Tod und Erbe

Wir können uns heute schwer eine Vorstellung davon machen, wie arg der Gedanke an den Verbleib der Seele nach dem Tode aus dem mittelalterlichen Menschen gelastet, und wie stark die von der Geistlichkeit mit Vorliebe ausgemalten Schrecken des Fegefeuers auf ihn eingewirkt haben. Der Hinweis, dass gute Werke, Seelenmessen, Fürbitten Dritter, milde Stiftungen, Schenkungen an Kirchen und dergleichen mehr die Dauer des peinvollen Leidens nach dem Tode abzukürzen imstande, fiel unter diesen Umständen auf einen überaus empfänglichen Boden. Bedachte man nun bereits bei Lebzeiten um des Seelenheils willen gern Arme und Aussätzige, sammelnde Nonnen und Mönche und nicht zuletzt auch die Pfarrer und Vikare, so traf man vollends für den Todesfall zahlreiche Verfügungen zu milden Zwecken und zugunsten der Kirche. Ja in kindlich naiver Weise hoffte man sogar, für sich Gnade zu erlangen wenn man Summen aussetzte, damit Fremde gegen Entgelt barfuß Wallfahrten unternähmen oder auch außerhalb der Fasten sich des Genusses von Fleisch enthielten. Man ersparte sich selbst derart Mühen und Entbehrung und lastete sie gegen Bezahlung Dritten auf in der Hoffnung, dadurch rascher zu den Freuden des Himmels zu gelangen. Gewiss lassen sich aus den Testamenten viel Züge schöner und werktätiger Menschenliebe anführen, und der Fürsorge für Gesellen und Lehrlinge, für arme Verwandten und Angehörigen ist bereits oben gedacht, aber voransteht durchweg die einen allerdings selbstsüchtig anmutende Sorge für das persönliche Wohlergehen im Jenseits.

Im Einklang damit ist es auffallend, wie häufig die Kinder geradezu benachteiligt werden durch das Übermaß der Vergabungen, und wie wenig, man kann fast sagen gar nicht, der Erhaltung des eigenen Geschäfts gedacht wird. Der Erwerbstrieb, die auri sacra fames, war ganz ohne Frage zu allen Zeiten vorhanden, und er hat jeden tüchtigen Kaufmann beseelt, aber der Sinn für ein dauerndes, auf die Nachkommen zu vererbendes Wachstum und Gedeihen der eigenen Handlung — der Firma, würden wir sagen —, war in den hansischen Kreisen der älteren Zeit nach den Testamenten zu urteilen in sehr geringem Umfang ausgebildet. Gerade die Männer, welche ihren Wohlstand der eigenen Arbeit und Tüchtigkeit zu verdanken hatten, sorgen testamentarisch am ehesten dafür, dass ihre Kinder womöglich ebenso von vorne anfangen mussten, wie sie selbst es getan. Ein Zug, der gegenüber den klagen über die parteiische Beschaffenheit des städtischen Regiments nicht außer Acht zu lassen ist. — Im Laufe des 15. Jahrhunderts tritt hierin allerdings ein bemerkbarer Umschwung ein, dennoch dauert das Vorwiegen der Rücksichtnahme auf das eigene zukünftige Wohl auf Soften des Wohles der Kinder an bis in das 16. Jahrhundert*). Eine Geschichte des Familiensinnes findet in dieser Hinsicht in den kaufmännischen Testamenten reichlichen Stoff.


Nahte sich die Stunde des Scheidens, so ließ ein Jeder, der von ihr nicht überrascht wurde, die Gnadenmittel der Kirche und die Sterbekerze sich reichen. Die bildlichen Darstellungen von Sterbeszenen veranschaulichen regelmäßig beides. Dagegen scheint die Sitte des Johannistrunkes am Sterbelager, welche den Wunsch des Wiedersehen, versinnbildlicht, nur in Mitteldeutschland üblich gewesen zu sein. Das Begräbnis erfolgte meistens bereits am

*) Franz Wessel setzte noch 1565 ein Testament mit sehr reichen Gaben auf und erklärte, scholde yk ok syn sone Hans missen, so sollten doch die Armen genug haben.

Tage nach dem Hingang und auch bei ihm griff der Luxus im Laufe der Zeit immer mehr um sich. Die Obrigkeiten mussten schließlich allerorten der unnützen Pracht und dem Pomp bei Überführung der Leiche in die Kirche, beim Seelenamt und der Bestattung *), bei den Totenmessen am 7., 30 und am Jahrestage, und vor allem dem Aufwand bei den Totenschmäusen entgegentreten. Auch bei diesem Anlass waren es vornehmlich materielle Genüsse, welche den Hinterbliebenen über den Schmerz hinweghelfen sollten.

Wer es vermochte, ehrte jedoch das Andenken an den oder die Heimgegangenen durch ein Denkmal, Schild oder Grabstein, Sei es in der Kirche sei es auf dem Kirchhof. Auch mit diesen Zeichen der (Erinnerung wurde viel Verschwendung getrieben**) und die Räte schritten vielerorten dagegen ein. Wir Nachfahren sind indessen in diesem Falle unsern Vordern dankbar, dass sie das Gesetz nicht beachtet haben. Wir würden die Fülle an prächtigen älteren Denkmälern, welche so viele unsrer Kirchen in hansischen Städten schmücken, nur ungern missen. Die Platten und Steine sind nur zum Teil heimische Erzeugnisse, aber sie lehren, dass der hansische Kaufmann neben dem Geschäft auch die Kunst zu schätzen wusste.

„Adieu eerdsche state,
Adieu melodie,
Je moet myne strate,
Ghedinct miins Marie!“


*) Beiläufig sei bemerkt, dass der Gebrauch des Sarges erst im 16. Jahrhundert von den oberen zu den niederen Kreisen des Volkes vorgedrungen ist. Die Leiche wurde in der Regel ohne Sarg zur Erde bestattet. Vgl. die Darstellungen von H. Burgkmair, wieder abgebildet bei Schultz, Das Leben, S. 441. Franz Wessel dagegen ließ sich 1549 bei Lebzeiten einen Sarg anfertigen und neben seinem Bette aufhängen; 21 Jahre vor seinem Tode! Er scheint darin gleichfalls Tonangeber der Mode in Stralsund gewesen zu sein.

**) Thomas Murner geißelt sie in seiner Narrenbeschwörung nicht übel:


„Mancher hat vil grosser acht
Wie er im ein grebnis macht
Und wendt so grossen kosten an
Den grabstein muss er hoven lon
Das hündlin muss zuo füssen ston“ usw.


So lautet der Abschiedsspruch auf einer der schönsten unter allen erhaltenen Grabplatten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse