Abschnitt 2. Da stand ich auch still und sah zurück und sprach zu mir: Jürnjakob Swehn, du bist den Weg schon mehr als fünfzigmal gegangen. ...

Da stand ich auch still und sah zurück und sprach zu mir: Jürnjakob Swehn, du bist den Weg schon mehr als fünfzigmal gegangen. Aber heute ist es anders als sonst. Wo dir das wohl gehen wird im fremden Lande. Da sind vor dir schon viele in ein fremdes Land gewandert, und ihre Spuren hat der Sand verweht. Und Jakob auch, als er nach Haran zog, wie du uns in der Schule gelehrt hast. Mich soll man bloß wundern, ob ich auch zwei Kuhherden vor dem Stock habe, wenn ich zurückkomme. Wenn’s auch man bloß eine ist wie Karl Busacker seine zwölf Stück. Aber Jakob brauchte auch nicht über das große Wasser. – Als ich das gedacht hatte, sagte ich zu meinem Sack: Nun komm man wieder her! So ging ich weiter. Das war 1868. Ich war neunzehn Jahre alt, und am 20. Juli sollte ich von Hamburg gehen.

Mit meinem Sack auf dem Rücken ging ich in Hamburg ins Auswanderungshaus, weil die auch was verdienen wollten, und einen Krug voll Rum mußte ich auch vom Wirt kaufen. Er sagte, sonst tät ich auf der See sterben, und sterben wollte ich nicht, denn ich war neunzehn Jahre und wollte nach Amerika. – Die andern waren auch schon da, meist mit Frachtwagen. Die lagen voll von Kisten und Säcken, und obenauf die Menschen: über dreißig Familien und viele Einschichtige. Die meisten waren aus unserer Gegend. Dann noch Hochdeutsche und ein paar Ausländer. Im Auswanderungshaus war kein Platz mehr. So lagen wir im Gang auf Kisten und Säcken, und die Schlesier sangen ein Lied, wie Kolumbus die Kartoffel nach Deutschland brachte:


Kolumbus war ein braver Mann,
Der vor zweihundert Jahren kam
Von Deutschland nach Amerika
Und suchte die Kartoffel da.

Weiter weiß ich es nicht mehr. Ich glaube, es war nicht so ganz richtig. In unserm Lesebuch stand das anders. Sie kamen auch nicht zu Ende mit ihrem Kartoffelgesang. Denn siehe, der Aufseher kam und wollte sie rausschmeißen. Da waren sie still. Auf der See haben sie man bloß noch zu Anfang gesungen. Nachher saßen sie in ihren Ecken und dösten vor sich hin. Sie haben sich all die Wochen so rübergedöst.

Zur Kaffeezeit ging ich mit meinem Sack und Krug auf den englischen Frachtdampfer. Abends elf Uhr kam der Polizist mit der Laterne. Ich zeigte ihm meinen Paß. – Du bist neunzehn Jahr; es ist gut. Der Krenzliner seinen Heimatschein: Es ist gut. Der Dömitzer Schneider seinen Geburtsschein: Es ist gut. Der Hebenkieker (Himmelgucker) aus unserm Dorf seinen Dienstschein: Es ist gut. Aber der Dienstschein war schon fünf Jahre alt. Als er rund war, sah er uns freundlich an und sprach: Es muß eben sein. Jeder gibt zwei Dollars! So gaben wir jeder zwei Dollars. – Weißt du, was ich glaube? ich glaube, es war kein Polizist. Das Geld aber waren wir los.

Morgens zwei Uhr dampften wir die Elbe hinunter. Ich schlief oben, und die Ochsen brüllten unten. Kurz vor zwölf kamen wir auf die Nordsee. So was habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, daß die Nordsee viel Wasser in sich hat. Da ist genug für den Hornkatener Sand, und der Bockuper kann auch noch was abkriegen, dazu die Lüneburger Heide. Und dann ist das doch bloß, als wenn du einen Tropfen aus eurem großen Waschtuppen voll rausgenommen hast. Siehe, das ist alles noch von der Sündflut nachgeblieben. Nun sag mal bloß, was tut all das Wasser da man? Was könnte da für Roggen wachsen!

Die Nordsee war ruhig, aber man zu Anfang. Dann kriegte sie weiße Köpfe. Da wurde der Frachtdampfer unruhig. Da schmiß er sich auf die Seite. Da richtete er sich wieder auf. Da schmiß er sich auf die andere Seite. Akkrat wie eine Kuh, die kalben will und kann nicht. Da war bei uns ein feiner Mann aus Hamburg. Denn er sprach immer hochdeutsch und hatte ein hübsches Ofenrohr auf, aber zuviel getrunken. Der hielt den Kopf über Bord. Ihm war nicht fein zumute. Er mußte spucken. Da lag der Hut im Wasser. Da schwamm er hin. Wir lachten, und er setzte eine Kips auf, wie Kollmorgen aus Grabow sie in seiner Bude auf dem Martinimarkt in Eldena zu verkaufen hatte. Ich glaube, sie kostete sechzehn Schilling. – Am Nachmittag wurde es stürmisch, und das Schiff legte sich doll auf die Seite. Ich rutschte aus und lag auf dem Rücken, daß mir die Flammen aus den Augen gingen. Da lachten sie alle über mir. Man nicht lange taten sie das. Dann mußten wir alle nach unten, und die Tür wurde geschlossen. Das Schiff rollte, die Ochsen brüllten, die Frauensleute heulten, und alle steckten die Köpfe in die Eimer. Die welchen (etliche) schrien auch zu Gott. Das war ganz so wie in Jonas seinem Schiff. Manchmal dachte ich auch an den Sand in den Lieper Bergen. Da steht man wenigstens fest drin, und da liegt man auch sicherer drin als im Wasser. Da kann man sich die Kartoffeln und den Roggen von unten ansehen. Das ist besser, als wenn einem so ein Schiff mit 85 Ochsen auf die Nase fällt. Nun wird die Welt wohl untergehen, dachte ich, und mit den beiden Kuhherden ist es nichts, und der alte Vater Köhn und Karl Busacker sind ihre fünf Taler auch los, und sie haben nicht mal einen Schein in ihrer Beilade.

Abends ging ich auf das Deck. Da hab ich die ganze Nacht gesessen, weil es unten vor Gestank nicht auszuhalten war. Oben war es schwarz wie ein Sack, aber die Luft war gut zum Verholen. Da fühlte ich mich gut. Als ich mich verholt hatte, hab ich auch an deine Mutter gedacht. Die gab mir mal zu Weihnacht fünfzehn Walnüsse, weil wir selbst keine hatten, und du hast mir mal zum Herbst zwei Stiefel geschenkt, weil sie dir zu klein waren und mir passen taten. Die Stiefel haben gut gehalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer