Abschnitt 4. Mit dem Durchfall des Küchengesellen fing mein Glück an. Ich ging zum obersten Koch und sprach: Siehe, dein Küchengesell ist krank geworden; so mußt du einen andern haben. ...

Mit dem Durchfall des Küchengesellen fing mein Glück an. Ich ging zum obersten Koch und sprach: Siehe, dein Küchengesell ist krank geworden; so mußt du einen andern haben. Kann ich einspringen? Er kuckte mich an, als wollte er taxieren, wieviel Pfund ich hakenrein auf dem Desem (Kleine Schnellwaage mit Laufgewicht) wiege: Kannst du kochen? Ich antwortete und sprach: Kein Mensch kann vom Sperling verlangen, daß er Gänseeier legt. Aber was hier zu kochen ist, das hab ich meiner Mutter schon als Jung abgesehen. Er grifflachte sich (schmunzelte). Er sagte: Ich will’s versuchen.

An dem Tage hab ich mich zum erstenmal nach der Abreise ordentlich sattgegessen. Und als ich satt war, legte ich den Löffel weg und wischte mir den Mund. Denn der Mensch soll nicht mehr essen, als er mit aller Gewalt runterkriegen kann. Auch trank ich so lange Wasser, als noch Platz da war. Die andern haben oft hart gedurstet. Er war ein kleiner, dicker Mann und fix in seinem Geschäft. Er sagte: Gehe hin! so ging ich. Er sagte: Komm her! so kam ich. Ich mußte mächtig springen. Vom Steuermann zum Koch. Vom Koch zum Steuermann. Der hatte die Schlüssel.


Einmal gab es einen richtigen Aufruhr und Empörung. Der kam aus dem Magen. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, es gibt vieles auf der Welt, was aus dem Magen kommt. Drei Irländer schrien vor Hunger und wollten satt haben vom Koch. Der Koch schickte mich zum Steuermann. Der Steuermann rechnete. Als er fertig war, sagte er: Wir haben zuviel verbraucht. Für drei Tage kann ich nur halbe Rationen ausgeben. Ihr müßt eure Riemen ein paar Löcher enger ziehen. Die drei Mann gingen mit ihren halben Rationen und mit ihrem hungrigen Magen zum Kapitän. Halb Irland zog hinterher und lärmte. Der Kapitän sprach: Es ist genug Vorrat da. Gebt den Leuten zu essen, daß sie nicht hungern.

Das war ein gutes Wort. Darauf kochten wir eine Reissuppe – der Löffel blieb darin stehen, so schön war sie. Jeder kriegte einen Pott voll, und die Irländischen ihren zweimal. Da haben sie nicht mehr geschrien. Da haben sie sich den Mund gewischt und uns freundlich angekuckt und genickköppt. Das war das Lob und Dank für den Reis. Ja well. So war es oft. Wir sahen uns aber auch vor mit Salz und daß die Suppe nicht anbrannte.

Als der oberste Koch sah, daß er mich brauchen konnte, da hat er mich auch über die Wassertonne gesetzt. Da mußten wir das Wasser rauspumpen, so groß war sie. Aber es waren etliche da, die haben Wasser gestohlen. Nimm mal bloß an: so knapp kann das Wasser werden mitten auf dem großen Meer. Ich aber kuckte manchmal weg, denn es war sehr heiß. Wenn sie ihre Tinn (Gefäß) halb voll hatten, dann kuckte ich wieder hin. Dann machte ich Lärm. Dann prügelte ich sie wieder raus. Das hatte ich dem Koch bald abgesehen. Aber das Wasser nahmen sie mit und dankten mir mit freundlichen Wörtern, denn es war sehr heiß. Aber waschen taten wir uns alle mit Salzwasser. Da kann man keine Seife brauchen. Das machte nichts, denn kein Mensch hatte da die Gewohnheit, daß er Seife brauchte.

Unsere Küche hielt ich rein, aber das Schiff war ein richtiger Schweinestall. Soviel Krätze, Wanzen und Läuse. Die Wanzen nahm ein alter Irländer auf sich; der hatte einen griesen (grauen) Bart und krumme Knie. Heinrich Möller machte eine Wette mit ihm. Er sprach: Ich will dir all meinen Priem geben, wenn du bis New York auf tausend Stück kommst. Der Irländer sprach: Ich will erst Überschlag machen. Am andern Morgen: Ich habe Überschlag gemacht; ich nehme die Wette an. Denn er priemte für sein Leben gern. So ging er jeden Abend auf die Jagd. Einmal kam eine Nacht, da wachte ich auf: Woweit bist du? – Das ist heute die achtunddreißigste, sagte er und schmetterte mit seinem Höltentüffel die achtunddreißigste tot. Morgens schrieb er mit seinem Bleistift an die Planken, was er gejagt hatte. Mogeln konnte er nicht, denn er mußte Möller alle Morgen die toten Leichen vorzählen. Wir waren noch lange nicht nach Amerika, da hatte er seinen Priem gewonnen. Er bot noch eine Wette um tausend an, aber keiner wollte. Er war sehr fröhlich. Die Zeit vorher war er traurig, denn er hatte kein Geld und keinen Priemtabak. Mit ein Paar neuen Schuhen ging er da rum. Die waren ganz gut gearbeitet. Tabak wollte er dafür, aber er hat keinen gekriegt, und Heinrich Möller wollte ihm keinen auf Abschlag geben. So hat er einen ledernen Hosenträger halb aufgepriemt. Nachher aber lachte er sich über das ganze Gesicht, und den andern Hosenträger brachte er nach Amerika.

Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, der Priem auf dem Schiff taugte auch nichts. Es war lauter falsches Zeug und Betrug. Inwendig ein Ende Bast oder Strick, und bloß ein bißchen Tabak rumgewickelt.

Von den Läusen will ich auch noch ein paar Wörter machen. Das waren keine gewöhnlichen. Das waren solche, wovon sechs Stück einen Hammel festhalten. An einem Tag kam Wilhelm Rump mit der Axt. Was willst du? – Schlachten! – Woso? Was willst du schlachten? – Komm und siehe es. – Ich ging mit. Da saß der Hebenkieker auf den Brettern und hielt eine Laus fest. Die war mächtig groß und gräsig anzusehen. Mein Lebtag hab ich so ein Biest nicht gesehen. Die hatte er gefangengenommen auf der Grenze zwischen dem irischen und deutschen Distrikt. Dort hat Rump sie erschlagen. Ein Irländer sprach: Die Laus gehört euch zu. Ein anderer: Sie ist gerade so langsam wie die Deutschen. Ein dritter: Aber es ist eine gute, schiere Rasse. So rieben sie sich mit Wörtern an uns. Ich sprach: Nun paßt Achtung, ihr Männer von Irland, und höret, was ich euch zu sagen habe. Sie sprachen: Was hast du uns zu sagen? Ich sprach: Alles, was recht ist. Aber bei uns gibt es höchstens die gewöhnlichen kleinen Mücken, die manchmal auch in der feinsten Hemdnaht rumspazieren. So ein Biest aber kommt nicht vor von den Alpen bis an die Nordsee. Auch trägt sie einen roten Sattel quer über den Rücken. Den gibt es bei uns auch nicht. Die Laus gehört in euren Distrikt, und ihren Heimatschein trägt sie bei sich. Ich sehe es an der Ähnlichkeit, daß sie eine Irländerin ist. Ihr Irländer tragt alle blaue Unterbüchsen. Aber die Farbe taugt nichts, denn sie färben ab. Darum habt ihr auch alle blaue Beine, wenn ihr morgens aufsteht. Die Laus gehört zu euch, denn siehe, ihre Beine sind auch blau. In euren Unterbüchsen ist Überbevölkerung eingetreten, darum wollte sie auswandern. So ist sie bis an die Grenze gekommen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer