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Das kann ja mal passieren, daß einer einen über den Durst trinkt. Nachbleiben kann das aber auch. Nötig ist es nicht; der Mensch braucht nicht so viel zu trinken, bis er überläuft. Darin bin ich mit den wilden Frauen einverstanden, die hier an der Arbeit sind und wollen das Land trockenlegen. Aber mit der Art, wie sie das Trinken abschaffen wollen – ne, damit bin ich nicht einverstanden. Hier hatte sich auch mal ein Dutz von der Sorte zusammengetan. Sie wollten unsre Stadt trockenlegen und eine Temperenzstadt daraus machen. Aber es ist ihnen nicht geglückt, denn sie kamen an den Unrechten.

Da war ein Saloonkeeper, den baten sie vom Himmel bis zur Erde, er sollte seine Trinkstube schließen. Sie stellten sich vor seinem Hause auf. Sie beteten und sangen für ihn. Es half nicht. Da bedrohten sie ihn mit allen Höllenstrafen. Endlich sagte er: Na, wenn es denn nicht hilft, dann muß ich es ja wohl tun, denn in die Hölle will ich nicht. Aber wenn ich euch den Gefallen tue, dann müßt ihr mir einen wiedertun. Nur einen ganz kleinen. Wollt ihr das? – Ja, sagten sie, das wollten sie gerne tun. Schön, sagte er, dann zieht mal fix eure Schuhe aus und zeigt mir mal eure Strumpfhacken! Da liefen sie alle davon und sind ihm nicht wieder vor sein Angesicht gekommen. Nein, ein Temperenzland wie Kansas wird Iowa wohl so bald nicht werden. Dazu sind hier zu viel Deutsche. Ich bin auch nicht für viel Trinken, lieber für wenig. Aber wenn ich einen Menschen sehe, der viel Umgang mit Trinkwasser hat und immer ein Glas nach dem andern in sich reintüppt, dann wachsen mir bloß vom Zusehen Frösche im Bauch.


Wir sind hier beinahe immer gesund gewesen. Dafür können wir Gott nicht genug danken. Denn wenn Wieschen oder ich so mitten im Busch zusammenklappte – ne, daran mag ich gar nicht denken. Zum Doktorholen war das auch viel zu weit. Hier muß die Natur sich selbst helfen. Wenn sie mal flau macht, dann muß man die Zügel kurz nehmen und sie wieder in Trab bringen. So zehn Jahre zurück, da mußte ich auch mal zum Doktor. Ich tat es nicht gern. So ein Doktor riecht mir zu sehr nach dem Kirchhof. Na, zur Strafe dafür ist mein Ältester selbst einer geworden. – Ich hatte mit großer Hartleibigkeit zu tun, was sonst nicht meine Sache ist. Hausmittel schlugen nicht mehr an. So gab er mir was mit. Er sprach: Das nimmst du ein; das hilft. – Es half nicht. Ich wieder hin. Er sprach: Hast du laufen gemußt? – Nein, es ging nicht. Dein Mittel war zu schwach. – Was? Zu schwach? Und du hast nicht laufen gemußt? Schämst du dich gar nicht? Das war doch eine Portion, wo ein Präriebüffel das Laufen nach kriegen mußte. Na warte, dir will ich das Laufen beibringen. – So gab er mir noch eine Portion, und damit hat er mir das Laufen denn auch richtig beigebracht. Anderthalb Dollars mußte ich bezahlen. Na, der Medizinmann will auch leben, und nicht schlecht. Sonst kriegen sie von uns Farmern auch nicht allzu viel zu besehen.

Da sind manche, weißt du, wie die das machen? Die machen das so. Sie heben alle Medizin auf, die übrigbleibt, und das brauchen sie oft noch ein Jahr später und bei einer ganz anderen Krankheit. Johann Klüß sein Brauner hatte ein schlimmes Bein. Das wollte und wollte nicht besser werden. Der Doktor gab ihm was zum Einreiben. Es half. Ein halbes Jahr später kriegte er selbst Wehtage im Fuß, und was tat der Kerl da? Er verbrauchte den Rest für sich, und denk dir mal! Er sagte: Das hat mir wiß und wahrhaftig geholfen.

Aber ein ganz dolles Stück war es, was Smith machte, den ich mal verkonfirmiert habe. Der war es. Der holte für seine Frau was zum Einreiben gegen die Gicht im Fuß. Den Rest hat er selbst zwei Jahre später gegen Husten eingenommen, wo er doch soviel Geld dafür bezahlt hatte. Na, das war ein Smith, und die Sorte ist dumm, soweit sie warm sind in ihrem Fell.

Einmal habe ich auch eine Gewaltkur gemacht. Aber es war in der Not und ist gnädig abgelaufen. Mein Ältester war sechs Jahr. Er kriegte es mit der Diphtherie. Wir hielten es bloß für Halsentzündung. Wir dachten: Das wird sich wohl wieder geben. Als wir es richtig merkten, da war es zu spät. Ich jagte zum Doktor. Er ritt gleich mit mir. Er untersuchte den Jungen. Er zog die Schultern. Er sagte: Da wird nichts mehr zu machen sein. Du hast mich zu spät geholt. Ich lasse dir ein Mittel hier. Du kannst es ja versuchen, aber helfen wird es wohl nicht mehr. Da ritt er hin. Es was Nacht, und die Lampe blakte. Ich stehe am Fenster und gucke in die Nacht hinaus. Ich bete. Wieschen weint. Der Junge röchelt. Er kann keine Luft kriegen. Er wird blau im Gesicht. Mir kommt ein Gedanke. Ich denke: Der Doktor hat ihn aufgegeben; so kannst du das Letzte versuchen. Schaden tun kann das dann auch nicht mehr. Ich gieße eine Kaffeetasse voll Petroleum, und damit hat er gegurgelt. Eine ganze Zeit hat er das getan. Dann kam alles schwarz heraus, was auf der Zunge und im Halse lag – alles ganz schwarz. Da konnte er wieder Luft kriegen und wurde nicht mehr blau im Gesicht. Man bloß hinten im Hals war noch lange Zeit alles roh. Das Petroleum hatte alles zerfressen. Den Belag hatte es aber auch weggefressen. Da hab ich wieder zum Fenster rausgeguckt und noch ein paar Wörter mit dem lieben Gott gesprochen. Wieschen hat noch ein bißchen geweint. Dann sage ich: Wieschen, zu Bett gehn mag ich nicht mehr. Ich will man lieber nach dem Vieh sehen. Du leg dich man ruhig auf den Schaukelstuhl und nimm noch ein Auge voll. Der Junge schläft.

Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, es gibt hier sonderbare Kuren. Drei Winter zurück besuchte ich einen Landsmann in Michigan. Der Sohn hat auch auf den Doktor studiert. Aber er ist Kneifdoktor. Er hatte nur zwei Menschen zu kneifen. Die Leute glauben noch nicht so recht an ihn. Er kneift die Leute, und davon werden sie gesund. Er kneift sie bei lebendigem Leibe. Eine Stunde lang kneifen, das kostet zwei Dollars. Als Jungs machten wir das untereinander und umsonst. Ich wollte es auch mal probieren. Ich dachte mir Kopfschmerzen aus. So fing er an zu kneifen. Das gefiel mir. Das machte Spaß. Aber man zu Anfang. Als er in die Gegend der kurzen Rippen kam, da kam er nicht weiter. Da bin ich aufgesprungen und rausgelaufen. Es hat zu doll gekettelt. Er ist um seine zwei Dollars gekommen. Aber sein Junge spielte draußen. Dem hab ich fünf Cents gegeben und gesagt: Dor köp di ‘ne Kauh för! Wieschen hat seiner Frau nachher einen Schinken geschickt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer