatz zum Kleinbürger zu bewältigen hatte. Neben Warenkunde, Rechenkunst und Buchführung musste er Sprachen beherrschen, die Rechte, Zölle, Straßen, Münzen und Gewichte der Lande kennen, in die sein Handel ihn führte, Art und Weise der Menschen erkunden, mit denen er geschäftlichen Verkehr pflegte, denen er sein Hab und Gut anvertraute. Vieles konnte er davon nur auf Reisen erwerben, und diese erweiterten zugleich seinen politischen und geistigen Horizont, lehrten ihn mit Fürsten und Herren verkehren und nicht zuletzt auf eigenen Füßen stehen. Die einzelne Persönlichkeit gelangte da ganz anders zur Entfaltung und zum Bewusstsein ihrer selbst, als es in dem Banne der heimischen Zunftstuben möglich war, und sie setzte heimgekehrt auch daheim sich durch.

Entstehung und Blüte der Hanse waren das Ergebnis schwerer und andauernder Arbeit: geleistet und geleitet hat diese vorzugsweise der Kaufmann.

*) Von den zahlreichen Ordnungen der Hanse wie der Einzelstädte, welche die Auswüchse und Unregelmäßigkeiten des Handels bekämpfen, kann ich hier absehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse