Abschnitt 3. Als der Tag vorüber war, da kam ein anderer, der war gerade so stürmisch. Der Hamburger mit der Kips kuckte wieder über Bord. ...

Als der Tag vorüber war, da kam ein anderer, der war gerade so stürmisch. Der Hamburger mit der Kips kuckte wieder über Bord. Da ging die Kips auch hin. So setzte er einen Käppel mit Troddel auf. Der war blau und weiß gekringelt als wie Busackers Großvater seiner, und so kamen wir in Grimsby an. Der Zollmensch paßte schon auf. Er sprach: Was hast du in dem Krug? Ich sprach: Da hab ich Rum in, daß ich nicht auf der See sterbe. Er sprach: So mußt du einen Schilling Zoll bezahlen. – Ne, das tu ich nicht. – Das tust du doch: sonst kommst du hier nicht durch. Ich sprach: Hoho, das sollst du gleich sehen. Als ich das gesagt hatte, da goß ich ein paar Finger breit hinter die Binde, und die andern nahmen den Rest. Siehst du, sagte ich, nun mußt du uns doch durchlassen. Was man im Bauch hat, da gilt kein Zoll. Er schalt mächtig, aber wir lachten uns, und er mußte uns durchlassen.

Dann fuhren wir mit der Eisenbahn nach Liverpool. Jungedi, das ging, als ob wir noch vor der See sterben sollten. Der Hamburger mit dem Käppel steckte den Kopf zum Fenster raus. Da ging der Käppel auch hin. Siehst du, sagte ich, warum hast du den Käppel nicht eine Nummer größer genommen! Nun kommst du in bloßen Haaren in Liverpool an. Was die wohl sagen, wenn sie dich sehen. Der Dömitzer hatte Geld und fuhr mit dem Dampfschiff. Ich hatte kein Geld und mußte dableiben, denn ein Segelschiff ging man alle zwei Wochen. Aber ich habe in der Zeit viel gesehen und auch was gelernt und dritthalb Taler dazuverdient.


Endlich kam das Schiff, und als ich es besah, siehe, da war es alt und wackelig, und ich dachte: Wenn dieser verolmte (vermoderte) Kasten nach Amerika kommt, dann ist das Gottes Wille. Rum hilft hier auch nicht mehr. – Auf dem Schiff waren bei vierhundert Menschen, meist Irländer. Die Lebensmittel wurden gleich auf dem Deck verteilt: ein Pfund Zucker, ein Pfund Tee, den hatte ich schon bei euch gesehen, aber im Munde kannte ich ihn noch nicht. Weiter ein Pfund Reis, ein Pfund Kornmehl, ein Pfund Pökelfleisch, ein Pfund Kringel und Zwieback. Der war so hart, den mußten wir erst mit dem Hammer entzweischlagen. Welche haben es auch mit dem Stiefelhacken getan.

Die Irländer wußten von allem Bescheid und hatten sich kleine Beutel mitgebracht. Ich wußte von nichts Bescheid und hatte mir keinen Beutel mitgebracht. So hielt ich meinen Hut hin. Da schütteten sie alles hinein. Was nicht reinging, das fiel vorbei. So steckte ich die Taschen auch noch voll. Auch bekamen wir jeden Morgen ein Quart Wasser für den Durst. Wer sich andrängte, kriegte eine Tracht Prügel. Die Irländer wußten damit schon Bescheid und hielten still. Ich wußte damit nicht Bescheid und hielt nicht still. Ich rakte man bloß so ‘n bißchen mit dem Arm durch die Luft. Da lag der Küchenknecht am Boden. Aber es ist mir schlecht bekommen. Das nächste Mal ging er an mir vorbei, und mein Hut blieb leer.

Die Küche war mitten auf dem Deck, an beiden Seiten eine Tür. Da an der Tür mußten wir unsere Blechtöpfe mit Reis, Kornmehl, Tee oder Fleisch hinsetzen. Dann gingen wir rum und warteten an der andern Tür, bis sie wieder rauskamen. Wer in die Küche reinkuckte, bekam was mit dem Besenstiel. So lernten wir die richtige Hausordnung kennen. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, in der ersten Zeit lernten wir die Hausordnung oft kennen. Da hatten wir uns noch nicht an das Hungern gewöhnt.

In der Küche war nur ein eiserner Ofen: dreimal drei Fuß, dazu vierhundert Töpfe. Die sahen sich im ganzen ziemlich gleich. Das ist so die Gewohnheit bei den Blechtöpfen. Da wurde viel gestohlen, und mein Pfund Fleisch hab ich immer gleich roh aufgegessen, bloß daß ich erst die größten Würmer rauspulte. Denn im Magen konnte es mir keiner stehlen. Einmal hatte ich wieder zwei Tage gefastet, und dann kam der dritte Tag. Da wurde mir mein Topf wieder gestohlen. Da dachte ich: In zwei Tagen nichts mehr, und am dritten wieder gestohlen – das ist nicht auszuhalten. Von der Ehrlichkeit wird hierzulande kein Mensch satt, und mit dem siebten Gebot verhungerst du noch vor New York. So nahm ich den ersten Topf, der herauskam, und aß den Reis auf. Den leeren Topf warf ich über Bord. So hatte ich das von den andern gesehen. Auch hab ich einmal einem polnischen Juden sein Schweinefleisch roh aufgegessen, denn ich dachte: Das ist gegen seinen Glauben. Aber Hunger hatte ich auch grade.

War mein Topf mal warm geworden, so fühlte ich mich glücklich. In siebzehn Tagen ist er man dreimal auf dem Ofen gewesen. Es hatte nicht gekocht, aber es roch doch nach der Küche und war warm. Die Reise dauerte sieben Wochen und zwei Tage, und vom achtzehnten Tage an hatte ich Glück. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, daß der oberste Koch einen Küchengesellen hatte. Der wurde krank. Der Kapitän war Doktor und Apotheker zugleich. Das mußte damals so sein. So fragte der Kapitän ihn: Was fehlt dir? Er weiß es nicht. Der Kapitän sagt: Wo tut es dir weh? Er weiß es nicht. Der Kapitän betrachtet ihn. Er denkt nach. Er weiß es auch nicht. Er denkt döller nach. Da weiß er es. Er sagt: Ich will dir Nr. 13 aus dem Medizinkasten geben. Er geht hin. Nr. 13 ist alle. Der Gesell stöhnt am ganzen Leibe. Der Kapitän hat ein mitleidiges Herz an sich. Er denkt: Du mußt dem Menschen doch helfen, denn er gehört zu deinen Schiffsleuten. Nr. 13 ist alle. So mischt er Nr. 6 und Nr. 7. Das gibt auch Nr. 13. So geschah es. Was geschah weiter? Ich will es dir erzählen. Der Küchengesell kriegte von Nr. 13 einen Durchfall, der reichte vom Schiff bis nach New York. Aber der Kapitän war froh, daß er an Nr. 13 nicht gestorben war, und der Gesell brauchte nachher keine Arbeit mehr zu tun. Er brauchte bloß am Leben zu bleiben. Das hat er denn auch getan.

Es war da auf dem Schiff ein Franzosendoktor. Dem sein Großvater war Leibarzt bei Napoleon gewesen. Aber mit seinem Namen hieß er Weber. Er hatte einen mächtigen, großen Kopf, einen kaffeebraunen Überzieher und ein Maul – na, dachte ich, wenn er sich damit man nicht mal aus Versehen die Ohren abbeißt. Er aß für drei. Er trank für sechs. Er log für zwölf. Der sprach: Der Kapitän hat den Küchengesellen vergiftet. Ich sprach: Halt dein Maul, Franzosendoktor. Du mitsamt deinem Großvater, ich wollt euch nicht an meinem Bett haben, wenn ich mal krank wäre und noch gern leben wollte. Der Kapitän ist ein braver Mann, und wenn du noch mal ein Wort von Vergiften sagst, dann nehme ich dich zwischen meine Klammern und fertige Beefsteak aus dir an. Da klappte er seinen Mund zusammen und ging davon.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer