Thomas Hobbes und die bürgerliche Freiheit

Thomas Hobbes [(1588-1679) englischer Mathematiker, Staatstheoretiker und Philosoph] lebte zu einer Zeit, da der Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefühle von Freiheit verbunden, keine Schranken mehr kannte und im Begriffe war, wie ihm auch am Ende gelang, die königliche Gewalt unter den Fuß zu bringen und die ganze Landesverfassung umzustürzen. Der bürgerlichen Unruhen überdrüssig, und von Natur zum stillen, spekulativen Leben geneigt, setzte er die höchste Glückseligkeit in Ruhe und Sicherheit, sie mochte kommen, woher sie wollte; und diese fand er nirgends, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit der höchsten Gewalt im Staate. Der öffentlichen Wohlfahrt, glaubte er also, sei am besten geraten, wenn alles, sogar unser Urteil über Recht und Unrecht, der höchsten Gewalt der bürgerlichen Obrigkeit unterworfen würde. Um dieses desto füglicher tun zu können, setzte er zum voraus, der Mensch habe von Natur die Befugnis zu allem, wozu er von ihr das Vermögen erhalten hat. Stand der Natur sei Stand des allgemeinen Aufruhrs, des Krieges aller wider alle, in welchem jeder mag, was er kann; alles Recht ist, wozu man Macht hat. Dieser unglückselige Zustand habe so lange gedauert, bis die Menschen übereingekommen, ihrem Elend ein Ende zu machen, auf Recht und Macht, insoweit es die öffentliche Sicherheit betrifft, Verzicht zu tun, solche einer festgesetzten Obrigkeit in die Hände zu liefern, und nunmehr sei dasjenige recht, was diese Obrigkeit befiehlt.

Für bürgerliche Freiheit hatte er entweder keinen Sinn, oder wollte er sie lieber vernichtet, als so gemissbraucht sehen. Um sich aber die Freiheit zu denken auszusparen, davon er selbst mehr als irgend jemand Gebrauch machte, nahm er seine Zuflucht zu einer feinen Wendung. Alles Recht gründet sich, nach seinem System, auf Macht, und alle Verbindlichkeit auf Furcht; da nun Gott der Obrigkeit an Macht unendlich überlegen ist, so sei auch das Recht Gottes unendlich über das Recht der Obrigkeit erhaben, und die Furcht vor Gott verbinde uns zu Pflichten, die keiner Furcht vor der Obrigkeit weichen dürfen. Jedoch sei diese nur von der inneren Religion zu verstehen, um die allein es dem Weltweisen zu tun war. Den äußeren Gottesdienst unterwarf er völlig dem Befehle der bürgerlichen Obrigkeit, und jede Neuerung in kirchlichen Sachen, ohne derselben Autorität, sei nicht nur Hochverrat, sondern auch Lästerung. Die Kollisionen, die zwischen dem inneren und äußeren Gottesdienste entstehen müssen, sucht er durch die feinsten Unterscheidungen zu heben, und obgleich noch so manche Lücken zurückbleiben, die, die Schwäche der Vereinigung sichtbar machen, so ist doch der Scharfsinn zu bewundern, mit welchem er sein System hat bündig zu machen gesucht.


Im Grunde liegt in allen Behauptungen des Hobbes viel Wahrheit, und die ungereimten Folgen, zu welchen sie führen, fließen bloß aus der Übertreibung, mit welcher er sie, aus Liebe zur Paradoxie, oder den Bedürfnissen seiner Zeiten gemäß, vorgetragen hat. Zum Teil waren auch die Begriffe des Naturrechts zu seiner Zeit noch nicht aufgeklärt genug, und Hobbes hat das Verdienst um die Moralphilosophie, das Spinoza [Baruch de S. (1632-1677) niederländischer Philosoph] um die Metaphysik hat. Sein scharfsinniger Irrtum hat Untersuchung veranlasst. Man hat die Ideen von Recht und Pflicht, Macht und Verbindlichkeit besser entwickelt; man hat physisches Vermögen von sittlichem Vermögen, Gewalt von Befugnis richtiger unterscheiden gelernt, und diese Unterscheidungen so innigst mit der Sprache verbunden, dass nunmehr die Widerlegung des Hobbesschen Systems schon in dem gesunden Menschenverstände, und sozusagen in der Sprache zu liegen scheint. Dieses ist die Eigenschaft aller sittlichen Wahrheiten. Sobald sie ins Licht gesetzt sind, vereinigen sie sich so sehr mit der Sprache des Umgangs und verbinden sich mit den alltäglichen Begriffen der Menschen, dass sie dem gemeinen Menschenverstände einleuchten, und nunmehr wundern wir uns, wie man vormals auf einem so ebenen Wege habe straucheln können. Wir bedenken aber den Aufwand nicht, den es gekostet, diesen Steig durch die Wildnis so zu ebnen.

Hobbes selbst musste die unstatthaften Folgen auf mehr als eine Weise empfinden, zu welchen seine übertriebenen Sätze unmittelbar führen. Sind die Menschen von Natur an keine Pflicht gebunden, so liegt ihnen auch nicht einmal die Pflicht ob, ihre Verträge zu halten. Findet im Stande der Natur keine andere Verbindlichkeit statt, als die sich auf Furcht und Ohnmacht gründet, so dauert die Gültigkeit der Verträge auch nur so lange, als sie von Furcht und Ohnmacht unterstützt wird; so haben die Menschen durch Verträge keinen Schritt näher zu ihrer Sicherheit getan, und befinden sich noch immer in ihrem primitiven Zustand des allgemeinen Krieges. Sollten aber Verträge gültig sein, so muss der Mensch von Natur, ohne Vertrag und Verabredung, an und für sich selbst nicht befugt sein, wider ein Paktum zu handeln, das er gutwillig eingegangen; das heißt, es muss ihm nicht erlaubt sein, wenn er auch kann: er muss das sittliche Vermögen nicht haben, wenn er auch das physische dazu hätte. Macht und Recht sind also verschiedene Dinge und waren auch im Stande der Natur heterogene Begriffe. — Ferner, der höchsten Gewalt im Staate schreibt Hobbes strenge Gesetze vor, nichts zu befehlen, das der Wohlfahrt ihrer Untertanen zuwider sei. Wenn sie auch keinem Menschen Rechenschaft zu geben schuldig seien, so haben sie diese doch vor dem allerhöchsten Richter abzulegen; wenn sie auch nach seinen Grundsätzen keine Furcht vor irgendeiner menschlichen Macht binde, so binde sie doch die Furcht vor der Allmacht, die ihren Willen hierüber hinlänglich zu erkennen gegeben. Hobbes ist hierüber sehr ausführlich,, und hat im Grunde weit weniger Nachsicht für die Götter der Erde, als man seinem System zutrauen sollte. Allein eben diese Furcht vor der Allmacht, welche die Könige und Fürsten an gewisse Pflichten gegen ihre Untertanen binden soll, kann doch auch im Stande der Natur für jeden einzelnen Menschen eine Quelle der Obliegenheiten werden, und so hätten wir abermals ein solennes Recht der Natur, das Hobbes doch nicht zugeben will. — Auf solche Weise kann sich in unseren Tagen jeder Schüler des Naturrechts einen Triumph über Thomas Hobbes erwerben, den er im Grunde doch ihm zu verdanken hat.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum