Vorausschicken möchte ich folgende Bemerkung

Nach dem Gesamteindrucke, den ich von dieser Reformbewegung gewonnen habe, glaube ich, der Ansicht beipflichten zu sollen, daß man mit einem gewissen Rechte den historisch festgelegten Begriff der Reformation auch auf das Judentum übertragen könne.

In der Kirche hatte das Urchristentum eine Gestalt angenommen, in der es schließlich kaum wieder zu erkennen war, und sowohl Kirchenväter als Kirchenfürsten waren unaufhörlich an der Arbeit, diesen Abstand noch zu vergrößern.


Die Reformation erhob den Ruf zur Rückkehr — eine neue Durchforschung und Durchdringung der Quellen sollte das alte, echte evangelische Christentum zurückerobern helfen.

Auch das Judentum hat seine mündliche Überlieferung, die den Anspruch auf göttliche Einsetzung erhob. Bald wurde jene höher eingeschätzt, als die heiligen Schriften selbst, und sah man diese nur noch durch die Brille der geheiligten Tradition. Sadduzäismus und Karäertum hatten ein mehr schriftgemäßes Judentum gefordert, die moderne Zeit forderte im Gegensatze zum rabbinischen ein prophetisches Judentum.

Man könnte den Vergleich noch weiter führen:

Als Luther kerndeutsch zu empfinden und volkstümlich deutsch zu schreiben begann, wollte das römische System im lateinischen Gewande nicht mehr passen.

Ebenso wurde auch dem Juden, als er Deutscher werden wollte, der rabbinische Rock mit dem hebräischen Zuschnitte zu enge.

Die jüdische Reformation ist allerdings eine kleine Bewegung, selbst an den Verhältnissen des Judentums gemessen. Aber es darf dabei nicht vergessen werden, daß es im Judentum keinen Machtspruch zur Verwirklichung der Reformideen gab und keine Fürsten, die für und wider eine Glaubensansicht mit bewaffneter Hand zum Religionskriege auszogen. Im Kampfe um Orthodoxie oder Reform sind keine Ströme Blutes, sondern, wie ich bereits erwähnte, bloß Ströme Tinte geflossen, und wenn auch in der Hitze des Gefechtes hie und da hässliche Leidenschaften und beklagenswerte Erscheinungen hervorgetreten sind, so blieb es im Grunde doch ein echter Geisteskampf, wo Sieger war, der die besten Gründe ins Treffen führte, und Überwundener, wer aus Überzeugung zuletzt gern und willig Gefolgschaft leistete.