Die Gebetsstunden

Noch eins pflegt neben der Auszeichnung der Fasttage und des Sabbat für die jüdische Woche charakteristisch zu sein: jeder ihrer Tage umfasst 3 Gebetsstunden. Wann sie liegen, scheint mir nicht absolut sicher. Früher nannte man die 3. 6. und 9. Stunde; jetzt pflegt man den Morgen, die Zeit des Minchaopfers (sie fällt nur zufällig mit der 9. Stunde zusammen) und den Abend zu nennen*). In der Kirche liegen die Verhältnisse um 200 so, dass sowohl die 3. 6. und Q. Stunde, als der Morgen und Abend mit Gebet begangen worden sind. Tertullian mahnt, die 3. 6. und 9. Stunde als Stunde des Gebetes einzuhalten und also dreimal zu beten „mit Ausnahme natürlich der legitimae orationes, die ohne jede Mahnung geschuldet werden bei Eintritt des Lichtes und der Nacht“, nach Cyprian hat man ebenso um die 3. 6. und 9 Stunde und außerdem früh und bei Sonnenuntergang zu beten 2 nach Clemens Alexandrinus sind die 3. 6. und 9. Stunde Gebetsstunden 3, nach Origenes muss man dreimal am Tage beten; als Zeiten sind Morgen, Mittag und Abend zwar nicht direkt genannt, in dem Zusammenhang aber unmissverständlich angedeutet 4.Bedenkt man, dass die Auszeichnung der 3. 6. und 9. Stunde im bürgerlichen Leben der römischen Kaiserzeit üblich war, so liegt der Gedanke nahe, dass die Kirche dem jüdischen Brauch gefolgt, der heidnisch-bürgerlichen Gewöhnung aber auch Einfluss auf ihre Sitte gestattet hat.

Dass der jüdische Brauch dabei älteres Bürgerrecht in der Kirche besitzt, ist nicht nur an und für sich wahrscheinlich, sondern, falls die neuere Zeitbestimmung der jüdischen Gebetsstunden richtig ist, auch durch die Art, wie Tertullian von den legitimae orationes spricht und das Einhalten der 3. 6. und 9. Stunde begründet, gegeben. Dagegen spricht allerdings das wenigstens scheinbare Zeugnis der Apostelgeschichte, wo die Apostel am Pfingsttag um die 3. Stunde versammelt sind, und Petrus um die 6. Stunde betet. Sollte die Festlegung der Gebetsstunden in der Kirche etwa von vornherein verschieden gewesen sein? Und sollte dem verschiedenen kirchlichen Brauch etwa gar ein verschiedener synagogaler entsprochen haben? Sollte die Festlegung von Gebetsstunden nach Maßgabe der im heidnischen Leben ausgezeichneten Stunden etwa auch dort schon stattgehabt haben? Die Lehre der 12 Apostel schreibt betreffs des Vaterunsers nur vor: „Dreimal am Tage sollt ihr so beten.“


*) Vgl. Schürer Geschichte des jüdischen Volkes II 350 Anm. 40 und die dort zitierte Literatur. Die Hauptschwierigkeit für die neuere Auffassung liegt in den im Text sofort zu nennenden Stellen der Acta apost. Lucae: 2 3 10
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jüdisches und Heidnisches im Christlichen Kult